Gleiche unter Ungleichen

Die bürgerliche Frauenbewegung hat darum gekämpft, die direkte Unterwerfung unter den Mann gegen die abstrakte Herrschaft von Staat und Kapital einzutauschen. von andrea trumann

Erwachet, Deutschlands Frauen, wenn ihr Grimm genug habt, eure Erniedrigung zu fühlen und Verstand genug, um Quellen eures Elends zu erkennen. Fordert das Stimmrecht, denn über das Stimmrecht geht der Weg zur Selbständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau«, forderte 1878 die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm. 1918 war das Ziel erreicht. Kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erhielten die Frauen das aktive und passive Wahlrecht.

Vorausgegangen war die »nationale Bewährung« der Frauenbewegung. Viele Frauen, die in Frauenverbänden organisiert waren, hatten während des Krieges ehrenamtliche Sozialarbeit geleistet. Diese unterschied sich nicht nur im Umfang von der Wohltätigkeitspflege im 19. Jahrhundert, sondern auch in der Bedeutung. Sie wurde allgemein als qualifizierte Mitwirkung an der nationalen Selbstbehauptung gewürdigt und von staatlicher Seite als sozialer Kriegsdienst anerkannt. Viele Frauen genossen diese Anerkennung, während die Führerinnen der Frauenbewegung unaufhörlich auf die »Bewährungsprobe der Frauen« hinwiesen. Sie betonten, dass ohne die Organisation der Frauenvereine im Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) der soziale Kriegsdienst am Vaterland kaum möglich gewesen wäre. Mit dieser Begründung forderte der BDF auch das Frauenwahlrecht, das im Zuge der Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen auch gewährt wurde.

Für die bürgerliche Frauenbewegung bedeutete der Begriff Emanzipation, die patriarchale Unterwerfung unter den Mann zu bekämpfen und sie gegen die abstrakte Herrschaft von Staat und Kapital einzutauschen. Dass Frauen wählen, Universitäten besuchen, Geschäfte machen dürfen, also sich als dem Mann gleichgestellte politische und ökonomische Rechtssubjekte betätigen können, ist kein Widerspruch zum Kapitalverhältnis und zur demokratischen Herrschaft.

Aber auch mit der rechtlichen Gleichstellung änderte sich für die Frauen bis Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht viel. Zwar waren die Frauen nun oft gut ausgebildet, aber sobald sie Kinder bekamen, wurden sie in die Privatsphäre zurückgedrängt – ein Phänomen, das heute noch zu beobachten ist und sich etwa darin zeigt, dass nur ein Prozent der Männer Erziehungsurlaub nimmt.

In ihrer berühmten, von Tomatenwürfen begleiteten Rede auf der Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Studentenbundes Deutschlands, die als symbolischer Beginn der neuen Frauenbewegung in Deutschland gilt, schlussfolgerte Helke Sander daraus, dass Frauen die am besten geeigneten revolutionären Subjekte seien. Der Weg der bürgerlichen Emanzipation müsse ihnen als unzulänglich erscheinen, denn Karriere sei für Frauen nur machbar, wenn sie sich unter das männliche Leistungsdiktat stellten und ihre Natur genauso disziplinierten wie die Männer. Da sie selten Männer fänden, die sie unterstützten und auffingen, und obendrein stets besser sein müssten als die Männer, seien sie dem Konkurrenzprinzip noch stärker ausgeliefert. So sähen sich Frauen vor die traurige Wahl gestellt, sich entweder den Männern anzugleichen oder sich mit Hausarbeit und Kindern zu begnügen. Individuell sei das Problem nicht lösbar. Die Lösung liege darin, die Trennung von Privatem und Öffentlichem aufzuheben, was erst nach der Umwälzung der Produktionsverhältnisse und damit der Machtverhältnisse möglich sein werde.

