Die RAF wird eingerahmt

Im Museum feiert das europäische Bürgertum seine Siege – auch den über die Stadtguerilla. von peter o. chotjewitz

RAF ins Museum? Warum nicht? Das Museum ist der Ort des bürgerlichen Erinnerns. Der Louvre wurde der Öffentlichkeit zugänglich als Errungenschaft der französischen Revolution, als Paradigma des Sieges der bürgerlichen Klassen über den Adel des alten Regimes, als Inbesitznahme eines abgelebten, um so mehr als edel empfundenen Lebensstils.

Das Bürgertum hat nie so selbstverständlich zu einer Identität gefunden, wie sie vor ihm der Adel besaß, nie wirklich begriffen, dass es seine Existenz einer einst radikal neuen Lebensweise verdankt. Der Makel, seinen sozialen Rang nicht ewigem, metaphysischem Ratschluss zu verdanken, sondern schnödem Gewinnstreben und kapitalistischer Wirtschaftsweise, blieb an ihm haften.

So musste es dem Bürgertum scheinen, aus dem Nichts zu kommen und selber ein solches zu sein – ein Nichts mit einem schlechten Gewissen, unterfüttert mit ständiger Angst, eines Tages selber durch gewalttätige Aktionen von unten gestürzt zu werden.

Man kann das Museum, das massiv und urbanistisch bedrohlich seit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts die Welt unter einem Wust von Geschichte zu begraben versucht, als eine immer mehr in die Breite gehende und oberflächlicher werdende Selbstbeweihräucherung des Bürgertums definieren. Als einen notgedrungen ins Ästhetische abgleitenden Versuch, sich irgendwie doch mit einer Aura zu umgeben, um sich zu legitimieren.

Nicht nur die Gemäldegalerie, die es (am deutlichsten vielleicht in Skandinavien) mit den gemalten Insignien seines eben erst abgesicherten Status (Familie, Villa, Park, die Fabrik im Hintergrund) um neue ikonografische Elemente erweitert. Beredter sind die technischen Museen, wie das Victoria and Albert Museum in London, die Naturkundemuseen, medizinischen, anatomischen, archäologischen Sammlungen, das Überseemuseum mit seinen vielfältigen Raubstücken aus der dritten Welt der eroberten Armuts- und Entwicklungskontinente, Wachsfigurenkabinette, ja, auch die eine Bühne des »teatro della memoria«.

Im europäischen Museum – nimmt man alles zusammen – feiert das Bürgertum seine Siege: über Himmel und Erde, Natur, Mensch und Tier, konkurrierende Völker und Klassen, die Armut der Vergangenheit und die eigene Zukunft. So effektiv war und ist das Museum als zentrale Gedenkstätte der Neuzeit, dass im 20. Jahrhundert auch sozialistische Parteien sich seiner bedienten, um ihren Aufstieg und unwiderruflichen Sieg abzufeiern. Man denke an Stalins Geburtshaus und den zur Sehenswürdigkeit umfunktionierten Heuhaufen, in dem Lenin sich verbarg, als er aus St. Petersburg fliehen musste.

Ich gehe gerne ins Museum, und ich lasse keins aus. Nicht das Heimatmuseum in Bad Hersfeld, wo ich lerne, wie beschwerlich einst das Leben war mit Dreschflegel und Strohsack, nicht das Vulkanmuseum in Mayen mit seinen Stollen, hoch wie eine Basilika, wo einst der Basalt abgebaut wurde, aus dem der Mühlstein entstand, auf dem der Müller das Korn zerrieb. Nicht das Urmensch-Museum in Steinheim an der Murr, wo der Schädel liegt und der Faustkeil, die mir zeigen, wie herrlich weit ich es gebracht habe.

Zu meinen Lieblingsmuseen gehört das Haus der Stadtgeschichte im Hôtel Carnavalet in Paris. In einem Dutzend Modellen sehe ich die geschleifte Bastille – ein imaginäres Museum bürgerlichen Märtyrertums und Symbol der Willkür des Ancien régime, wo de Sade, das unerreichbare Symbol ziviler Libertinage, schmachtete. Überall die Porträts der charismatischen Führer aller Fraktionen, Brissot, Danton, Marat, Robespierre, Saint Just. Überzeugend, wie hier das Bürgertum seine eigenen Revoluzzer per Konterfei abfeiert, wie ungeniert es sich einst zu einer mörderischen Horde von Fanatikern bekennen konnte, die ein Renegat wie unser Bundesinnenminister, lebten sie heute, ebenso ungeniert als »Terroristen« bezeichnen würde.

