Der Vater des Spirit

Zum Tod von Will Eisner, der beinahe so alt wie der Comic selbst und einer der Größten seines Fachs war. von andreas hartmann

Hätte sich Will Eisner auch in Deutschland durchgesetzt mit seiner von ihm repetitiv vorgetragenen Forderung, den Comic endlich als echte Kunst anzuerkennen, würde uns heute einiges erspart bleiben. Denn egal ob es sich um Craig Thompsons »Blankets« oder um Mariane Satrapis »Persepolis« handelt, die beide aktuelle Beispiele für Comics sind, denen sich das Feuilleton ausnahmsweise einmal annahm, und das dann gleich flächendeckend: immer noch muss man in den Rezensionen, zumindest hierzulande, hauptsächlich lesen, es hier – Potzblitz! – tatsächlich mit Kunst zu tun zu haben, mit etwas, das mit einem guten zeitgenössischen Roman locker mithalten könne. Zwischen den Zeilen liest man dann immer mit: Welch ein Wunder! Ein Comic, aber trotzdem Kunst! Wäre es also nach Will Eisner gegangen, würde dem Comic vom Kulturbetrieb längst mit einem ganz anderen Verständnis, mit viel mehr Selbstverständnis, begegnet werden.

Eisner wollte sich eben nicht damit begnügen, dass der Comic lediglich als Teil der Popkultur wahrgenommen wurde. Gegen den Comic als Unterhaltungsmedium hatte er zwar nichts einzuwenden, doch er selber wollte mehr, er wollte ihn tatsächlich als eigenständiges Kulturgut gleich neben der guten, alten Literatur etablieren. Um dies zu erreichen, versuchte er es immer wieder mit Aufklärung: Zwei Bücher über Technik, Stil und Ästhetik des Comics hat er verfasst, »Comics & Sequential Art« gilt heute immer noch als Standardwerk, und in seinem Buch »Shop Talk« gewährt er in Gesprächen mit anderen Meistern des Fachs Einblicke in den Comicbetrieb.

Aufgewachsen ist Eisner als Sohn jüdischer Immigranten in New York, sein Vater war Bühnenmaler für das jüdische Theater der Stadt. In den dreißiger Jahren, während der Depression in den USA, ging es mit seiner Familie bergab, und der junge Will fand sich bald auf der Straße wieder, wo er Zeitungen verkaufte, um das Einkommen der Familie etwas aufzubessern.

Als Zeitungsverkäufer kam er in Kontakt mit den Comic-Strips, die damals den Zeitungen beilagen, er entdeckte Milton Caniff, Alex Raymond und George Herriman, die großen Meister aus der Steinzeit der Comics. Vor allem Caniff lernte er zu lieben, dessen Markenzeichen – die Arbeit mit starken Schatten, halbkriminellen Frauen – er für seine ersten, eigenen Serien übernahm, vor allem für »Spirit«. Die meisten dieser frühen Serien, die zumeist Abenteuergeschichten waren, sind heute vergessen und wurden auch nicht wieder nachgedruckt. Ganz anders »Spirit«, der 1940 in Serie ging und erst 1952 von Eisner beendet wurde. Mit dem Spirit schuf er den ersten Superhelden ohne Superkräfte, einen Kerl mit Maske, der jeden Verbrecher zur Strecke bringt und den Frauen (fast) immer widersteht. Mit der Zeit schickte Eisner seinen Spirit in immer gefährlichere Abenteuer, schuf immer abenteuerlichere Settings und experimentierte immer stärker mit seinem Zeichenstil, führte waghalsige Perspektivwechsel ein und vor allem die von ihm perfektionierten »Splash-Panels«, großformatige Einführungsbilder zu Beginn jedes Strips, die bei ihm zu einer eigenen Kunstform wurden.

