Nicht heuern, aber feuern

Der Kündigungsschutz ist ein Auslaufmodell. Deshalb will die CDU ihn möglichst schnell abschaffen. von winfried rust

Schon Adam und Eva mussten, wie man heute sagen würde, die erste verhaltensbedingte Kündigung hinnehmen. Vom Baum der Erkenntnis zu essen, verstieß gegen die alte Betriebsordnung. Und das hatte Konsequenzen: »Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war.«

Aber so wichtig auch Herrschaftspraxis im Zusammenhang mit Kündigungen und dem Kündigungsschutz ist – mit dem, was man heute unter einer Kündigung versteht, hatte die Vertreibung aus dem Paradies noch wenig zu tun. Es handelte sich damals eher um die Vertreibung in das Reich der Arbeit – »Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang« –, während man heute im Fall einer Kündigung aus dem Reich der Lohnarbeit ausgewiesen wird.

Noch im Römischen Recht deuten allenfalls einige Indizien auf Kündigungen hin. Zum Thema Arbeit sagte Cicero, dass »jeder, der seine Arbeitskraft für Geld verkauft, sich selbst verkauft und sich damit zu einem Sklaven erniedrigt«. Arbeit wurde entweder von Unfreien erzwungen oder freiwillig von den Angehörigen gehobener Schichten geleistet. In beiden Fällen ergaben Kündigungen keinen Sinn.

Freie Lohnarbeit und ihre Kündigung fanden erst im 19. Jahrhundert Eingang in Paragraphen, die dem heutigen Arbeitsrecht vorausgehen. Nach dem Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten aus dem Jahr 1794 waren Arbeitsverträge »nur für einen Tag als geschlossen zu achten, und es kann also jeder Teil mit dem Verlaufe jeden Tages davon wieder abgehen«. Etwa 100 Jahre später, in Folge der Bergarbeiterstreiks von 1889, kam es 1891 im Kaiserreich zu einer Arbeiterschutznovelle mit begrenzten Rechten für die ArbeiterInnen. Politisch anerkannt wurde das Arbeitsrecht jedoch erst 1918. Vor den Arbeitsgerichten hatten ArbeiterInnen dennoch geringe Chancen. Paradigmatisch weist das Reichsarbeitsgericht am 20. November 1930 die Klage gegen eine Kündigung zurück: »Deshalb muss der Arbeitgeber gerade bei einer Wirtschaftskrise prüfen, ob, wie lange und in welcher Zahl er den Arbeiter- und Angestelltenstand halten kann, und demgemäß seine Entschlüsse fassen.«

Das Kündigungsschutzgesetz der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahr 1951 schränkt das Kündigungsrecht der Unternehmer ein. Von nun an kann man von einem Schutzrecht sprechen, das die ArbeiterInnenbewegung erkämpft hat, das Klassenkonflikte mäßigt und die Unternehmerwillkür beschränkt. Gleichzeitig ist das Kündigungsschutzgesetz ein wichtiger Bestandteil der so genannten Sozialen Marktwirtschaft: Die Beziehung zwischen der Fabrik und den ArbeiterInnen gestaltet sich aufgrund seiner Existenz etwas harmonischer. Mehr nicht, denn unstrittig bleibt, dass der Unternehmer ein Arbeitsverhältnis beenden kann.

Eine Kündigung gilt dann als zulässig, wenn sie mit dem Verhalten oder der Person des Lohnabhängigen oder mit betrieblichen Erfordernissen begründet werden kann. Ein Unternehmen kann also jederzeit seinen Personalbestand reduzieren; Entscheidungen im Rahmen der Unternehmensführung liegen außerhalb der Zuständigkeit des Gesetzes. Zu prüfen ist lediglich, ob gekündigte Personen an anderer Stelle beschäftigt werden können, ob die Sozialauswahl stimmt und der Betriebsrat einverstanden ist.

Weil es keinen generellen Schutz vor Kündigungen gibt, täuscht die Bezeichnung »Kündigungsschutzgesetz«. Das Gesetz bleibt ein Teil des Arbeitsrechts mit seinen autoritären Grundannahmen: Die ArbeiterInnen sind abhängig vom Unternehmer, werden von ihm in den Betrieb eingegliedert und sind an seine Weisungen gebunden.

Heute wird der Kündigungsschutz von den Vertretern der Ideologie des freien Marktes in Frage gestellt. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Union, Friedrich Merz, spekulierte im Juli 2004 darüber, dass »wir eines Tages ganz auf den besonderen Kündigungsschutz verzichten können«. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff unterstützte ihn. Die beiden trafen auf Widerstand, fanden aber überwiegend Zustimmung in den eigenen Reihen, soll doch etwa nach den Vorstellungen der Jungen Union der Kündigungsschutz bei der Neueinstellung von Personen über 50 Jahren nicht mehr gelten. Mit den arbeitsmarktpolitischen Beschlüssen des Düsseldorfer CDU-Parteitages Anfang Dezember schloss sich die Gesamtpartei dieser Ansicht an. Um die »Einstellungshemmnisse bei Neueinstellungen« zu verringern, wird gefordert, den Kündigungsschutz zu lockern. Unternehmer sollen bei Neueinstellungen die Möglichkeit haben, den Kündigungsschutz für die ersten zwei Jahre auszusetzen oder zugunsten festgelegter Abfindungen ganz darauf zu verzichten. Außerdem soll der Kündigungsschutz nur bei Neueinstellungen in Betrieben ab 20 MitarbeiterInnen gelten.

