Ende des roten Zeitalters

In Serbien werden Kollaborateure der deutschen Wehrmacht rehabilitiert. von boris kanzleiter, belgrad

Früher waren die Verhältnisse auf den Belgrader Hinterhöfen klar geordnet. Das Lieblingskriegsspiel der Jugendlichen hieß »Deutsche und Partisanen«. Der Kampf wurde mit Holzgewehren ausgefochten, und schon vor dem ersten Gefecht der nachmittäglichen Schlachten standen die Sieger fest: die Partisanen. Daran gab es nichts zu rütteln, denn sie waren Helden. Niemand wollte deshalb »Deutscher« sein.

Auch zur Rolle der »Tschetniks« wollte niemand verdonnert werden. Aber sie musste besetzt werden, gehörten die königstreuen serbischen Nationalisten doch ins Szenario jeder Schlacht aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Tschetniks wurden dabei fast noch fieser als die Deutschen dargestellt. Sie waren die Verräter, die hinterhältigen Mörder, die besoffenen Halsabschneider, genauso wie die Faschisten der kroatischen Ustascha-Bewegung. Nicht nur auf den Kinderspielplätzen, wo legendäre jugoslawische Spielfilme wie die »Schlacht an der Neretva« nachgespielt wurden, sondern auch in den Geschichtsbüchern in der Schule wurden sie als Kollaborateure der Deutschen verurteilt.

Heute ist alles ganz anders: »Die Tschetniks werden anerkannt als wahre Kämpfer für die Freiheit Serbiens«, freute sich Anfang des Jahres Vojislav Mihailovic, der Enkel des 1946 von der Jugoslawischen Volksarmee hingerichteten obersten Tschetnik-Kommandanten, Draza Mihailovic. Tatsächlich stehen die Tschetniks seit dem 1. Januar – rechtzeitig zum diesjährigen internationalen Gedenkmarathon zur Befreiung vom Nationalsozialismus vor 60 Jahren – offiziell auf der Seite der Guten. Das serbische Parlament hat kurz vor Weihnachten mit überwältigender Mehrheit einem Gesetzesantrag zugestimmt, der von der Serbischen Erneuerungsbewegung des Außenministers Vuk Draskovic eingebracht wurde. Demnach gelten die Tschetniks nun als eine Bewegung, die gegen die deutschen Besatzer und den Faschismus gekämpft haben soll. Sie werden damit den Partisanen rechtlich gleichgestellt und erhalten eine Veteranenrente. Das Geschichtsbild aus kommunistischer Zeit wird auf den Kopf gestellt.

Die Debatte um die nationalistischen Tschetniks rührt an die Grundfesten der serbischen Gesellschaft und ist zentraler Bestandteil der Suche nach einer neuen nationalen »Identität« jenseits von Kommunismus und Jugoslawien, die mit dem Aufstieg Slobodan Milosevics Ende der achtziger Jahre begann. Komplex ist die Debatte nicht zuletzt, weil das offizielle titoistische Geschichtsbild des Zweiten Weltkrieges tatsächlich an wichtigen Stellen revidiert werden muss. So ist beispielsweise die Gleichsetzung von serbischen Tschetniks mit der kroatischen Ustascha unhaltbar. Schließlich hat die Ustascha in Konzentrationslagern eine Politik der industriellen Massenvernichtung von Serben, Juden und Roma betrieben. Das kann den Tschetniks in dieser Form nicht vorgeworfen werden.

Dennoch ist Radoslav Ratkovic von der Vereinigung für die Wahrheit über den Volksbefreiungskampf, einem Verband ehemaliger Partisanenkämpfer, zuzustimmen, wenn er der Jungle World sagt: »Die Tschetniks waren Kollaborateure der deutschen Besatzer.« Zwar räumt auch Ratkovic ein, dass die Königstreuen sich zunächst gegen die Deutschen erhoben haben, wie Tschetnik-Anhänger immer betonen. »Aber als die kommunistischen Partisanen immer stärker wurden«, erklärt Ratkovic, »wechselten die Tschetniks die Seiten und begannen, der Wehrmacht in die Hände zu spielen und sich sogar an ihren Operationen zu beteiligen.« Das kann schwer geleugnet werden. 1943 entzogen die Alliierten den Tschetniks mit dieser Begründung offiziell das Vertrauen und begannen, die Tito-Partisanen zu unterstützen.

Die Rehabilitierung der Tschetniks kommt alles andere als überraschend. Bereits seit Beginn der neunziger Jahre, mit dem Ausbruch der Kriege im ehemaligen Jugoslawien, erlebten sie ein Revival über alle Parteigrenzen hinweg. Dem neuen Gesetz haben alle Parteien zugestimmt. Eine Ausnahme bildeten lediglich die wenigen Sozialdemokraten und die Milosevic-Sozialisten, auch wenn diese mit ihrem Nationalpopulismus vor 15 Jahren die Wiederauferstehung der Tschetniks eingeleitet hatten. Den Ton der Geschichtsdebatten in Serbien geben Leute an wie der Historiker Dusan Batakovic. In seiner Dokumentarfilmserie mit dem blutrünstigen Titel »Das rote Zeitalter« wird suggeriert, die Tito-Partisanen hätten sich im Zweiten Weltkrieg durch »Terror« gleichsam an die Macht geputscht. Die Hauptopfer der kommunistischen Gewaltorgie seien dabei die »serbische Elite, die Jugend und die wohlhabenden Bauern« gewesen, die systematisch liquidiert worden seien.

Gegen die Verbrechen der Kommunisten verblassen in den aktuellen Darstellungen der nationalistischen Historiker sogar die Gräueltaten der Deutschen, die den Krieg im April 1941 mit der Bombardierung Belgrads, der territorialen Zerschlagung Jugoslawiens und der Besatzung Serbiens begonnen haben. Der antisemitische und rassistische Vernichtungskrieg der Wehrmacht mit Geiselerschießungen und Massakern erscheint den glühenden Antikommunisten heute lediglich als eine Reaktion auf »Provokationen« der Partisanen. Diesen soll es dabei angeblich um die »Schwächung des serbischen Volkes« gegangen sein, das den Kommunismus freiwillig nie akzeptiert hätte. Als positives Gegenbild und neue nationale Identifikationsfiguren fungieren stattdessen die umstrittenen Tschetniks. Die Truppe des General Mihailovic habe nämlich die Serben sowohl gegen die Deutschen als auch gegen die Kommunisten verteidigt, lautet der Tenor der Rechten, die inzwischen mit ihren Aussagen die Mitte der Gesellschaft repräsentieren.

Die Rehabilitierung von profaschistischen Bewegungen oder Kollaborateuren ist in den ehemaligen jugoslawischen Ländern alles andere als selten. Erst kürzlich enthüllten albanische Nationalisten im mazedonischen Tetovo ein Denkmal für die Balli Kombetar, die Nationale Front Albaniens, die 1943/44 mit den Deutschen kollaborierte. In Kroatien werden Messen für den Anführer der Ustascha, Ante Pavelic, gelesen, wie Ende Dezember in Zadar.

Mit dem Antikommunismus der neunziger Jahre wurde gleichzeitig ein Anti-Antifaschismus begründet, der zu einer »Normalisierung des Faschismus« beiträgt, wie der Belgrader Soziologe Todor Kuljic analysiert. Mit dem Abschied vom Kommunismus konnte sich so ein buntes Parteienspektrum entwickeln, was im Westen als Demokratisierung gepriesen wird. Dumm ist nur, dass sich darin kaum Demokraten finden.