Das Unwohlsein am Untergang

In Frankreich startete Bernd Eichingers Hitler-Film und löste eine Debatte aus. von bernhard schmid

Hitler sehen heißt Schlange stehen. Am Freitagabend drängeln sich vor dem Multiplexkino nahe des Pariser Odéon-Platzes viele Menschen, die unbedingt den gerade angelaufenen Film »La Chute« (»Der Untergang«) sehen wollen. Der riesige Saal wird brechend voll. Dabei waren die ersten Pressekritiken überwiegend kritisch bis negativ, aber die Zuschauer, die allen Generationen angehören, haben sich davon nicht abhalten lassen.

Richtig begeistert von »La Chute« war vor allem die Boulevard- und Regenbogenpresse, wohl vor allem aus ästhetischen Gründen. »Ein olivgrüner, düsterer und bleicher Alptraum – Apocalypse Now für eine formidable Geschichtslektion«, meinte France Soir. »Dieser Film verfolgt den Zuschauer noch lange wie ein Gespenst, dessen Züge man nunmehr deutlich erkennen kann«, meint die Klatsch- und Sensationszeitschrift Paris Match, die dem Film zugleich »eine quasi-dokumentarische Dimension« zuerkannte.

Ansonsten überwogen Skepsis und Ablehnung, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen. Eine erste Serie von Kritiken beschäftigte sich mit der Frage, ob der Film Hitler nicht auf unzulässige Weise »humanisiere«, indem er ihn aus der Nähe zeige und auch einige Züge seines privaten Verhaltens darstelle. Dadurch könne eine Empathie entstehen: »Emotion, ja Mitleid, denn die schlimmste Ratte in ihrem Loch ruft instinktive Sympathie im Moment ihres herannahenden Todes hervor«, meint Gérard Lefort in Libération.

Die Tageszeitung Le Parisien titelte zum Filmstart: »Le malaise« (Das Unwohlsein). Andere Kritiker wiederum erkannten gerade in der Kritik an der menschlichen Darstellung der Figur Hitlers einen unbewussten Wunsch nach Mystifizierung. So antwortet der Schriftsteller und Theaterautor Eric-Emmanuel Schmitt, der selbst 2001 einen Roman über Hitler und die Gründe seines Erfolgs (»La Part de l’autre«) veröffentlichte, im Parisien: »Man zeigt nicht einen gehörnten Teufel, und das ist gut so. Hitler zu enthumanisieren, ist zu einfach und sinnlos. (…) Die Polemik darüber, ob man Hitler als menschliches Wesen darstellen dürfe, ist albern. Diese Geschichte ist ja wohl von Menschen ausgegangen! Es ist nicht Gott, der Auschwitz erfunden hat!« Gleichzeitig bezeichnet Schmitt es als »vernünftig«, dass der Film ein Unwohlsein hinterlasse.

Tatsächlich geht eine Kritik, die überwiegend an der Darstellung Hitlers festgemacht wird, an der wirklichen Problematik vorbei. Die eigentliche Empathie und Sympathie, die durch den Film hervorgerufen wird, gilt nicht seiner Person – sie gilt den Deutschen, die, so sieht es im Film aus, am Ende zu Opfern des Wahns eines Diktators geworden sind, während etwa die sowjetischen Befreier entweder als bedrohliche anonyme Kulisse oder als sturzbetrunkene Barbaren erscheinen.

Die eigentlichen Opfer des Nationalsozialismus bleiben unsichtbar. Sie kommen lediglich in einer Andeutung vor, wenn Magda Goebbels ihre sechs Kinder mit Blausäure vergiftet – falls man denn daran denken will. »Die Art, wie sie ihren Kindern den Tod verabreicht, so methodisch, mit sich wiederholenden Gesten, erscheint als Metapher für die Verbrechen der Nazis an Millionen Menschen in Europa und der Welt – Juden und anderen«, sagt dazu der Regisseur Oliver Hirschbiegel im Interview mit dem Figaro. Die konservative Tageszeitung erteilte ihm und Bernd Eichinger das Wort und veröffentlichte die mit Abstand moderateste Kritik am Film und seiner Rezeption in Deutschland.

