Krawatte statt Kuffiya

Auf den Anschlag in Gaza reagierte Mahmoud Abbas im Stil Arafats. Die israelische Regierung hat die Kontakte zu seiner Autonomiebehörde suspendiert. von andré anchuelo

In israelischen Medien kursiert neuerdings der sarkastische Witz, der neu gewählte Vorsitzende der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmoud Abbas, sei bloß der wieder auferstandene Yassir Arafat, den man in einen Anzug gesteckt habe. Die Kuffiya, das für Arafat charakteristische Palästinensertuch, sei durch eine Krawatte ersetzt worden. Doch an der palästinensischen Politik habe sich nichts geändert.

Spätestens seit Abbas’ Reaktion auf den palästinensischen Anschlag in der vergangenen Woche, bei dem sechs Israelis getötet wurden, ist der Wahrheitsgehalt dieser Polemik nicht mehr zu übersehen. Am späten Donnerstagabend griffen drei Terroristen den Grenzübergang Karni zwischen Israel und dem Gaza-Streifen an. Zunächst zündeten sie eine per Lkw herangeschaffte 100-Kilo-Bombe und zerstörten damit ein eisernes Tor zwischen der palästinensischen und der israelischen Seite. Nach dem so erzwungenen Grenzübertritt begannen sie, mit Maschinengewehren auf die dort arbeitenden Israelis zu feuern, bevor die drei schließlich durch gezielte Schüsse gestoppt werden konnten. Im Anschluss übernahmen die islamistische Hamas, die Volkswiderstandskomitees und die al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden von Abbas’ Fatah-Bewegung die gemeinsame Verantwortung für den Anschlag.

Abbas brachte zwei Tage später bei seiner Amtseinführung als neuer PA-Chef eine nicht einmal lauwarme Verurteilung des Terroraktes zustande. »Wir verurteilen diese Aktionen, seien es die der israelischen Besatzungskräfte oder die Reaktionen einiger palästinensischer Fraktionen«, sagte der 69jährige. Mit dieser Formel, die auch Arafat gern benutzte, kehrte Abbas die Abfolge von Angriff und Reaktion um. Bereits in den Tagen zuvor hatte es diverse palästinensische Attentate und Raketenangriffe auf Israel gegeben.

Zwar sagte Abbas weiter, er strebe einen »gerechten Frieden« an und strecke seine Hand dem »israelischen Partner« entgegen. Doch auf eine Ankündigung Abbas’, konsequent gegen Terroranschläge und ihre Urheber vorzugehen, wartete man in Israel vergeblich. Stattdessen verwiesen Abbas und seine engsten Mitarbeiter immer wieder auf einen Waffenstillstand, den man mit den bewaffneten Gruppen aushandeln wolle und dessen Abschluss angeblich kurz bevorstehe.

Bereits vor den Wahlen hatte Abbas hingegen erklärt, er werde die palästinensischen Terrororganisationen nicht gewaltsam bekämpfen, eine Position, die er auch jetzt aufrechterhält. Schon wird vor allem in westlichen Medien verständnisvoll erläutert, man könne von Abbas nicht erwarten, einen Bürgerkrieg heraufzubeschwören. Überhaupt müsse er zunächst einmal seine Position festigen, wofür Israel allerlei Vorleistungen zu erbringen habe. Dabei sieht auch der internationale »Fahrplan zum Frieden«, die von Abbas in seiner Antrittsrede erneut akzeptierte Road Map, eine Zerschlagung der terroristischen Infrastruktur vor.

Sprecher der israelischen Armee räumten sogar ein, dass sie von Abbas zum jetzigen Zeitpunkt kein derart umfassendes Vorgehen erwarteten. Aber der PA-Vorsitzende könne immerhin klare Order erteilen, die antiisraelische Hetze in den Medien der Autonomiebehörde einzustellen, das öffentliche Tragen von Waffen verbieten und den Abschuss von Raketen verhindern lassen.

