»Der Kampf hat sich gelohnt«

Hans Schuierer

Am 4. Februar 1985 teilte die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen (DWK) ihre Entscheidung mit, im bayerischen Wackersdorf eine Wiederaufbereitungsanlage (WAA) zu errichten. In der Folge kam es zu einer der härtesten Auseinandersetzungen um die Nutzung der Atomkraft in Deutschland. Hans Schuierer (SPD) war von 1970 bis 1996 Landrat im Landkreis Schwandorf, zu dem Wackersdorf gehört. Er wurde wegen seines Engagements im Widerstand gegen die WAA zu einem Widersacher der bayerischen Staatsregierung. Mit ihm sprach Stefan Wirner.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heute an die damalige Zeit zurückdenken?

Ich denke mit gemischten Gefühlen zurück. Auch mit Schrecken. Für unsere Region war das eine furchtbare Zeit. Wenn man sich vorstellt, wie viele Strafverfahren gegen friedliche Demonstranten liefen. Wie sich die Polizeiführung verhielt. Das muss man erlebt haben. Wenn man sich Filme von damals ansieht, dann kommt einem der Zorn hoch. Die Polizeihunde, die Schlägertrupps aus Berlin, wie die gewütet haben.

Doch der fünfjährige Kampf hat sich gelohnt. Wir haben an dem Standort, wo die WAA errichtet werden sollte, inzwischen ein Industriegebiet und somit einen guten Tausch gemacht. Anfangs versprach die Betreibergesellschaft DWK 3 200 Arbeitsplätzen in der WAA, später 1 600, dann 1 200. Im Industriegebiet haben wir heute ungefähr 4 000 Arbeitsplätze.

Die Oberpfalz war als Standort für die WAA vorgesehen, weil man annahm, dass der Widerstand dort klein bleiben würde.

Damals mussten die Maxhütte und die bayerische Braunkohlenindustrie, zwei riesige Betriebe, zeitgleich schließen. Die Arbeitslosenrate lag bei uns um die 20 Prozent. Deshalb meinte die bayerische Staatsregierung, dass es leichter sei, die WAA bei uns anzusiedeln. Außerdem wurde von einer industriefreundlichen Bevölkerung gesprochen. Industriefreundlich ist unsere Bevölkerung, aber wir wollten diesen gefährlichen Betrieb nicht.

Wie war auf den Demonstrationen das Verhältnis von Oberpfälzern und Auswärtigen?

Die Staatsregierung und die Polizeiführung behaupteten immer, es handele sich durchweg um auswärtige Chaoten und Unruhestifter. Aber davon konnte keine Rede sein. Es waren 80 bis 90 Prozent Einheimische beteiligt, aber sicher auch einige Autonome, die die Gelegenheit nutzten, Wirbel zu machen. Die wurden dann immer sehr schnell verhaftet und der Presse vorgeführt: Da schaut her, das sind die Auswärtigen.

Viele Wackersdorfer sollen sich über die Unterstützung gefreut haben und beherbergten Leute oder versteckten sie vor der Polizei.

Ich muss ganz ehrlich sagen: Wir haben diese Autonomen auch gebraucht. Denn die Regierung hätte uns noch zehn Jahre um den Zaun rumtanzen lassen. Aber wir waren gegen Gewalt. Mit Zwillen gezielt auf Menschen zu schießen, haben wir abgelehnt. Wir wollten keine Menschen verletzen. Ich habe mich da immer vermittelnd eingeschaltet. Deswegen bin ich der Prügelknabe beider Seiten geworden. Aber an und für sich waren wir auch bereit, diesen Zaun abzureißen.

Sie sollten ja auch des Amtes enthoben werden.

Es lief ein Disziplinarverfahren, das sich über vier Jahre hinzog. Man wollte mich mundtot machen. Denn ich hatte ungeheueren Rückhalt in der Bevölkerung.

Es wurde eine »Lex Schuierer« erlassen.

