Roma à la carte

Mit der heute beginnenden Dekade der Roma-Integration wollen EU und Weltbank die Assimilation osteuropäischer Roma befördern. von aleksandros xenakis

Es klingt wie eine Vision: Bis zum Jahr 2015 soll der soziale Abstand zwischen den Roma und der Mehrheitsbevölkerung abgebaut sein. Heute fällt in Sofia der Startschuss für die »Decade of Roma Inclusion« oder auch »Romadekade«, wie sie verkürzt genannt wird. Der Name ist betont politisch korrekt gewählt; die Roma sollen nicht integriert, sondern einbezogen werden. An der Initiative beteiligen sich die Regierungen von acht osteuropäischen Staaten: Bulgarien, Kroatien, die Tschechische Republik, Ungarn, Mazedonien, Serbien und Montenegro, Rumänien und die Slowakei und die EU-Kommission. Dahinter profilieren sich die Weltbank und das Institut des Devisenmaklers Georges Soros, Open Society Institute.

Anlässlich einer Konferenz in Budapest, die vor knapp zwei Jahren den Anstoß für die Dekade lieferte, legte die Weltbank eine Studie vor, die ein alarmierendes Bild von der Lage der Roma in Osteuropa zeichnete. Roma hätten ein vielfach höheres Risiko, in Armut zu versinken. Die Arbeitslosenrate betrage in manchen Romasiedlungen annähernd 100 Prozent. Die Kindersterblichkeit sei mindestens doppelt so hoch wie in der Mehrheitsbevölkerung, dagegen liege die Lebenserwartung zehn bis 15 Jahre unter dem gesellschaftlichen Durchschnitt.

In den vergangenen zwei Jahren einigte man sich auf gemeinsame Schwerpunktthemen für die Dekade: Bildung, Wohnen und Arbeit und Gesundheit. Armut, die Situation der Romafrauen und Diskriminierung sollen in allen drei Themenbereichen angesprochen werden. Den einzelnen Regierungen bleibt es überlassen, konkrete Aktionspläne auszuarbeiten.

Spekuliert wird auf den so genannten Mitnahmeeffekt oder auf »peer pressure«, wie das auf Englisch heißt. Doch wie wenig das in der Praxis funktioniert, zeigt sich am Beispiel Serbien und Montenegro: In der letzten Woche verkündete eine Romaorganisation aus Nis, dass die Regierungen Serbiens und Montenegros und der gemeinsame Ministerrat die nationalen Aktionspläne für die Dekade noch nicht ratifiziert hätten. Die slowakische Regierung beschloss ihrerseits, die 25,3 Millionen Euro, die sie im ersten Jahr für Maßnahmen im Bereich Beschäftigung bereitstellen will, zwischen Roma »und anderen benachteiligten Bevölkerungsgruppen« aufzuteilen. Schließlich wolle man das Geld nicht nach ethnischen Kriterien verteilen, heißt es zur Begründung aus dem Arbeitsministerium.

Hoffnungen auf einen Geldsegen sind also fehl am Platz. Mit Ausnahme des Roma Education Fund, der eine separate Initiative darstellt und überwiegend vom Open Society Institute finanziert wird, ist die finanzielle Ausstattung der Dekade äußert dürftig. »Die Dekade ist keine neue Institution oder ein bürokratischer Apparat. Sie ist auch kein neuer Geldtopf«, erklärt die Weltbank auf ihrer Webseite. Vielmehr werden die Regierungen dazu angehalten, Gelder umzuschichten.

Von Seiten der EU stehen Mittel aus dem Beitritts- und den Strukturfonds bereit. Allerdings scheiterte deren Nutzung für Romaprojekte bereits in der Vergangenheit oft daran, dass Lokalpolitiker es vorziehen, keine Gelder aus Brüssel anzunehmen, um sich bloß nicht dem Vorwurf auszusetzen, Roma zu begünstigen. Hoffnungen, dass das mit der Romadekade auf einmal anders wird, weil Initiativen zugunsten der Roma plötzlich erwünscht sind, scheinen unbegründet. So erachtete es der slowakische Premierminister Mikulas Dzurinda nicht einmal für nötig, am Eröffnungszeremoniell teilzunehmen. Es ist gerade mal ein Jahr her, dass sich seine Regierung dadurch auszeichnete, dass sie die Armee und bewaffnete Polizeieinheiten gegen Roma aufmarschieren ließ, die sich gegen eine drastische Kürzung der Sozialhilfe zur Wehr setzten.

