Auf neutralem Boden

Eine Ausstellung dokumentiert das Treffen zwischen Kennedy und Chruschtschow 1961 in Wien. von jens kastner

Als der erweiterte Bundesvorstand der österreichischen Grünen Ende Oktober einen Grundsatzbeschluss über die »Vergemeinschaftung der Außenpolitik« gefasst hatte, war die Verwunderung groß. Europa müsse die Verantwortung für seine Sicherheit selbst übernehmen, hieß es da, und dazu müssten auch die »sicherheitspolitischen Sonderstellungen der einzelnen Mitglieder« fallen.

Damit stellten die Grünen die Neutralität Österreichs in Frage, was bis dahin eigentlich Sache der Rechten war. Beide Regierungsparteien, die konservative Volkspartei (ÖVP) wie die rechten Freiheitlichen (FPÖ), kommen in ihren Programmen zu dem Schluss, die Neutralität habe nach dem Ende des Kalten Krieges ihre Funktion verloren. Nach der ersten Aufregung erklärten die Grünen geschickt, zuerst müsse die gemeinsame Militärmacht Europa entstehen, und erst dann könne der neutrale Status fallen. So transformierten sie die alte Forderung »Raus aus der Nato« in ein weiteres Attraktivitätsplus, das sie als künftiger Juniorpartner für die Konservativen interessant macht.

Und dabei war die Neutralität doch die Bedingung für die Souveränität des Staates Österreich. Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland wurde Österreich per Staatsvertrag von 1955 zum souveränen Staat. Die Alliierten zogen ab, und Österreichs Außenminister Leopold Figl rief vom Balkon des Schlosses Belvedere: »Österreich ist frei!« Er hatte es hatte kurz vor Vertragsabschluss noch erreicht, dass die Klausel über Österreichs Mitverantwortung am Zweiten Weltkrieg gestrichen wurde.

So können sich bis heute alle freuen und tun dies in diesem Jahr ganz besonders. Denn der Krieg ist seit 60 Jahren vorbei, der Staatsvertrag wird 50, und seit zehn Jahren ist Österreich Mitglied der Europäischen Union. Im Kontext dieses Jubeljahres steht auch die derzeitige Ausstellung im städtischen Wien Museum.

Wien wurde 1961 vor anderen möglichen Orten wie Oslo, Helsinki und Genf dazu auserkoren, derjenige neutrale Boden zu werden, auf dem der damalige US-Präsident, John F. Kennedy, und der Ministerpräsident der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow, sich erstmals treffen sollten. Um sich, wie es auch offiziell hieß, kennen zu lernen. Das Treffen fand am 3. und 4. Juni statt. Beide Staatsmänner brachten ihre Gattinnen mit, Nikita und Nina Chruschtschow reisten am Freitagnachmittag mit dem Zug aus der Tschechoslowakei an, John und Jackie Kennedy flogen am nächsten Morgen ein. Und zwar mit zwei Stunden Verspätung, weil Frau Kennedy in Paris einen Koffer verloren hatte. Das ist wichtig, denn sonst passierte anscheinend nicht viel. Auf der Pressekonferenz am Sonntagnachmittag bezeichneten beide Staatsmänner das Treffen als »nützlich«. Neun Wochen später begann der Bau der Berliner Mauer.

Bedeutend war das Treffen wohl weniger für die Weltpolitik als für die Stadt Wien, die sich wieder als Weltstadt präsentieren konnte und sich fortan als Zentrum internationaler Konferenzen zu etablieren wusste. Allerdings setzte man mit dem Abendessen in Schloss Schönbrunn, dem Besuch in der Spanischen Hofreitschule und allem Pipapo bewusst auf alten Glanz statt auf Modernität. Eine konsequente Entscheidung, denn was die Stadt, deren intellektuelles Leben dem Antisemitismus der dreißiger Jahre zum Opfer gefallen war, an Modernität zu bieten gehabt hätte, ist am Schicksal Nina Chruschtschows zu erahnen: Die sowjetische First Lady, die das offizielle Besichtigungsprogramm bereits beim Vorjahresbesuch durchlaufen hatte, war dazu verdammt, eine Modenschau mit der aktuellen österreichischen Skimode über sich ergehen zu lassen.