Nach »Spirit« arbeitete Eisner als Herausgeber der Armeezeitschrift PS und zeichnete den GI Joe Dope, der in ironischer Art und Weise vorführte, was man im Gebrauch mit Waffen alles falsch machen kann. In der Zwischenzeit brach in den USA die Revolution des Underground-Comics aus. Robert Crumb und Gilbert Shelton waren die Aufrührer der Sechziger und erschütterten die Kartelle der Superhelden-Comic-Verlage, indem sie alles, vom Zeichnen über das Texten bis zum Vertrieb, selbst in die Hand nahmen. Damit machte es die Underground-Comic-Szene Eisner nach, der zwar einer der Mitbegründer des in den Dreißigern obligatorischen Studiosystems war und der über diese Zeit meinte: »Wir funktionierten wie die Ford Motor Company«, der seinen Shop nach Beendigung von »Spirit« jedoch auflöste, um fortan seine Comics von Grund auf in eigener Regie zu gestalten. Der Underground war es dann auch, der »Spirit« in den Siebzigern wieder entdeckte, und ein Underground-Verlag druckte auch die alten »Spirit«-Folgen nach.

1978 erschien dann von Will Eisner ein Werk, das den modernen Comic von Grund auf verändern sollte: »A Contract With God«, eine Sammlung von vier Kurzgeschichten aus einem Mietshaus in der Bronx während der Depressionszeit. Diese Arbeit war, wie so viele, die noch folgen sollten, autobiografisch gefärbt, schließlich wuchs Eisner selbst in einer Mietskaserne in der Bronx auf. »Graphic Novel« nannte Eisner dieses Werk, und noch heute wird jeder Comic, der mindestens so dick wie ein Taschenbuch ist, »graphic novel« genannt.

Dabei wollte Eisner mit der von ihm eingeführten Bezeichnung nicht auf den Umfang des Comics abzielen, sondern auf seine Form: »Die Einzelbilder sind im Gegensatz zur gewohnten Form der Comics nicht mehr aneinandergereiht und gleich groß, sie nehmen sich die Formate, die sie brauchen, und oft nimmt ein Bild eine ganze Seite ein.« Text und Bilder werden bei den »graphic novels« von Eisner also nicht mehr schlicht aneinandergereiht, sondern die einzelnen Panels explodieren förmlich, und einzelne Elemente greifen ineinander wie Zahnräder, womit schon allein durch die Form beim Leser das Gefühl evoziert wird: Hier geht was voran.

Und bei Eisner ging eigentlich immer etwas voran. Sein Credo lautete, dass der Comic nur so gut sein könne wie die Geschichte, die er zu erzählen hat. Alles, seine ganze Arbeit und auch seine formalen Experimente, dienten somit immer nur dem einen: eine Geschichte erzählen zu wollen. Und Eisner erzählte großartige Geschichten, sozialkritische, traurige, verblüffende Geschichten. Er war davon überzeugt, dass dem Comic als Medium keine Grenzen gesetzt sind, Art Spiegelman machte sich diese Überzeugung später zu eigen, indem er mit »Maus« bewies, dass sogar der Holocaust in Comicform verarbeitet werden kann.

Eisner mutete sich und dem Comic mit der Zeit sogar immer mehr zu; das Erstaunliche ist, dass er sich dennoch nie verhob. In einer seiner letzten Arbeiten, dem vor zwei Jahren erschienenen »Fagin the Jew« knöpft er sich die Figur des habgierigen Juden aus Charles Dickens’ Roman »Oliver Twist« vor, der von Dickens mit allen damals üblichen antisemitischen Stereotypen versehen wurde. Eisner nimmt eine Art literaturwissenschaftliche Korrektur mit den Mitteln des Comics vor. Er erzählt den »Oliver Twist« aus der Sicht von Fagin, dem Juden, und arbeitet dabei heraus, wie Fagin nur aufgrund der rassistischen Vorurteile seiner Umgebung zu der Art von Halsabschneider-Jude wurde, wie er bei Dickens vorkommt.

Solchen Kabinettstückchen hatte sich Eisner also zuletzt, in hohem Alter, gewidmet. Wer weiß, was noch alles gekommen wäre, wenn Will Eisner nicht letzte Woche im Alter von 87 Jahren in Fort Lauderdale, Florida, verstorben wäre.