Doch selbst wenn ausreichend Geld und der nötige politische Wille vorhanden wären, wäre die Initiative zweischneidig. Zu sehr klingt das alles nach der Geschichte vom weißen Mann, der es sich zur Aufgabe macht, die armen Wilden zu zivilisieren. Anlässlich der Gründungskonferenz erklärte Georges Soros, sein Ziel sei es, einen Roma hervorzubringen, der gebildet sei und zu seiner Herkunft stehe. Diesen wolle er dann im Kampf gegen gesellschaftliche Vorurteile einsetzen, die die Roma als rechtlose Unterklasse sehen. Und die damalige EU-Kommissarin, Anna Diamantopolou, meinte, die Roma daran erinnern zu müssen, dass die Gesetze über den Traditionen stehen.

Derartige Äußerungen lassen die Initiative als modernen Abklatsch assimilatorischer Praktiken erscheinen, mit denen die Roma über die zwangsweise Aufgabe ihrer Traditionen zu gleichwertigen Bürgern gemacht werden sollten. Im 18. Jahrhundert ließen Maria-Theresa von Österreich und ihr Sohn Joseph der II. den Roma in ihrem Herrschaftsgebiet Pferde und Wagen wegnehmen und ihre Kinder von Pflegefamilien großziehen. Dass sich die Einbeziehung der Roma in die Dekade letztlich darauf reduziert, dass sie die Kampagne unter »ihre Leute« bringen sollen, passt da ins Bild.

Aus Feststellungen wie der, dass die Roma die größte und am schnellsten wachsende ethnische Minderheit Europas sind, lassen sich unterschiedliche und sogar konträre Handlungsanweisungen ableiten. So hat die slowakische Regierung bereits entschieden, im Bereich der Gesundheitsversorgung Impfkampagnen und Empfängnisverhütung den Vorrang zu geben. Dieselbe Regierung sah sich vor zwei Jahren dem Vorwurf ausgesetzt, Romafrauen seien in der Slowakei ohne ihr Wissen und Einvernehmen sterilisiert worden.

Die tschechische Regierung veröffentlichte vor wenigen Tagen eine Studie, aus der hervorgeht, dass die tschechischen Roma in den vergangenen Jahren trotz vermehrter finanzieller Zuwendungen immer ärmer wurden. »Gesundheitsversorgung, Strom, Gas und Wasser werden immer teurer«, erklärt Ondrej Gina vom Romakulturverband. In ihrer Studie zur Situation der Roma in Osteuropa belegen die Weltbankökonomen Dina Ringold, Mitchell Orenstein und Erika Willkens eindrücklich, wie der Abbau von Arbeitsplätzen und die Privatisierung staatlichen Wohneigentums die Roma nach und nach aus ihren Wohnungen in die Randbereiche der Städte und schließlich auf die Müllhalden treibt.

Wenn sich das Open Society Institute und die Weltbank heute für eine gesellschaftliche Umverteilung zugunsten der Roma stark machen, ist das ein bisschen so, als ob der Brandstifter plötzlich nach dem Feuerwehrman ruft. Schließlich gehören beide Institutionen zu den radikalen Verfechtern neoliberaler Umstrukturierung, die die Roma als schwächste Glieder der Gesellschaft am härtesten trifft. Roma, die im Realsozialismus immerhin eine feste Arbeit und ein Auskommen hatten, sind längst zu Almosenempfängern geworden und sollen sich hierfür auch noch bedanken.

In der erfolgreichen Durchsetzung des Neoliberalismus könnte am Ende allerdings tatsächlich der Schlüssel für die Überwindung des sozialen Gefälles zwischen den Roma und der Mehrheitsbevölkerung liegen. In Rumänien hat sich der Abstand Ende der neunziger Jahre bereits verringert, stellt Dina Ringold in einer weiteren Studie fest: Die gesamte Bevölkerung wurde ärmer.