In den anderen renommierten Blättern entwickelte sich dagegen eine Kritik, die über die Vorbehalte gegen die Personalisierung Hitlers auf der Leinwand hinausgeht und auch den Aspekt der ungleichen Gewichtung der Opferdarstellungen berücksichtigt. Jacques Mandelbaum macht etwa in Le Monde »zwei zentrale Thesen« in dem Film aus: Erstens sehe man durch die Äußerungen Hitlers, der am Ende sein Volk, das sich als zu schwach erwiesen habe, mit in den Untergang reißen will, »die Essenz eines Regimes, das von Anfang an auf Zerstörung und Vernichtung programmiert war«. Gleichzeitig moniert Mandelbaum, die vereinfachende Psychologie des Films, die Hitler als Verrückten und Nihilisten erscheinen lasse, stehe »im Dienste einer ziemlich bequemen Kritik an dem Regime, das Deutschland in den Ruin führte«. Denn »die zweite, kritikwürdigere« Hauptthese des Films bestehe in der Darstellung »eines gequälten Deutschland, das beinahe gegen seinen Willen zum Opfer dieses fanatischen Regimes wird, das es doch – und in dem Film kommt es nicht vor – im Triumph an die Macht gebracht und über lange Zeit unterstützt hat. Es ist zweifellos diese tröstliche Dimension – welche die Nation und das Regime, das sie hervorgebracht hat, auseinander dividiert –, die heute zum Publikumserfolg in einem Land führt, von dem man doch annimmt, dass es sich seit langem mit seiner Vergangenheit auseinander setzt.«

Ähnliche Kritik an der Rezeption des Films formuliert Norbert Frei, Forscher an der Universität Bochum, im Interview mit Libération: »Der Film zeigt einen Hitler am Ende seiner Laufbahn, und man kann sich kaum die immense Faszination vorstellen, die er auf das deutsche Volk ausgeübt hat« – man denke nur an den Hitler der außenpolitischen Erfolge der Jahre 1936 bis 1939 und der ersten Kriegsjahre. »Das Argument, wonach es störend sei, dass Hitler als menschliches Wesen gezeigt wird, ist irritierend, denn niemand dachte, dass Hitler vom Mars kommt. Aber der Film erklärt gar nichts von der Rolle und der Funktion Hitlers in der deutschen Geschichte.«

Norbert Frei konstatiert ferner, dass »die öffentliche Meinung in Deutschland sich zunehmend für die Deutschen als Opfer interessiert. Die Debatte über die Bombardierungen oder über die Vertreibung haben diesen Bedarf gezeigt«. Das bestätigen auch mehrere andere Beiträge, etwa jener der Deutschlandkorrespondentin von Libération, Odile Benyahia-Kouider: »Dass man heute einen solchen Film in Deutschland machen kann, ist symptomatisch für die Entwicklung der öffentlichen Meinung, die nunmehr ein gesteigertes Interesse an den deutschen Opfern des Zweiten Weltkriegs zeigt.«

In ähnliche Richtung geht auch der Beitrag des früheren Deutschlandkorrespondenten Daniel Vernet in Le Monde: »Rechtsextremisten spielen nahe der Tschechischen Grenze Zweiter Weltkrieg in SS-Uniformen; eine große Hotelkette errichtet ein Luxusetablissement auf dem Obersalzberg (…); der Film ›Der Untergang‹ hat über vier Millionen Zuschauer in Deutschland gefunden. Der Zusammenhang zwischen diesen drei Informationen?« Er interpretiert die gegenwärtige Tendenz der öffentlichen Meinung ähnlich wie seine Kollegin von Libération und führt als Belege Jörg Friedrichs Bestseller »Der Brand« sowie Günter Grass’ Roman über den Untergang der Wilhelm Gustloff an. Seinen Artikel schließt Vernet abwägend ab: »Dieser Neuaufschwung von Patriotismus«, der Autor zitierte dazu Gerhard Schröder und Angela Merkel, »hat zwar an sich nichts Anormales, spiegelt jedoch die Malaise, die heute die deutsche Gesellschaft heimsucht. 15 Jahre nach der Wiedervereinigung fragen die Deutschen sich nach ihrem Platz in der Welt (…). Besorgt um ihre Zukunft, schauen sie in die Vergangenheit: Entweder, um dort Stärkung zu finden, oder aber Negativbeispiele.«