Die Interpretation dessen, was die Gattinnen so trieben, während ihre Männer sich in der US-amerikanischen und der sowjetischen Botschaft unterhielten, war eine aus der Not geborene mediale Neuerung. 1 500 JournalistInnen weilten an diesem Wochenende in der Donaumetropole, und das zu Zeiten, als die Reporter noch ins nächste Lokal rennen mussten, um die Neuigkeiten per Telefon durchgeben zu können. Zu berichten hatten sie allerdings nicht viel. Denn erst seit 1990 sind die Wiener Gespräche der beiden Staatschefs in den US-Archiven zugänglich. Um deren inhaltliche Auswertung schert sich die Ausstellung allerdings nicht. Chruschtschow wollte Kennedy zum Abzug der US-Armee aus West-Berlin bewegen und drängte auf den Abschluss eines Friedensvertrags, der 16 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg längst überfällig sei. Kennedy beharrte auf den Rechten, die sich die USA im Krieg erworben hätten, und betonte die Wichtigkeit Berlins für die Glaubwürdigkeit der USA. Ein Einknicken in der Berlin-Frage würde die internationale »Isolation« der Vereinigten Staaten zur Folge haben.

»Historisch-kritisch« wende sich die Ausstellung dem Mythos Kennedy und dem Treffen in Wien zu, so die Kuratoren. Offen bleibt allerdings, welche Art von Kritik uns Ausstellungsexponate wie das rote Schönbrunner Sofa aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, auf dem die Staatsmänner saßen, oder der Fleedwood Cadillac, in dem die Kennedys durch Wien rauschten, vermitteln sollen. Dieses Museumsinventar repräsentiert aber sicherlich noch besser das Gipfeltreffen als das »Wrackteil eines abgeschossenen F-105 US-Jagdbombers in Vietnam, um 1965« den Vietnam-Krieg zu Zeiten Kennedys.

Die Schau ist die zweite Station der Kennedy-Ausstellung, die 2003 anlässlich des 40. Jahrestages von Kennedys Berlin-Besuch im Deutschen Historischen Museum stattfand. Mit ein bisschen weniger Berlin und dafür einem »Wien Special«. Sie zeigt, dass Herr Kennedy eine glamouröse Figur war und Frau Kennedy auch, dass sie einen neuen Stil in die Politik einführten und dass ihre Jugendlichkeit und Dynamik mediengerecht inszeniert waren. Und wir sehen auch, dass dieser stilechte, mediale Mythos in zeitgenössischer Kunst (Warhol etc.) ebenso Ausdruck fand wie in zeitlosem Kitsch. Aber all das wussten wir schon.

Private Fotoalben von und Interviews mit irgendwelchen Österreichern, die beim Gipfeltreffen in Wien dabei waren, vermitteln einen Eindruck der Begeisterung, die der Polit-Popstar insbesondere in der Alpenrepublik auslöste. Die erste Visite eines amtierenden US-Präsidenten, auch wenn es kein offizieller Staatsbesuch war, wertete auch das Land auf, das sich damals noch mehr als heute für »Hitlers erstes Opfer« hielt. Auch in der Rückschau noch nennt der Direktor des Wien Museums, Wolfgang Kos, das Gipfeltreffen »eines der wichtigsten Wochenenden der zweiten Republik«. Damals sei die Neutralität mit Inhalt gefüllt worden. Dass Österreich auch ohne sie ganz gut auskommt, daran wird gearbeitet.

»John F. Kennedy. Special: Gipfel Wien 1961. Chruschtschow und Kennedy«. Wien Museum, Karlsplatz. Bis 24. April