Besonders liebe ich die Hinrichtungsszenen – der abgetrennte Kopf Ludwigs XVI. auf der Stange, seine Frau Marie Antoinette, noch mit Kopf, aber schon bäuchlings in der Guillotine liegend. So viel Ehrlichkeit, sich in dieser Deutlichkeit zu seinen Siegen zu bekennen, brächte das Bürgertum in seiner heutigen Verfassung nicht mehr auf. Es war nach dem Zweiten Weltkrieg nicht einmal in der Lage, die Fotos der hingerichteten Nürnberger Kriegsverbrecher der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Wo anders als im Museum oder in einer ihm quasi vorgelagerten Ausstellungs-Instanz wie dem Karlsruher ZKM, der Bonner Kunsthalle oder den Berliner »Kunst-Werken« sollte die Bundesrepublik ihre Leidensgeschichte in den Jahren der APO und ihren letztlichen Sieg über die Stadtguerilla darstellen und feiern?

Die Bourgeoisie feiert diesen Sieg, gewiss, seit den ersten Todesschüssen (Weißbecker, Rauch, Schelm). In den Verlautbarungen über die »Nacht von Stammheim« 1977 schwang vom ersten Satz an Erleichterung und Triumph mit, und auch als der vorerst letzte Tote der RAF in Bad Kleinen (1993) als Selbstmörder enttarnt wurde, geschah dies noch mit einem Augenzwinkern.

Und doch wird gerade dieser Sieg merkwürdig verkrampft präsentiert, als wäre es den Siegern lieber gewesen, nicht so blutig zu gewinnen. Als hätten sie vergessen, dass Kriegsgeschichte immer mit Blut geschrieben wird. Warum feiert die Bundesrepublik nicht öffentlich den 18. Oktober, als dem Spuk RAF so oder so ein Ende gesetzt wurde? Warum furzt das deutsche Bürgertum in dieser Sache so verzagt? Warum präsentiert es nicht stolz die Fotos der toten Widerstandskämpfer aus der RAF, dem 2. Juni, den RZ, wenn sich in dieser Auseinandersetzung tatsächlich die wehrhafte Demokratie bewährt hat?

Warum begnügt sich das Justemilieu mit den zwei Dutzend immergleichen Toten, die auf das Konto der Stadtguerilla gehen? Waren das ihre einzigen Verbrechen? Hatten sie nicht viel Ärgeres im Sinn, nämlich die so genannte Revolution, die Entmachtung des Bürgertums durch Enteignung?

Bon, es wird, wie man hört, dieser Tage erstmals einen Versuch geben, den Sieg über die RAF aus den Niederungen der öden Fernsehdokumentationen, unbeholfenen Filmchen, Bücherberge, Talkshows etc. zu heben in die höheren Sphären des Kulturbetriebs, wo mittels Kunst die historischen Ereignisse jene Aura empfangen, die sie zum Mythos machen.

Wir werden uns das Event zu Gemüte führen. Wir ahnen schon, dass sich hier ein weiteres Mal eine satt Staatsknete abgreifende, garantiert englisch firmierende, halbprivate Institution, die vor allem der Karriere ihres Machers dient, ein heißes Eisen untern Nagel reißt, um wenigstens Aufsehen und Empörung zu erregen. Noch schlummert manches im Dunkeln. Von einem der Mitmacher liegt bislang ein Fotobuch vor, das brav alle Toten beider Seiten auflistet, als ob es beim Krieg RAF versus BRD am Ende nur um den Bodycount gegangen sei. Ein anderer Mitmacher teilte vorab mit, seine Mutter habe zu »einigen Wenigen« gehört, die »in absoluter Selbstüberschätzung und Verblendung Waffen in die Hand genommen und sich zu Richtern über Leben und Tod aufgeworfen haben«.

Nun ja, die Bourgeoisie hatte immer eine Menge Würmer im Leib, und warum sollte ein Sohn seine Eltern verstehen? Für die Kunst ist so viel Unverständnis vielleicht sogar von Vorteil.