He’s bad

Die Vorverurteilung Michael Jacksons

Glaubt man der Anklageschrift, dann ist Michael Jackson nicht nur einer, der auf kleine Jungs steht, er ist zudem auch noch das, was jetzt auf dem Buchmarkt wieder ganz ironiefrei »weißer Neger« heißt.

Noch immer ist Michael Jackson derjenige, dessen Album »Thriller« zu den meistverkauften der Welt gehört, noch immer ist er eine Ikone der 80er, noch immer gehört sein »Moonwalk« zum Standartrepertoire aller ambitionierten Diskotänzer, wird seine Musik auf allen Sendern weltweit gespielt. Doch bereits jetzt ist er für die Welt »der einstige ›King of Pop‹«, für Bild »ein Gratwanderer zwischen Wahn und Genie«, für den Spiegel ein »blasser Zombie«. Der Reigen der herabsetzenden Zitate ließe sich endlos fortsetzen.

Sollte Jackson tatsächlich all das begangen haben, was ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft, wväre das verwerflich. Doch es ist interessant, dass bei dem Prozess, der am Montag eröffnet wurde, der Popstar schon im Vorhinein als der Täter feststeht, und dass der Fall ganz offensichtlich nicht ohne eine mehr oder weniger unterschwellige Häme kommentiert werden kann.

Selbstredend hat Michael Jackson als Superstar fast alles falsch gemacht. Er hat sich nicht zurückgezogen auf eine Masche, als sein Stern sank, sondern – sein vielfach als gescheitert behandeltes, allerdings dennoch millionenfach verkauftes letztes Album »Invincible« erwies dies nur zu gut – sich noch immer an neue Moden hängen wollen, anstatt sich, wie es der Kollege Prince tut, zu »verklassikern«. Er hätte sich rar machen können, denn der Erfolg von »Thriller« ließ sich nicht wiederholen. Nun aber gilt er als Versager, weil seine späteren Alben eben nicht mehr Megamegamegaseller waren, sondern nur Megaseller. Dass er dazu noch, anstatt den schwarzen Diskobarden zu geben, sein Gesicht weißte und umoperieren ließ, dass er um Liebe buhlte, dass er seine dünne Stimme kultivierte und sich schüchtern gab, dass er schließlich gleichzeitig als »King of Pop« auftrat und auf seiner Ranch mit Spielzeug spielte, zerstörte sein Image zusehends. Michael Jackson war kein Mann mehr, kein Star mehr. Eine Frau war er aber auch nicht. Nicht einmal offen schwul war er.

Die Kindesmissbrauchsvorwürfe boten da nur noch eine Gelegenheit, um ihn verhöhnen zu können, denn es stand eh stets fest – allen Dementis zum Trotz –, dass seine Kinder nicht von ihm seien, dass seine Gattinnen nicht mit ihm schliefen etc. Michael Jackson ist im öffentlichen Ansehen nichts weiter als eine niedrige, widerliche Kreatur, die zufällig superreich ist. Es ist in dieser Gesellschaft jedem erlaubt, über die zu scherzen, die keine greifbare, verlässliche Identität haben, denn ohne diese haben sie keinen Wert. Die klagenden Kinder und ihre besorgten Eltern bieten bei diesem Spektakel nur den Anlass, um sich prächtig auf Kosten dieses Menschen zu amüsieren, der, wäre er nicht schwarz, nicht so erfolgreich und nicht vielleicht sogar noch homosexuell, eben nur als ein durchaus bemitleidenswerter Exzentriker mit einer »fatalen Neigung« zu kleinen Jungs gelten würde.

jörg sundermeier