Hilfe, die Helfer kommen

Die neuen Sozialgesetze machen aus der Drogenhilfe eine Instanz zur Durchsetzung arbeitsmarktrechtlicher Repressalien. von stefan wiedemann

Die öffentliche Wahrnehmung der unter Hartz IV bekannt gewordenen Reformen der Sozialgesetzbücher – insbesondere des so genannten Grundsicherungsgesetzes für Arbeitssuchende (SGB II) – hat in den vergangenen Monaten eine merkwürdige Metamorphose durchlaufen. Wurden im Sommer noch allenthalben apokalyptische Visionen entworfen, so scheint sich, neben einer Tendenz zur Resignation, ein gewisser pragmatischer Optimismus breit zu machen, nach dem es schon nicht so schlimm kommen werde. Auch wenn die Freunde und Freundinnen des illegalen Rauschmittelkonsums nicht explizit in den Gesetzen erwähnt werden, so ist doch zu befürchten, dass insbesondere das Instrument der »Eingliederungsvereinbarung« im SGB II zu einer massiven Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen führen wird.

Gemäß einer euphemistisch »Vereinbarung« genannten Verordnung soll dem als Hilfeempfänger bezeichneten Bittsteller eine Reihe von Demutsbekundungen gegenüber seinem nun als »Fallmanager« firmierenden Sachbearbeiter abgerungen werden. Gegenstand dieser »Vereinbarung« sind zunächst die vom »Arbeitssuchenden« zu erbringenden und nachzuweisenden Bemühungen, einen konstruktiven Platz im Akkumulationskarussell einzunehmen, um im Gegenzug die auf Sozialhilfeniveau gestutzten Zuwendungen der Behörde zu erhalten.

Im Leistungskatalog der Bundesagentur heißt es, dass auch die Wahrnehmung von Dienstleistungen anderer Träger wie »Schuldnerberatung, psychosozialer Beratung sowie Suchtberatung« Teil einer solchen »Eingliederungsvereinbarung« sein können. Ein ausführlicher Sanktionskatalog liegt im Falle eines Verstoßes parat. Die Regelleistung des ALG II kann zunächst um 30 Prozent, bei fortlaufenden Zuwiderhandlungen um 60 Prozent und im Einzelfall um 100 Prozent gemindert werden. Vorgesehen ist im Falle der kompletten »Minderung« ersatzweise die Zubilligung so genannter Sachleistungen, also Lebensmittelgutscheine oder Bezugsscheine der örtlichen Kleiderkammer. In Zukunft werden Mitarbeiter der neu zu schaffenden Jobcenter, denen in der Regel eine sozialpädagogische oder psychologische Qualifikation fehlt, darüber entscheiden, welche psychosozialen Dienstleistungen die Klienten wahrnehmen sollen.

Abgesehen von dem dahinter stehenden mechanistischen Menschenbild, welches die Drogenberatungsstellen lediglich als Reparaturbetrieb gesellschaftlich produzierter Missstände instrumentalisiert (Drogenberatung stellt sich im Neusprech der Behörde als »Ausräumen von Vermittlungshemmnissen« dar), steht hier die sowieso schon ausgehöhlte Selbstdefinition der Beratungsstellen als dem Wohle und Wollen des Individuums verpflichtete Dienstleister zur Disposition. Die Beratungsstellen geraten in die Funktion von Erfüllungsgehilfen der Arbeitsvermittlungsbürokratie. Inwieweit äußerst sensible Bereiche des Verhältnisses zwischen Hilfesuchenden und Beratern, wie etwa die Drogenberatern immerhin rudimentär zugebilligte Schweigepflicht bzw. das Zeugnisverweigerungsrecht, durch solche Zwangsberatungen tangiert werden, ist noch nicht abzusehen. Auch Fragen des Datenschutzes sind nicht geklärt.

Letztlich sah auch das bisherige Sozialhilferecht die Möglichkeit vor, die so genannte Hilfe zum Lebensunterhalt teilweise oder vollständig als Sachleistung zu erbringen. In der Praxis wurden solche Instrumente aber – zumindest in Berlin – bei einer deutlichen Abhängigkeitsproblematik zurückhaltend eingesetzt, weil die »Stütze« als Sicherung eines zum Überleben notwendigen Mindestmaßes betrachtet und eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt beim Großteil der drogenabhängigen Sozialhilfebezieher als unrealistisch eingeschätzt wurde. Dass diese bloße Verwahrungspraxis ein immenses diskriminierendes Potenzial birgt, ist unbestritten. Doch immerhin war die Sozialhilfe als »Mussleistung« definiert, die nur begrenzt vom Wohlverhalten der Bezieher abhängig gemacht werden konnte.

An die Stelle der verwahrenden Fürsorge werden mit dem ALG II nun statistische Manipulationen treten. Denn wer glaubt im Ernst, dass Langzeitarbeitslose, zumal mit einer manifesten Abhängigkeitsproblematik, über die Aneinanderreihung von Qualifikations- und Beschäftigungsmaßnahmen einen Weg in den Arbeitsmarkt finden? Der tagesstrukturierende Effekt, den solche Maßnahmen für Langzeitabhängige haben können, ist eher ein pädagogischer oder therapeutischer und beruht auf Freiwilligkeit. Im Kontext der Verwertungslogik der Jobcenter geraten Qualifizierungsmaßnahmen jedoch in die Gefahr, lediglich der Selektion nicht markttauglicher Individuen zu dienen.

Es ist anzunehmen, dass sich gerade bei jungen Drogenkonsumenten schnell die Einsicht durchsetzen wird, es sei besser, sich dem Instrumentarium der Arbeitsagenturen zu entziehen und den Brot- und Drogenerwerb vollständig auf halb- oder illegale Bereiche zu verlagern. Die Bemühungen von Beratungsstellen, Menschen mit Drogenproblemen Angebote zu machen, ihr Leben zu ändern, werden durch Zwangsmaßnahmen konterkariert.

Wenn Reflexionen über den eigenen Konsum produktiv verlaufen sollen, müssen sie selbstbestimmt und ergebnisoffen sein. Wer eine Beratungsstelle nur aufsucht, um sich ein Bestätigungsschreiben abzuholen, wird sicher nur wenig Bereitschaft mitbringen, die dort vorgehaltenen Angebote mindestens zu prüfen. Sozialarbeit stand schon immer und nicht ganz zu Unrecht im Ruf, die gesellschaftliche Funktion eines Hilfssheriffs zu erfüllen. Das SGB II zementiert diese undankbare Rolle und erschwert die Bemühungen vieler Beratungsstellen, sich im Interesse ihrer Klienten vom gesellschaftlichen Funktionalismus zu emanzipieren.

Momentan scheint es die Devise der meisten Drogenhilfeträger zu sein, sich genau wie ihre Klienten vor den zu befürchtende Konsequenzen der Hartz-Reformen wegzuducken bzw. auf stillem Wege zu versuchen, vorhandene Kontakte zur Sozialadministration zu nutzen, um Einfluss auf die konkrete Umsetzung des SGB II zu nehmen. So ist auch zu erklären, dass gerade die größeren Träger zurzeit eher an die verantwortlichen Stellen anbiedern und gegenüber der Öffentlichkeit weitgehend Funkstille herrscht. Vielleicht ist der größte Skandal der Hartz-Reformen, dass, auch wenige Wochen vor ihrem Inkrafttreten, die Betroffenen über die wirklichen Auswirkungen im Dunkeln gelassen werden und so eine breite gesellschaftliche Empörung über das Gesetzeswerk eingedämmt wird.

Stefan Wiedemann arbeitet als Drogenberater in Berlin.