Revolte im Schnee

In Algerien revoltiert die Bevölkerung gegen die Erhöhung der Gas- und Benzinpreise. Die Regierung will ihre Privatisierungspolitik dennoch fortsetzen. von bernhard schmid, paris

Eine Revolte, die daraus resultiert, dass viele Bürger sich die Gasflaschen zum Heizen und die täglichen Busfahrten nicht mehr leisten können, hätte man in einem Land, das zu den größten Exporteuren von Erdöl und Erdgas zählt, nicht unbedingt erwartet. Dennoch erschütterten solche Unruhen in den vergangenen beiden Wochen größere Teile Nordalgeriens. In den Bezirkshauptstädten Djelfa, Bouria, Tlemcen und Tiaret wurden zahlreiche staatliche Gebäude angegriffen oder in Brand gesetzt. Straßen wurden mit brennenden Autoreifen blockiert. Die Polizei- und Anti-Aufstands-Einheiten setzten Tränengas und Hunde gegen aufgebrachte Demonstranten ein, konnten jedoch nur mühsam die Kontrolle wieder gewinnen.

Seit dem Frühjahr 2001 ist es zu einer Vielzahl lokaler, oft spontaner Erhebungen gekommen. Im vergangenen Jahr beschloss das algerische Regime, dass die Teilnehmer und vor allem die »Rädelsführer« von Elendsrevolten oder Bürgerprotesten nicht mehr straffrei davonkommen sollten. Am Dienstag der vergangenen Woche wurden 33 zum Teil jugendliche Angeklagte aus al-Birine im Bezirk Djelfa abgeurteilt, sechs von ihnen erhielten mehrmonatige Haftstrafen ohne Bewährung. Weitere Prozesse stehen bevor.

Am 14. Januar trat die jüngste Preiserhöhung für Butangasflaschen und für Diesel in Kraft. Die Gasflasche kostet nunmehr 200 Dinar (rund zwei Euro) statt 157 Dinar. Eine Familie benötigt im Winter etwa sechs Gasflaschen pro Monat zum Heizen und Kochen. Der gesetzliche Mindestlohn in Algerien beträgt derzeit umgerechnet 120 Euro, und Arbeitslose erhalten monatlich zwischen zehn und 30 Euro Unterstützung.

Die Ankündigung kam zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. In derselben Woche schneite es in den höher als 200 Meter gelegenen Gebieten Nordalgeriens. Sogar in der Sahara-Stadt Ghardaïa, wo ein solcher Kälteeinbruch völlig ungewohnt ist, fiel Schnee.

Nach einem dreijährigen, zeitweise heftigen Konflikt mit dem Gewerkschaftsdachverband UGTA will die Regierung nunmehr im März definitiv den Gesetzentwurf zur Teilprivatisierung der algerischen Erdöl- und Erdgasindustrie ins Parlament bringen. Anfang Januar hat UGTA-Generalsekretär Abdelmajid Sidi-Saïd die Kapitulation des Gewerkschaftsbunds in dieser höchst konfliktträchtigen Frage erklärt. Auch innerhalb der Oligarchie gab es bis zur Präsidentenwahl vom Vorjahr erhebliche Widerstände gegen diese Pläne, die für das Land, dessen Exporteinnahmen zu 97 Prozent vom Öl- und Erdgasexport abhängen, extrem riskant ist.

Die Naftal, der für die Vermarktung der Ölprodukte zuständige Ableger des bisherigen Erdöl- und Erdgasmonopolisten Sonatrach, soll möglicherweise schon bald für westliches Kapital geöffnet werden. Um Investoren anzulocken, soll nun die Gewinnmarge erhöht werden.

Die westlichen Staaten und die Welthandelsorganisation (WTO) drängen auf Privatisierung. Ende Februar werden die Verhandlungen über einen Beitritt Algeriens zur WTO in Genf wieder aufgenommen. Die WTO will nicht akzeptieren, dass die Energiepreise im Inland geringer sind als die Exportpreise. Dies sei eine unzulässige Diskriminierung wirtschaftlicher Akteure.

Algerien vereinheitlichte zunächst die Tarife im Inland. Damit ist nach Ansicht der Regierung die Diskriminierung beseitigt, weil ein ausländischer Investor in Algerien ebenso günstige Versorgungspreise zahle wie algerische Betriebe oder Haushalte. Ob das Argument von der WTO akzeptiert wird, bleibt fraglich. Die Regierung beschloss auch eine Anhebung der Preise für Raffinerieprodukte im Inland. Doch wenn der Butangaspreis weiter steigt, dürfte die Regierung auch mehr Tränengas benötigen.