Die Solidargemeinschaft

Die Solidarität mit der im Irak verschwundenen Reporterin der Libération, Florence Aubenas, wird zur Kampagne ausgebaut. von bertold du ryon

Was würde Florence Aubenas wohl dazu sagen? Wäre ihr diese teilweise ausgesprochen selbstgefällige und entpolitisierende Solidaritäts-Show recht?

Vor wenigen Jahren gab die Reporterin zusammen mit dem einst aus Argentinien nach Frankreich geflohenen Philosophen Miguel Benasayag ein Buch mit dem Titel »La fabrication de l’information« heraus. Darin nimmt sie die mediale Kulturindustrie und ihre Ideologie äußerst kritisch unter die Lupe. In einem anderen gemeinsamen Buch – »Résister, c’est créer« – beschreiben Aubenas und Benasayag innovative oder subversive Praktiken sozialer Bewegungen, von Erfahrungen alternativer Psychiatrie über landlose Bauern in Lateinamerika bis zur französischen Sans-papiers-Solidaritätsbewegung. Eine typische Vertreterin des Jet-Set- oder Infotainment-Journalismus war Florence Aubenas also gerade nicht.

Die Journalistin der linksliberalen Pariser Tageszeitung Libération – das vor 32 Jahren gegründete Blatt galt als Vorbild für die deutsche taz – wird seit dem 5. Januar im Irak vermisst. Ebenso fehlt seitdem jegliches Lebenszeichen von ihrem Fahrer und Dolmetscher, Hussein Hanoun al-Saadi. Ohne solche ortskundigen Guides können sich ausländische Journalisten derzeit im Irak nicht mehr bewegen. Aber selbst in Begleitung von Irakern genießen sie offenkundig keine Sicherheit mehr.

Zuletzt hatten sich im vorigen Jahr die beiden französischen Journalisten Christian Chesnot und Georges Malbrunot im Irak in vier Monate währender Geiselhaft befunden. Zu der Entführung hatte sich eine bewaffnete Islamistengruppe bekannt. Die Motive für die derzeitige Geiselnahme scheinen aber andere zu sein: Bislang gibt es weder ein öffentliches Bekenntnis irgendeiner identifizierbaren Gruppe zu der Tat noch offizielle Forderungen. Das unterscheidet diesen Fall von allen bisherigen politisch motivierten Geiselnahmen. Deswegen geht Libération-Herausgeber Serge July derzeit davon aus, dass die Hintergründe des bisher spurlosen Verschwindens von Florence Aubenas und ihres Begleiters eher im Bereich von Kriminalität und Banditentum zu suchen seien.

Seit dem Verschwinden von Aubenas und Hanoun al-Saadi hat die Redaktion einige Anstrengungen unternommen, den Fall der Journalistin in der Öffentlichkeit präsent zu halten. Porträtfotos schmücken seit Mitte voriger Woche die Statue auf der Place de la République, einem der meist befahrenen Plätze in der französischen Hauptstadt. Der Redaktionssitz von Libération liegt nur eine Seitenstraße weiter. Bei der Anbringung der beiden riesigen Fotografien versammelten sich einige hundert Menschen, darunter viele Journalisten sowie die Eltern von Florence Aubenas.

Auch auf mehreren Veranstaltungen bekundeten Pressevertreter, Intellektuelle und Künstler ihre »Solidarität mit Florence Aubenas«, worüber Zeitungen und Fernsehen wiederum ausführlich berichteten. Bereits am 13. Januar fanden sich zu diesem Zweck mehrere hundert Menschen im Institut du Monde arabe (IMA) ein, einem prominenten Kulturinstitut unweit des Stadtzentrums.

Auf diesen Veranstaltungen feiert das journalistische Milieu zumeist sich selbst. In inhaltsleeren und mitunter pathetisch vorgetragenen Beiträgen wird immer wieder die Solidarität mit einer Kollegin beschworen.

Christian Chesnot, seit dem 22. Dezember wieder in Frankreich befindliche ehemalige Geisel und Mitarbeiter von Radio France International, beschwor gar die »nationale Einheit« und den »Schulterschluss von Links und Rechts« angesichts der Bedrohung einer Kollegin. Was genau solche Bündnisse bringen sollen – außer der Erzeugung eines patriotischen Gefühls –, wurde dabei aber nicht klar. So legitim das Bekunden von Solidarität mit der entführten Journalistin ist, so sehr blieben die Beiträge floskelhaft – und wenn davon genügend abgesondert sind, geht man zum geselligen Teil und zum Schnittchenbüffet über.

Ein Aktivist der linken Vereinigung Solidarité Irak, der ein paar Flugblätter verteilte, wurde am Rande der Veranstaltung im arabischen Kulturzentrum in polizeilichen Gewahrsam genommen und nach peinlich genauer Personalienkontrolle vor die Tür gesetzt. Die Gruppe von Gegnern des letzten Irak-Kriegs bezieht sich vor allem auf soziale Bewegungen und Frauenvereinigungen sowie auf die irakischen Arbeiterkommunisten, während sie den islamistischen Jihad-Aktivismus und andere reaktionäre »Widerstandskräfte« explizit ablehnt. Bereits während der vorherigen Geiselaffäre hatte sie sich mit den entführten Journalisten solidarisch erklärt. Anlässlich der IMA-Veranstaltung mühte die Gruppe sich darum, das Augenmerk auch auf das Schicksal der irakischen Bevölkerung zwischen Besatzung, Privatisierung und Terror zu lenken.

Seitdem hat das Journalistenmilieu, das sich für Florence Aubenas und Hussein Hanoun Al-Saadi einsetzt, sich allerdings darum bemüht, die Solidarität stärker mit einem gesamtgesellschaftlichen Interesse und allgemeinen Prinzipien zu verbinden. So wird in einem Manifest, das von Vertretern fast aller größeren Medien unterzeichnet worden ist, auf die »Verteidigung der Pressefreiheit als Grundrecht« Bezug genommen.

Damit knüpft es an den Schlagabtausch zwischen Präsident Jacques Chirac und Libération-Herausgeber July zu Beginn der Entführungsaffäre an: Bei der Vorstellung seiner Neujahrswünsche für die französische Presse hatte Chirac diese aufgefordert, keine Journalisten mehr in den Irak zu schicken, da deren Freikauf den Staat und die Nation zu teuer zu stehen komme.

Darauf hatte July in einem Leitartikel erwidert: »An dem Tag, an dem keine Journalisten mehr in Bagdad sind, werden US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und der Vertreter von al-Qaida im Irak (…) die hauptsächlichen Informationsquellen sein.« Bereits während des Irak-Kriegs sei durch die weitgehende Beschränkung der journalistischen Präsenz auf das »Einbetten« in kämpfenden Einheiten eine historisch neue Stufe der Kanalisierung von Information erreicht worden.

Bis vor kurzem waren zehn Journalistinnen und Journalisten der Libération im Irak, die sich seit dem Kriegsbeginn dort abwechselten. Derzeit ist die Redaktion nicht an Ort und Stelle vertreten, sieht man von der unfreiwillig präsenten Florence Aubenas ab. Doch wollte Serge July in seiner Antwort an Chirac es nicht ausschließen, dass man erneut in den Irak reise, wenn es denn der Freilassung seiner Redaktionskollegin förderlich sein könne.