In der SPD sind Stimmen gegen den Kündigungsschutz marginal. Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin forderte im Juli eine Einschränkung des Kündigungsschutzes. Doch der Landesparteivorsitzende Michael Müller widersprach mit Verweis auf die rot-grüne Bundesregierung. Die gefällt sich, nachdem sie die Betriebsgröße für die Geltung des Kündigungsschutzes im Rahmen der Hartz-Gesetze wieder von fünf auf zehn MitarbeiterInnen angehoben hat, in der Rolle, das Arbeitsrecht zu verteidigen.

Das Argument, mit der Abschaffung des Kündigungsschutzes Arbeitsplätze schaffen zu wollen, klingt nicht nur absurd, sondern ist in einer Ökonomie, die täglich massenhaft Arbeitsplätze abbaut, schwer haltbar. An »Flexibilität« mangelt es in der Arbeitswelt keineswegs. In Deutschland werden nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung pro Jahr 3,5 bis 4,5 Millionen Arbeitsverhältnisse beendet. Kaum elf Prozent der Kündigungen ziehen eine Klage beim Arbeitsgericht nach sich, wo wiederum vier Fünftel der Fälle einvernehmlich gelöst werden und nur in 15 Prozent eine Abfindung erreicht wird. Befristete Neueinstellungen sind inzwischen üblich, und solche Verträge können oft noch drei Mal verlängert werden. Einstellungen für fest umrissene Aufträge sind gängig. Und bei Auftragsmangel ist es möglich, ganze Abteilungen zu schließen, Kurzarbeit einzuführen, Personal zu entlassen oder Aufgaben auszulagern.

Anderen Studien der Böckler-Stiftung zufolge hat jeder Lohnabhängige im Jahr 2004 auf 2,2 Urlaubstage verzichtet, deutlich mehr als vor fünf Jahren; zudem ist demnach in den vergangenen Jahren der Psychostress in 90 Prozent der Unternehmen größer geworden. Das rührt zum Teil von dem Druck her, den die Unternehmensleitungen ausüben. Aber die Tugenden in der New Economy werden nicht allein von oben mittels Kündigungsdrohungen durchgesetzt. Das postmoderne Selbstwertgefühl setzt sich aus den Normen zusammen, gut zu sein, unverzichtbar zu sein, Erfolg zu haben und »flexibel« zu sein. »Flexibilität« gilt vielen Lohnabhängigen inzwischen als eine Anforderung, die ganz selbstverständlich zu erfüllen ist. Das Risiko, entlassen zu werden, gehört irgendwie dazu. Dennoch lässt sich das neue Arbeitsregime ohne die alte Drohung nicht begreifen, und auch die heitere Risikogesellschaft hat ihre Schattenseite. Wenn die Angst vor der schnellen Kündigung herrscht, ist häufig eine Entsolidarisierung die Folge, die in eine Konkurrenz der Lohnabhängigen untereinander münden kann.

Ist Kündigungsschutz also etwas ganz Tolles? Eine ähnliche Frage stellte Peter-Paul Zahl bereits in seinem Schelmenroman »Die Glücklichen« aus dem Jahr 1979. Er wundert sich über die Kampagnen der Linken gegen Berufsverbote und fragt: »Welche Berufe, liebe Schwestern und Brüder, werden denn da verboten? Etwa solche, für die in einer wirklich freien und klassenlosen Gesellschaft Bedarf bestünde? Weit gefehlt.« Der Autor dreht den Diskurs herum: »Erstmals wurde jemandem verboten, den Beruf des Richters auszuüben! Welch Takt, welch Größe, welch ein Spaß!« Auch eine Kündigung schützt zumindest kurzfristig vor Befehlen und Zeitraub.

Die Frage, was an einer Kündigung eigentlich schlecht sein soll, ist eine gute Frage. Sie irritiert bei der Unterwerfung unter die Arbeit und wendet den trostlosen Diskurs. Aber es sollte aus arbeitskritischer Perspektive ebenfalls gesagt sein, dass der Kampf gegen Kündigungen mit dem Kampf gegen die Arbeit kompatibel ist. Denn je geringer die Erpressbarkeit der ArbeiterInnen, desto größer ist ihr Spielraum für die Entfaltung von Eigensinn oder die Transformation der Produktionsmittel. Jedes Beharren auf den Rechten der Lohnabhängigen ist derzeit ein kleiner Bruch mit der Mär vom Standort und von der Schicksalsgemeinschaft, die dem Individuum Verzicht und reibungsloses Funktionieren aufzwingen soll.

Perspektivisch könnten Kündigungen aus der Mode geraten, ohne dass das eine Verbesserung für die Lohnabhängigen bedeuten würde. Der Grund liegt in der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Befristete Anstellungen, begrenzte Projekte oder Minijobs laufen von selbst aus, und selbstständige NiedriglohnarbeiterInnen könnten allenfalls sich selbst kündigen.

Wer glaubt, durch einen verbesserten Kündigungsschutz den Kapitalismus zähmen zu können, lag schon immer falsch und tut das auch heute. Im Festhalten daran scheint die Sehnsucht danach auf, den ökonomischen Verhältnissen und der Willkür der Vorgesetzten nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. In der aktuellen Auseinandersetzung um das Kündigungsschutzgesetz geht es lediglich um das Ausmaß der Willkür in einem Teilbereich der Ökonomie. Mit einer Vorstellung von ökonomischen Verhältnissen jenseits des Zwangs und falscher Bedürfnisse, in denen freiwillige Arbeit einen Kündigungsschutz überflüssig machen würde, hat das nichts zu tun.

Richtig wäre es, an die Positionen anzuknüpfen, die sich gegen die Willkür richten, und gleichzeitig auf die Begrenztheit der Auseinandersetzung hinzuweisen. Vielleicht kämen so ein paar vergessene Früchte vom Baum der Erkenntnis wieder zum Vorschein.