Die gibt es immer noch, sie wurde nicht wieder aufgehoben. Es ist das »Selbsteintrittsrecht« des Staates. Nach unserem Gesetz ist es so, dass die Genehmigung in so einem Verfahren im Landratsamt erteilt wird. Der Landrat entscheidet als letzte Instanz darüber. Und ich habe eine Genehmigung für diese atomare Anlage abgelehnt. Genauso beim Bebauungsplan, bei allen Vorgängen, die über das Landratsamt liefen. Daraufhin haben sie das Selbsteintrittsrecht beschlossen. Das bedeutet, dass der bayerische Staat selbst »eintreten« kann, wenn etwa der Landrat eine Genehmigung verweigert. Sie haben mich entmachtet. Das ist das ganze Geheimnis der Lex Schuierer. Das Gesetz gilt heute in ganz Bayern.

Trotz dieser Auseinandersetzung blieb die CSU in den Wahlen in Bayern immer erfolgreich.

In unserer Gegend hat es sich stark ausgewirkt. Die Direktmandate der CSU fielen damals an die SPD. Allerdings erzielt die CSU heute wieder dieselben Ergebnisse wie früher. So läuft es halt in Bayern.

Warum haben Sie sich so gegen die WAA engagiert ?

Weil ich sie viel zu gefährlich fand. Ich hatte die Möglichkeit, die Unterlagen genau zu studieren. In der Baubeschreibung hieß es zum Beispiel, dass über einen 200 Meter hohen Kamin laufend radioaktive Schadstoffe abgegeben würden. Dann habe ich gefragt, wozu man einen 200 Meter hohen Kamin braucht. Damit die radioaktiven Schadstoffe möglichst weit verteilt werden, war die Antwort. Da habe ich gedacht, wenn das schon im Normalfall gefährlich ist, um wie viel gefährlicher ist es, wenn ein Ernstfall eintritt.

1989 erklärte die DWK ihren Verzicht auf den Bau der WAA. Was waren Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

Eindeutig der Widerstand der Bevölkerung. Der damalige Veba-Chef Rudolf von Bennigsen-Förder sagte bei der Bekanntgabe: Man kann gegen den Willen der Bevölkerung eine solche Anlage nicht errichten. Kurz darauf ist er gestorben. Und die DWK hatte ungefähr zwei Milliarden Mark in den Sand gesetzt.

Der Tod von Franz-Josef Strauß 1988 spielte keine Rolle?

Der hatte nicht das Geringste damit zu tun. Ich habe schon damals gesagt, dass Franz-Josef Strauß bereits den Rückzug antrat, das konnte man seinen Reden entnehmen. Strauß wäre allerdings nicht so dumm gewesen wie seine Nachfolger. Er hätte selbst bekannt gegeben, warum Wackersdorf eingestellt wird. In solchen Fragen hat Strauß immer sehr schnell reagiert.

Die Entsorgung der verbrauchten Brennstäbe wird nun in Zusammenarbeit mit Frankreich betrieben. Der radioaktive Abfall kommt zurück und wird in Gorleben gelagert.

Ich war einige Male in Gorleben, ich habe auch dort auf Demonstrationen gesprochen. Ich bin zwar der Meinung, dass man ein Endlager braucht für dieses Material, das momentan in der ganzen Welt herumliegt. Aber es muss ein geeigneter Platz gefunden werden. Wie es momentan läuft, halte ich für unverantwortlich. Dass an jedem Atomkraftwerk ein Zwischenlager existiert, ist ja keine Lösung. Ob Gorleben für ein Endlager taugt, weiß ich nicht.

Wie zufrieden sind Sie mit der Atompolitik der Bundesregierung? Die deutschen Atomkraftwerke haben 2004 mehr Strom produziert als 2003, nämlich 167 Milliarden Kilowattstunden.

Der beschlossene Ausstieg ist das Resultat der rot-grünen Politik. Dass zu wenig vorangetrieben wird und man zu nachgiebig ist, finde ich nicht gut. Ich hätte den Ausstieg gerne etwas schneller. Aber noch kann ich nicht sagen, dass die Bundesregierung etwas getan hätte, was ich unbedingt verurteile.

Aber die Bundesregierung setzt das angebliche Zwischenlager in Gorleben durch.

Das Endlager ist eine Aufgabe der Bundesregierung. Irgendwo muss es eingerichtet werden, da gibt es keinen Ausweg.

Momentan produziert man den Müll weiter, obwohl man kein Endlager hat.

Das finde ich verbrecherisch, dass man nach wie vor die Atomkraftwerke betreibt und dass manche neue Atomkraftwerke bauen wollen, obwohl die Frage des Endlagers nicht gelöst ist.