Dänen lügen nicht

Gute linke Zeitungen sind rar geworden in Dänemark. Doch Neues entsteht im Internet. Neunter Teil einer Serie über linke Medien in Europa. von alfred lang, kopenhagen

Die »radikale Kritik alles Bestehenden« war das Credo der semiprofessionellen Zeitungen der alternativen und linken Szene Dänemarks. Besonders zwei Publikationen, die spontaneistische Kopenhagener Wochenzeitung København und die kommunistische Tageszeitung Land og Folk, erreichten zeitweilig eine so große Leserschaft, dass selbst unter den bürgerlichen Meinungsmachern eine gewisse Nervosität erzeugt wurde.

Insbesondere das Wochenblatt København sorgte regelmäßig für Ärgernisse in der bürgerlichen Öffentlichkeit.

Trotz undurchschaubarer chaotischer Arbeitsverhältnisse vermochten die unentgeltlich arbeitenden Amateurjournalisten jede Woche eine gut gemachte Stadtzeitung zu produzieren. Der Stoff schien unerschöpflich zu sein. So waren Happenings, Aktionen und Demonstrationen in der Zeit der sozialen Bewegungen der achtziger Jahre alltägliche Ereignisse in Kopenhagen. Eines der Highlights in der København war wohl die legendäre Reportage über eine Gruppe von Zivilpolizisten, die, um ein gegenüber liegendes besetztes Haus observieren zu können, in die Wohnung alter Leute einbrachen, die zu diesem Zeitpunkt irgendwo im Süden Urlaub machten. Eine derartige Geschichte wurde dann schon mal mit zwölftausend verkauften Exemplaren honoriert.

Mit dem allmählichen Niedergang der sozialen Bewegungen wurde die København abgelöst von einem großformatigen und kommerzielleren Magazin mit den Namen Press. Abgekoppelt von den Aktivitäten auf der Straße präsentierte die monatlich erscheinende Zeitschrift einen unverbindlichen kritischen Journalismus mit einer gewissen Nähe zur Postmoderne. Wegen der sinkenden Auflage und den damit verbundenen finanziellen Schwierigkeiten stellte das Heft Mitte der neunziger Jahre sein Erscheinen ein. Das einzige verbliebene progressive, parteiunabhängige Druckerzeugnis verschwand fürs erste aus der von konservativen, liberalen und sensationsorientierten Publikationen dominierten, öden Medienlandschaft.

Die traditionsreiche Tageszeitung Land og Folk hingegen war das Organ der Dänischen Kommunistischen Partei (DKP). Sie lieferte stets die wichtigsten Informationen aus den Industriebetrieben. Äußerst gefragt waren auch die Kolumnen und Kommentare des populären gesellschaftskritischen Autors Hans Scherfig, die von bösartigem Humor gekennzeichnet waren und die selbst bei der Leserschaft der bürgerlichen Zeitungen Anklang fanden. In ihrer erfolgreichsten Zeit in den Nachkriegsjahren verkaufte die Land og Folk 60 000 Exemlare. Als der Niedergang der DKP, die zwischen 1988 und 1991 fast 90 Prozent ihrer 10 000 Mitglieder verlor, dramatische Formen annahm, versuchte die Mehrheit der Redakteure, die Zeitung zu retten. Rasch wurde sie in eine linkspluralistische Zeitung umgewandelt. Man beabsichtigte, sich der gesamten Linken zu öffnen. Diese Chance wurde aber vom stalinistischen Flügel der Redakteure effektiv sabotiert, mit dem Resultat, dass das Blatt trotz steigender Auflage 1990 dichtmachen musste.

Das großformatige feministische Magazin Kvinder, die Zeitschrift der dänischen Frauenbewegung in den achtziger Jahren, war ein Produkt der damaligen autonomen Frauen- und Lesbenbewegung, die auf unterschiedliche Weisen die patriarchalischen Gesellschaftsverhältnisse mehr oder weniger wirkungsvoll in Frage stellte. Nach dem allgemeinen Rückgang der sozialen Proteste und der teilweisen Integration der Feministinnen in die staatlich geförderten Nischen der Frauenforschung wurde eine gemeinsame feministische Zeitung als überflüssig betrachtet. Viele ehemalige Frauenprojekte wurden zu staatlich geförderten, sozialreformerischen umfunktioniert.

