Spiel mit Licht

Mit »Agata und der Sturm« und »Licht meines Lebens« starten zwei höchst unterschiedliche italienische Filme. von ulrike mattern

Der italienische Film ist im deutschen Kino eine Marginalie. Gäbe es nicht ein Repertoire auf Festivals wie in Berlin oder München, sorgfältig gepflegte cineastische Strukturen wie die Reihe »Verso Sud« im Deutschen Filmmuseum Frankfurt und die überregionale Festival-Tournee »Cinema! Italia!« – die dieses Jahr zum siebten Mal durch 15 Städte reiste – sowie engagierte Verleiher, wären italienische Filme auf den Leinwänden rar.

Wie um diese gerade ausgemachte Tendenz ad absurdum zu führen, kommen in den nächsten Wochen vier italienische Produktionen ins Kino: »Gente di Roma« (Menschen aus Rom) von Ettore Scola startet am 20. Januar. »La meglio gioventù« (Die besten Jahre) von Marco Tullio Giordana folgt voraussichtlich Anfang März. Zunächst eröffnen einen Tag vor Heiligabend zwei Filme den Reigen, die in ihrer narrativen Struktur und Bildsprache nicht gegensätzlicher sein könnten: »Agata und der Sturm« und »Licht meiner Augen«.

So dick wie das Make-up auf dem Gesicht der Protagonistin trägt Regisseur Silvio Soldini in »Agata und der Sturm« die Farben in seinen Bildern auf: Die sonst im Licht des Südens pastellig wirkenden Orte – die ligurische Hafenstadt Genua sowie die Landschaft der Po-Ebene – werden in diesem Film kräftig in den Farbtopf getunkt. Sie strahlen in Sonnengelb, Quietschorange, Marineblau und Giftgrün mit dem Knallrot von Agatas Lippenstift um die Wette. Mangelt es dem urbanen oder ländlichen Umfeld an Kontrasten, setzen Kostüme und Dekorationen Akzente: bunte Buchrücken in der Buchhandlung, Retro-Look in den Wohnungen, Sommerkleider und Anzüge der Protagonisten in den Farben des Regenbogens.

Vier Jahre nach dem Erfolg von »Brot und Tulpen«, der allein 1,4 Millionen Zuschauer in Deutschland hatte, erzählt Soldini von der 40jährigen Buchhändlerin Agata, die einen 13 Jahre jüngeren Liebhaber namens Nico hat. Auch im Leben ihres Bruders Gustavo, eines renommierten Architekten, kommen die Dinge in Bewegung. Er erfährt, dass er gar nicht Agatas leiblicher Bruder ist, sondern das Kind einer mittellosen Frau, die ihn für Geld zur Adoption freigegeben hat. Romeo ist ihr zweiter Sohn, er erfährt erst nach dem Tod der Mutter von seinem Bruder. Dass die Dinge noch komplizierter liegen können, glaubt man kaum, aber der weitere Verlauf der Komödie beweist es.

Die Rolle der verführerischen Agata, deren durcheinander wirbelnde Gefühle Energien frei setzen, die Glühbirnen zum Platzen, Computer zum Absturz und Autobatterien zum Erlöschen bringen, übernimmt Schauspielerin Licia Maglietta, die ebenso wie Giuseppe Battiston – hier als Gustavos Bruder Romeo – bereits in Soldinis »Brot und Tulpen« dabei war.

Während diese Liebeskomödie »all’italiana« kommerziell erfolgreich werden dürfte, haben es Produktionen, die das Klischee von la dolce vita nicht bedienen und den Blick auf das gegenwärtige Italien richten, beim Publikum erheblich schwerer. Der Film »Licht meiner Augen« von Regisseur Guiseppe Piccioni wirkt in seiner Bildsprache neben »Agata und der Sturm« blass wie Weißbrot, und neben der mit Farbe unterspritzten Hafenstadt Genua ist die Kapitale Rom bei Piccioni ein grauer Planet, auf dem die Bewohner treiben, ziellosen Satelliten gleich, und sich beim Leben beobachten.

»Ich liebe es, von Personen zu erzählen, die im Schatten stehen«, erklärt Regisseur Piccioni in einem Gespräch vor der Premiere seines Films in Frankfurt. Seine beiden Protagonisten, Maria und Antonio, leben in Rom. Antonio arbeitet als Chauffeur. Maria ist allein erziehende Mutter und betreibt ein schlecht gehendes Geschäft für Tiefkühlprodukte.

Die ersten Minuten des Films zeigen die Fahrten Antonios durch die Straßen der Stadt. Er fährt entlang hell erleuchteter Geschäfte, Restaurants, Cafés; Menschen sitzen hinter Glas, allein, zu zweit, in Gruppen. Sie schweigen, gestikulieren, streiten. Antonio sieht die Welt durch die die Fensterscheiben seines Wagens. Er liest Science-Fiction-Hefte und stellt sich vor, er selbst käme von einem fernen Planeten. Der Regisseur sagt: »Er lebt in seiner eigenen Welt. Als er Maria trifft, ist es, als hätte ihn das Licht getroffen. Für sie macht er sich die Hände schmutzig. Er kommt auf die Erde zurück und befreit sich von seinem Auto.«

Hauptdarsteller Luigi Lo Cascio zufolge ist Antonio ein »stiller Beobachter, dem die anderen sagen, wo es langgeht. Er ist ein Charakter, der reagiert, bis er zum Eigentümer seines eigenen Lebens wird.« Maria und Antonio treffen sich eines Nachts durch Zufall auf der Straße. Ein Blick – und die Liebe bricht aus. Aber nur bei Antonio. Und so, wie er vorher in endlosen Zirkeln in der Stadt umher fuhr, umkreist er jetzt Maria und ihre Tochter Lisa. »Er tut alles für sie, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Er ist ein Kavalier der alten Schule, eine anachronistische Gestalt.«

In »Licht meiner Augen« kehren sich die Rollenverhältnisse um. Es ist der Mann, der um die zynische Schöne buhlt, die sich in ihrem Turm eingeschlossen hat. Und er, der vorher auf einem einsamen Planeten weilte, kehrt für sie in die Welt zurück.

Sandra Ceccarelli (»Der schönste Tag in meinem Leben«) und Luigi Lo Cascio (»100 Schritte«) bekamen für ihre Darstellung des spröden Paares bei der Premiere von »Licht meiner Augen« 2001 auf dem Festival in Venedig den Preis für die beste Schauspielerin/den besten Schauspieler.

Italienische Filme im deutschen Kino sind rar, trotz der kurzfristigen »Schwemme«, so dass sich ein Vergleich zweier Filme, die zufällig denselben Starttermin haben, eigentlich verbieten müsste. Er sei erlaubt: Silvio Soldinis »Agata und der Sturm« macht auf den ersten Blick glücklich, lässt einen beschwingt das Kino verlassen.

Guiseppe Piccionis Film »Licht meiner Augen« – übrigens vom selben Kameramann – verschließt sich dem leichten Zugang. Er wird vielleicht erst, wie von der Rezensentin, beim zweiten Hinsehen geliebt. Dann aber so innig wie im Fall des spröden Paares, das erst auf den zweiten Blick und nach langer Reise zum Liebespaar wird.

»Agata und der Sturm« (I 2003); Regie: Silvio Soldini, Darsteller: Licia Maglietta, Emilio Solfrizzi, Guiseppe Battiston. Start: 23. Dezember

»Licht meiner Augen« (I 2001). Regie: Giuseppe Piccioni. Darsteller: Luigi Lo Cascio, Sandra Ceccarelli, Silvio Orlando. Start: 23. Dezember