Doch nichts davon ist bislang passiert. Stattdessen hetzte Abbas im Wahlkampf persönlich gegen den »zionistischen Feind« Israel. Gesuchte Terroristen lobte er als »Helden, die für die Freiheit kämpfen«, er ließ sich von ihnen buchstäblich auf den Schultern tragen und überwies ihnen einem Bericht der arabischen Zeitung Al-Quds Al-Arabi zufolge mindestens 100 000 Dollar. Der Fernsehsender der PA strahlte Predigten aus, in denen es hieß, »die Juden sind ein Krebsgeschwür, das sich im Körper der islamischen und arabischen Nation ausbreitet«. Sie seien Schuld an der Flutkatastrophe in Asien und hätten »einen falschen Staat auf dem wahren Land« gegründet, in das die Palästinenser zurückkehren wollten. An der Forderung nach einem »Rückkehrrecht« für Millionen Palästinenser hält Abbas fest.

Trotzdem ist nicht nur bei propalästinensischen Europäern, sondern selbst in den USA die Begeisterung über den im Gegensatz zu seinem Vorgänger Arafat nicht im Kampf-, sondern im maßgeschneiderten Businessanzug auftretenden Abbas so groß, dass das US-Außenministerium Ende Dezember Geld direkt an die Autonomiebehörde überwies. Mit den 23,5 Millionen Dollar, der zweiten Zahlung der USA an die PA überhaupt, wolle man das »Vertrauen in die Richtung des PA-Reformprogramms« unterstreichen, sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums. So erweist sich Abbas einstweilen als der bessere Arafat, »welcher manchmal behauptete, gegen Gewalt zu sein, nie einen Finger rührte, um sie zu stoppen, und immer behauptete, ohne weitere westliche Unterstützung zu schwach zu sein, um Maßnahmen gegen den Terrorismus ergreifen zu können«, wie es bereits vor dem Anschlag von Karni die israelische Tageszeitung Jerusalem Post in einem Editorial zusamenfasste.

Derweil versuchen die bewaffneten Gruppen mit ihren Bombenanschlägen, Schussattacken und Raketenangriffen den Eindruck zu erwecken, Israel ziehe sich wegen des von ihnen aufgebauten »militärischen Drucks« aus dem Gaza-Streifen zurück. So frohlockte ein Sprecher der Volkswiderstandskomitees, die jüngste »Märtyreroperation« sei »ein weiterer Beweis dafür, dass der Feind den Gaza-Streifen unter dem Feuer der Angriffe des palästinensischen Widerstandes räumen wird«. Diesen Eindruck allerdings wird Israels Ministerpräsident Ariel Sharon nicht zulassen können. Nicht nur, weil er gerade erst mühevoll eine fragile Koalition, die seine Abzugspläne unterstützt, neu zusammengezimmert hat, sondern weil ein vermeintlicher militärischer Sieg zu weiteren Terroranschlägen ermutigen würde.

Sharon hat die Kontakte zur PA suspendiert, und schon vor dem Angriff in Karni erklärte der israelische Regierungschef, dass Israel durch einseitige Maßnahmen dem Eindruck entgegentreten werde, es ziehe sich »unter Feuer« zurück, sollte die PA den Terrorismus nicht unterbinden. Nach dem Anschlag wurden die Grenzübergänge zum Gaza-Streifen geschlossen, israelische Kampfhubschrauber und Panzer kamen zum Einsatz.

Eine unumgängliche Machtprobe rückt sowohl für Sharon wie auch für Abbas näher. Spätestens im Sommer, wenn der Rückzug aus dem Gaza-Streifen beginnen soll, wird es sich nicht nur zeigen, ob Sharon seine Koalition zusammenhalten kann, sondern auch, ob Abbas willens und in der Lage ist, die verschiedenen Terrororganisationen in Gaza von weiteren Anschlägen abzuhalten. Falls nicht, wird er auf israelische Unterstützung beim anschließenden Kampf um die Macht in Gaza kaum noch zählen können. Die Tage des Lavierens im Stile Arafats jedenfalls scheinen gezählt. Seine Krawatte mag Abbas außerhalb der Region Pluspunkte bringen, doch in Gaza beeindruckt sie niemanden.