Die Prognose, dass sich die Frauen massenhaft dieser Situation bewusst werden und erkennen, dass ihre spezifische Ausgrenzung nicht innerhalb bürgerlich-kapitalistischer Verhältnisse zu lösen ist, sondern nur durch die Umwälzung der Produktionsverhältnisse, bestätigte sich nicht. Denn nicht die Abschaffung von Kapital und Arbeit stand im Mittelpunkt der Frauenbewegung, sondern die Subjektwerdung der Frau, dass heißt, die Kontrolle der eigenen Natur im Sinne der Leistungsfähigkeit als Arbeitskraft und der Kontrolle über die Gebärfähigkeit. Emanzipation hieß nun, sich von der weiblichen Natur zu befreien.

Der Grund für die Unterdrückung der Frau wurde nun in ihrer Gebärfähigkeit gesehen. Theoretisch ausgearbeitet hatte diese Position Simone de Beauvoir. Sie ging davon aus, dass die Frau durch ihre Gebärfähigkeit in der Immanenz, also der Naturverfallenheit, verhaftet bleibe. Die eigentliche Bestimmung des Menschen sei jedoch die Transzendenz, die Befreiung aus der Naturverfallenheit durch die Beherrschung der Natur, was seit jeher Aufgabe und Ziel der Männer gewesen sei. Doch auch die Frauen könnten den männlichen Subjektstatus erlangen. Die natürlichen Nachteile könnten ausgeglichen werden in einer Gesellschaft, die nicht mehr so viele Schwangerschaften verlange und in der die Körperkraft an Bedeutung verliere.

Über die sicherlich richtige Erkenntnis, dass in der spätkapitalistischen Gesellschaft nur über Lohnarbeit halbwegs ökonomische Unabhängigkeit verwirklicht werden kann, wurde diese zur allgemeinen Existenzform des Menschen verherrlicht. Alle Eigenschaften, die für die Lohnarbeit nicht gebraucht werden oder für diese als hinderlich gelten und daher der Frau zugeschrieben wurden – lieben, träumerisch sein, in den Tag hinein leben –, sollten die Frauen sich abgewöhnen. Emanzipation bedeutete hier nicht viel mehr als einen Kampf für die Möglichkeit, sich an die herrschende Gesellschaftsordnung anzupassen.

Es verwundert nicht, dass in der nächsten Phase der Frauenbewegung, dem Differenzfeminismus, der Emanzipationsbegriff keine große Rolle mehr spielte. Viel wichtiger war jetzt der Gedanke der »Entfremdung«. Denn nachdem die Frauen im Kampf für das Abtreibungsrecht und in ihrer Auseinandersetzung mit Sexualität und Verhütungsmitteln gemerkt hatten, dass in der Sexualität auf ihre Bedürfnisse keine Rücksicht genommen wird und sie in der Medizin wie Brutkästen behandelt werden, wollten die Frauen eine Sexualität und Medizin schaffen, die ihren eigenen Bedürfnissen entsprach.

Aber was waren überhaupt die eigenen Bedürfnisse? Die patriarchale Aneignung schien den Körper der Frau seit Jahrhunderten zugerichtet zu haben, und die Sozialisation formte jede Frau nach patriarchalen Maßstäben. Luce Irigaray schrieb in Anlehnung an Jacques Lacan »Die Frau existiert nicht!« Die Ironie der Geschichte war, dass sich Frauen trotzdem aufmachten, sich in Selbstuntersuchungs- und Selbsterfahrungsgruppen, Frauenbetrieben etc. selbst zu finden. Die Suche nach der authentischen, innersten und ureigensten weiblichen Identität begleitete jede Aktivität. Doch oft genug waren »neue Mütterlichkeit« und alternativer Betrieb nur schwer zu unterscheiden von der »entfremdeten Mütterlichkeit« und der entfremdeten Arbeit in einer herkömmlichen Firma. Nur bekamen die Frauen jetzt selbstbestimmt die gesellschaftlich gewünschte Anzahl von Kindern und beuteten sich ganz eigenverantwortlich selbst aus.

