A State Is Born

Ein Buch des Jüdischen Museums Berlin rückt die Gründung Israels wieder in den Blickpunkt. von andré anchuelo

Wie jeder andere Staat hat auch Israel seine zahlreichen Gründungsmythen«, schreibt Cilly Kugelmann, die stellvertretende Direktorin des Jüdischen Museums Berlin, in ihrer Einleitung zu dem kürzlich erschienenen Buch »Unerschrocken. Auf dem Weg nach Palästina«. Zentraler Text der Publikation ist das Filmtagebuch von Tereska Torres aus dem Jahr 1947, in dem die damals 26jährige die Begleitumstände eines ungewöhnlichen Filmdrehs beschreibt und kommentiert.

Der unter Federführung des US-amerikanischen Regisseurs Meyer Levin, damals Torres’ Verlobter und späterer Ehemann, produzierte Film »The Illegals« nimmt sich eines israelischen »Gründungsmythos« an. Das Dokudrama handelt von der illegalen Einwanderung europäischer Juden in das bis zur Gründung des Staates Israels 1948 unter britischer Mandatsherrschaft stehende Palästina. »Für viele der jüdischen Überlebenden, die heimatlos, einsam und allein in den Besatzungszonen Deutschlands darauf warteten, Europa endlich verlassen zu können, hatte sich das zionistische Weltbild bewahrheitet. Der Antisemitismus in Europa schien als ewige Konstante unausweichlich und unüberwindbar und eine Zukunft nur in einem eigenen Staat denkbar.« Die von Kugelmann paraphrasierten zionistischen »Narrative« über die Reaktion der Shoah-Überlebenden auf »Mord und Zerstörung, die der Nationalsozialismus hinterlassen hatte«, werden in Levins fast vergessenem Film von 1947/48 mit einfachen Mitteln inszeniert.

Levin, der als US-Kriegskorrespondent unter anderem über die Befreiung der Konzentrationslager berichtet hatte, realisierte als Regisseur sein eigenes Drehbuch über das Schicksal eines jüdischen Paares (gespielt von Tereska Torres und Yankel Mikalowitz) aus Warschau. Das junge Paar landet, nach einer vom klandestinen Netzwerk der zionistischen Untergrundarmee Hagana organisierten langen, abenteuerlichen und gefährlichen Irrfahrt durch halb Europa schließlich mit Hunderten anderer Flüchtlinge auf einem alten Frachter zwecks Überfahrt nach Palästina, nur um kurz vor dem Ziel von einem britischen Kriegsschiff abgefangen und vermutlich in ein Internierungslager nach Zypern gebracht zu werden. Tatsächlich versuchten in den drei Jahren zwischen dem Ende des Krieges in Europa und der Gründung Israels etwa 70 000 Flüchtlinge, auf diesem Weg Palästina zu erreichen – und die meisten von ihnen wurden von den Briten abgefangen, die eine äußerst restriktive Einwanderungspolitik in ihrem Mandatsgebiet verfolgten.

Levin wollte als überzeugter Zionist die Weltöffentlichkeit auf dieses Drama aufmerksam machen. Inspiriert wurde sein Filmprojekt besonders von dem Schicksal der Passagiere der »Exodus 47«, das kurz zuvor den Druck besonders aus der US-Öffentlichkeit auf die britische Regierung erhöht hatte. Die 4 500 Flüchtlinge an Bord des Schiffes waren bereits in Palästina an Land gegangen, als sie von der britischen Armee wieder auf Schiffe gebracht wurden, um ausgerechnet in Deutschland interniert zu werden.