Anstelle von Kvinder gibt es heute einige akademische Frauenforschungszeitschriften mit hohem theoretischem Niveau, die, losgelöst von jeglicher Gesellschaftskritik, fester Bestandteil des universitären Betriebs sind.

Scharf voneinander abzugrenzen sind heute hauptsächlich die Parteiblätter der arg geschrumpften leninistischen Programmorganisationen und die unabhängigen linken Medien. Die wichtigste Publikation der ersten Kategorie ist unbestreitbar die Tageszeitung Arbejderen (Der Arbeiter). Ihr Herausgeber ist die kleine poststalinistische DKP-ML mit ihren unter hundert Mitgliedern. Im Laufe der neunziger Jahre hat sich das grausige ehemalige Pro-Albanien-Blatt zu einer kleinen informativen linken Tageszeitung mit guten Verbindungen zur Gewerkschaftslinken entwickelt. Im Wesentlichen ist sie ein offenes Forum, doch im Hintergrund orientiert man sich nach wie vor an den Vorgaben der Partei. Obwohl sie die einzige linke Tageszeitung Dänemarks ist, wird sie nur von einem festen Kern der Linken auch tatsächlich gelesen. Viele finden sie zu unattraktiv und eindimensional. Nicht wenige Leser kritisieren die Nationalstaatsdoktrin, die von der Redaktion befürwortet und als Antwort auf die neoliberale Globalisierung gesehen wird, und deren konservative Auffassung über »Integration« von Migranten aus dem Trikont.

Die Reste der früher nicht gänzlich unbedeutenden linken Organisationen produzieren, trotz beachtlichen Mitgliederschwunds und permanenten Rückgangs der Auflagen während der letzten zehn Jahre, weiter unverdrossen ihre jeweiligen Publikationen: Zeitungen wie die populistische Socialistisk Arbejderavis der Internationalen Sozialisten, die nicht uninteressante theoretische Zeitschrift Solidaritet, die einst weit verbreitete gleichnamige Zeitung der 68er-Partei der Linkssozialisten, die brave, aber etwas oberflächliche Socialistisk Information der Trotzkisten sowie die puritanisch-dogmatische Zeitung Kommunist, die von der KIPD herausgegeben wird, einer poststalinistischen Abspaltung der DKP.

Die zurzeit wahrscheinlich interessanteste linke Publikation ist die gut gemachte Vierteljahreszeitschrift Gaia der kleinen Solidaritätsorganisation »Internationalt Forum«. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf theoretischen Beiträgen von Autoren wie Toni Negri und Michael Hardt, Michel Foucault, Samir Amin oder Benedict Anderson. Dazu überzeugt Gaia mit hochaktuellen, persönlichen Reportagen aus den Trikontländern und initiiert Solidaritätskampagnen für linke politische Gefangene.

Nach dem Aus der ehemals autonomen Zeitschrift Propaganda aus der Kopenhagener autonomen Jugendszene und der eher theoretisch konzipierten Autonomie des »Autonomie-Kollektivet« ist die Gaia, seit Ende der neunziger Jahre, die einzig verbliebene linksradikale Zeitschrift des Landes.Die Auflage beträgt etwa 1 200 Exemplare.

Das weitaus aufregendste unter den linken Medien der letzten Jahre ist das neue Internetportal Modkraft (www.modkraft. dk). Hervorgegangen ist es aus der 1999 eingestellten linken Wochenzeitung Socialisten, der von der Mehrheit der linken Einheitsliste im dänischen Parlament weitere finanzielle Mittel verweigert wurden. Seither hat sich das Internetmagazin zum wichtigsten und modernsten linksradikalen Medium entwickelt. Das Portal, das ähnlich wie eine gut gemachte Tageszeitung konzipiert ist, produziert für die täglich rund 3 000 Besucher kritische Analysen und Reportagen zu aktuellen Ereignissen. Der wesentliche Unterschied zu den in anderen Ländern existierenden linken Indymediaportalen ist die Existenz einer festen, koordinierend tätigen Redaktion, die alle eingesendeten Artikel auf ihre inhaltliche Qualität überprüft. Inzwischen wird Modkraft weit über die linke Stammleserschaft hinaus frequentiert.