Die in der Frauenbewegung eingeübte Suche nach den eigenen Bedürfnissen hat sich heute verallgemeinert. Wegen der herrschenden Situation sowie den Schwierigkeiten, die Frauen dabei erleben, Beruf und Familie zu vereinen, ist die Frage der Entscheidung für oder gegen ein Kind zur quasi existenziellen Frage geworden. Selbstbestimmt will die Frau über Anzahl und Zeitpunkt der Kinder entscheiden, und zwar am besten so, dass die Vereinbarkeit mit dem Beruf gegeben ist. Diese Entscheidungen gelten gemeinhin als vollkommen individuell und selbstbestimmt und frei von gesellschaftlichen Werten. Doch sind diese vermeintlich individuellen und ureigenen Bedürfnisse der potenziellen Eltern bis in die Wortwahl hinein mit den gesellschaftlichen Anforderungen identisch. Die moderne, selbstbestimmte Frau, egal ob sie sich bewusst zur Mutterschaft bekennt oder ausdrücklich gegen Kinder entscheidet, wähnt sich mit ihrer authentischen Wahl meilenweit vom gesellschaftlichen Zwang entfernt und arbeitet paradoxerweise dadurch an dessen Durchsetzung mit.

Mit der Vermutung, dass der Emanzipationsbegriff aus dem Vokabular geschlechterbewegter Frauen verschwunden sei, weil diese sich nur noch mit Dekonstruktion und nicht mehr mit Gleichstellung beschäftigten, liegt Ivo Bozic (Jungle World, Nr. 47/04) komplett falsch. Vielmehr ist der Diskurs um die Dekonstruktion der Geschlechter ein Effekt der Institutionalisierungs- und Gleichstellungspolitik, die in den achtziger Jahren an ein vorläufiges Ende gekommen war. Denn trotz aller Bemühungen blieben die Karrieremöglichkeiten gerade im universitären Bereich, aber auch in der Privatwirtschaft für Frauen oft verschlossen. Als gute bürgerliche Subjekte, die sie mittlerweile geworden waren, beharrten die Feministinnen nun auf dem »autoritären Ruf nach dem Gesetzgeber« (Helke Sander). Sie forderten geschlechtsspezifische Gesetze für die Überwindung der weiterhin konstatierten Diskriminierung. Zudem dienten sie sich als flexibilisierte, den neuen Ausbeutungsformen angepasste Subjekte dem Staat und dem Kapital an. Denn obwohl der postmoderne Allgemeinplatz von den Frauen, die durch den Diskurs oder die heterosexuelle Matrix erst zu Frauen gemacht werden, eine Kritik an Identitäten und Identitätspolitik beinhaltet, geht es nicht um die Abschaffung von Identitäten. Stattdessen entscheiden sich die Protagonistinnen für die Realpolitik und für den Kampf um die Anerkennung als Subjekte mit all seinen Zuschreibungen wie Rasse, Sexualität, Geschlecht usw.

Die Frauenbewegung und ihr Kampf um gleiche Rechte gilt nicht zufällig als Prototyp einer bürgerlichen Emanzipationsbewegung. Tatsächlich entspricht ihr Begriff von Emanzipation weitgehend dem bürgerlichen Begriff. Für diesen ist konstitutiv die Überwindung der Ständegesellschaft hin zu einem bürgerlichen Staat und damit von personaler, patriarchaler Herrschaft zu abstrakter Herrschaft – ein Kampf, den Frauen seit jetzt über 200 Jahren immer mal wieder führen. Dass die Bewegung dabei selten einen emphatischen Begriff von Emanzipation gewann und sich nie als revolutionäre Bewegung zur Abschaffung jeglicher Herrschaft aufschwingen konnte, teilt sie aber mit allen anderen sozialen und linken Bewegungen.