Von der »Exodus 47« inspiriert war auch der später entstandene Roman »Exodus« des amerikanischen Schriftstellers Leon Uris, der 1960 von Otto Preminger mit einem Budget von zwei Millionen Dollar und Paul Newman in der Hauptrolle aufwändig verfilmt wurde. Trotz einiger filmästhetischer Ähnlichkeiten – so wirkt etwa eine Massenszene in »Exodus«, bei der pathetisch die israelische Hymne HaTikwa intoniert wird, wie aus »The Illegals« kopiert – gibt es zwei entscheidende Unterschiede zwischen den beiden Filmen. Zum einen ist Levins Low-Budget-Film, trotz seiner begrenzten Qualitäten als Spielfilm, von hohem Wert als Originaldokument der illegalen Einwanderung. Denn neben den Spielszenen filmte Levin fast ausschließlich echte Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Palästina. Zum anderen verfehlte sein Film seinen eigentlichen Zweck. »Während Levin und seine Mitarbeiter noch an der Fertigstellung des Films arbeiten, geschieht das, wozu dieser Film doch erst beitragen sollte. Mit der Staatsgründung Israels am 15. Mai 1948 ist für die Hagana das Ziel erreicht, für welches die Fertigstellung und Verbreitung von ›The Illegals‹ ein Mittel sein wollte.« So skizziert der Filmwissenschaftler Ronny Loewy in seinem begleitenden Essay »Vom Geschichtenerzählen und Staatgründen« die zu späte Beendigung des Films. Doch Levin sah sich inzwischen schon in der neuen Rolle »des Chronisten eines Gründungsaktes« (Loewy). Das allerdings war »The Illegals« nicht vergönnt: »als ein populärer und erfolgreicher Film über die Staatswerdung Israels bekannt zu werden« – was erst Otto Preminger mit »Exodus« gelang, »weniger authentisch freilich und mit den Mitteln des amerikanischen Kinofilms«, schreibt Loewy treffend.

Fragwürdig allerdings ist, wie er und Kugelmann die zugrunde liegenden historischen Ereignisse zu »Gründungsmythen« und »Narrativen« degradieren. Zwar ist Loewy zunächst zuzustimmen, wenn er schreibt: »Die schiere Rettung von Holocaust-Überlebenden auf der einen, die aktive Teilnahme am Projekt der Staatswerdung Israels auf der anderen Seite folgt nicht unbedingt denselben Parametern des Erfolgs.« Schließlich muss die damalige realpolitische Perspektive der zionistischen Führung in Rechnung gestellt werden. Diese befand sich 1947 in einem verzweifelten Kampf gegen die britische Mandatsmacht, welche die jüdische Einwanderung nach Palästina de facto unterband, während sie gleichzeitig in den beginnenden militärischen Auseinandersetzungen der arabischen Seite auf verschiedenen Ebenen Unterstützung angedeihen ließ. Eine Tatsache, die auch Tereska Torres in ihrem Tagebuch festhält: »Die Araber haben den Engländern übrigens offiziell für das Verständnis gedankt, das diese ihnen entgegenbringen«, resümiert sie am 26. Dezember 1947 bitter. So setzte die zionistische Führung alles daran, auf praktischer Ebene die Einwanderung voranzutreiben und zugleich propagandistisch den Druck auf Großbritannien zu erhöhen. Für einzelne jüdische Flüchtlinge mag es in dieser Situation aktuell weniger gefährliche Handlungsmöglichkeiten gegeben haben.

Doch die von Loewy auch in einem früheren Essay gemachte unmittelbare Entgegensetzung von zionistisch mythologisiertem »Exodus« nach »Erez Israel« einerseits und »schierer Flucht der Geretteten« andererseits ergibt letztlich wenig Sinn. Einem damaligen amerikanisch-britischen Untersuchungsbericht zufolge wollten fast 97 Prozent der jüdischen Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland nach Palästina auswandern. Ob sie alle überzeugte Zionisten waren, mag dahingestellt bleiben. Fakt ist, dass kaum alternative Auswanderungsziele existierten und in Deutschland – wie Martha Gellhorn, Saul Padover, Hannah Arendt und andere gezeigt haben – der Antisemitismus weiter grassierte. Angesichts der diversen Studien, die in den letzten Jahren von einem in ganz Europa um sich greifenden neu-alten Antisemitismus künden, muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass bis heute die »schiere Rettung« von Juden vor dem antisemitischen Vernichtungswunsch in letzter Instanz nur von der Existenz des Staates Israel, der als Zufluchtsort für Juden diese im Notfall mit Waffengewalt verteidigt, abhängt. Damals wie heute ist es der Antisemitismus, ob linker, islamistischer oder nazistischer Provenienz, der die »Mythen« des Zionismus Realität werden lässt.

Unerschrocken. Auf dem Weg nach Palästina. Tereska Torres’ Filmtagebuch von 1947. Hrsg. von Ronny Loewy im Auftrag des Jüdischen Museums Berlin. Dumont, 2004. 148 S., 14,90 Euro.