Königlicher Putsch

Der nepalesische König Gyanendra hat alle Macht im Staat an sich gerissen. Doch der größte Teil des Landes wird von der maoistischen Guerilla kontrolliert. von torsten otto

Nun sind die Fronten klar. Wenige Tage vor dem neunten Jahrestag des maoistischen Aufstands hat der nepalesische König Gyanendra am Dienstag der vergangenen Woche die Regierung entlassen und den Ausnahmezustand verhängt. Der Premierminister Sher Bahadur Deuba und sein Kabinett hätten im Kampf gegen die aufständischen Maoisten versagt. Am Mittwoch stellte Gyanendra eine neue Regierung unter seiner Leitung vor, die in den kommenden drei Jahren den Aufstand beenden und eine, wie er erklärte, »effiziente« Demokratie aufbauen werde. Zugleich forderte er die maoistische Guerilla zu Gesprächen auf und drohte ihnen andernfalls mit einer Großoffensive.

Ein konstitutioneller Monarch, wie ihn die Verfassung vorsieht, war Gyanendra auch bisher nicht. Seit seiner Thronbesteigung nach dem Palastmassaker vom Juni 2001, bei dem acht Mitglieder der Königsfamilie unter bis heute ungeklärten Umständen ums Leben kamen (Jungle World, 26/01), hat Gyanendra die Macht schrittweise an sich gezogen. Die von ihm eingesetzten Regierungen rekrutierten sich entweder aus Vertretern der königstreuen Nationalen Partei RPP oder einer Fraktion der Kongresspartei. Sie spiegelten weder die Machtverteilung im vor drei Jahren aufgelösten Parlament wieder, noch konnten sie ernsthaft die Kriegsführung der Streitkräfte beeinflussen, die dem königlichen Oberbefehl unterstellt sind.

Mit der Verhängung des Ausnahmezustands findet die Machtübernahme des Königs nun einen vorläufigen Abschluss. Seitdem ist das Land weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Telefonverbindungen wurden gekappt, der Flughafen geschlossen und eine Nachrichtensperre verhängt. Die Führer der wichtigsten Parteien stehen unter Hausarrest, die Armee hat die Kontrolle auf Kathmandus Straßen übernommen. Unabhängige Berichte sprechen von einer Verhaftungswelle.

Zwar blieb der von den Maoisten ausgerufene Generalstreik am Donnerstag in der Hauptstadt aus, dennoch kommt ihnen der Putsch zumindest propagandistisch zugute. Schließlich sprechen sie von einer demokratischen Fassade, hinter der halbfeudale Eliten und indische Unternehmer die Fäden ziehen. Nepals Kommunistische Partei-Maoisten (CPN-M) kontrolliert den überwiegenden Teil des Landes, in vielen Distrikthauptorten beschränkt sich die Regierungskontrolle auf befestigte Polizeistationen und Kasernen. Das Kathmandu-Tal als politisches und wirtschaftliches Zentrum ist immer öfter von Generalstreiks und Verkehrsblockaden betroffen, die dort niedergelassenen multinationalen Unternehmen zahlen »Kriegssteuern« oder sind gezwungen zu schließen.

Im September vergangenen Jahres hatten die Aufständischen die Phase der strategischen Offensive ausgerufen, gemäß Mao Zedongs Revolutionstheorie die letzte Stufe der Machtübernahme. Die ländlichen Gebiete fest in der Hand, sollen nun die Zentren staatlicher Macht destabilisiert und anschließend erobert werden. Die Entscheidung war im Politbüro nicht unumstritten. Der Flügel um Baburam Bhattarai wollte zunächst die Verwaltung der eigenen Gebiete festigen, ordnete sich aber der Linie des Parteivorsitzenden Prachanda unter.

Verhandlungen stehen in dieser Situation nicht zur Debatte. Mitte Januar ließ die Parteiführung der CPN-M ein entsprechendes Ultimatum verstreichen und trug damit zum Sturz des Premiers bei. Wenn die Maoisten jetzt ein glaubwürdiges Angebot für eine Volksfront unterbreiten, könnte es ihnen gelingen, dass die parlamentarischen Parteien im Kathmandu-Tal offen zum Kampf um eine republikanische Staatsordnung aufrufen.

Mag der Verlauf des Aufstands unter militärischem Blickwinkel durchaus die maoistische Strategie des »Volkskrieges« bestätigen, unter humanitären Gesichtspunkten ist er ein Desaster. Seit der Mobilisierung der königlichen Armee im November 2001 hat sich der Aufstand zu einem der gewaltsamsten Konflikte Asiens entwickelt (Jungle World, 20/03). Die Zahl der »Verschwundenen« und Gefolterten hat die Größenordnung der Opfer lateinamerikanischer Diktaturen der siebziger Jahre erreicht.

Den weitaus größten Teil der fast 12 000 Toten haben Armee und Polizei zu verantworten, was selbst offizielle Statistiken belegen. Der Vorwurf von Menschenrechtsorganisationen, die Maoisten rekrutierten Kindersoldaten, ist dagegen nicht in vollem Umfang bestätigt. Nachgewiesen wurde bisher nur, dass Minderjährige als Kuriere und Transporteure in die Strukturen der Guerilla eingebunden sind.

Doch die Menschenrechtsverletzungen der Maoisten beschränken sich keineswegs auf gezielte Tötungen von »Klassenfeinden« oder »unbeabsichtigte Tote im Kreuzfeuer«, wie die Parteiführung der CPN-M behauptet. Immer mehr scheint sich zu bestätigen, dass die Unterstützung der Landbevölkerung nur durch Einschüchterung aufrechterhalten werden kann. Dazu gehören die Ermordung mutmaßlicher Informanten ebenso wie befristete Entführungen aller Schüler einer Schule oder aller Bewohner eines Dorfes zum Zweck der Umerziehung und Rekrutierung.

Der Druck zur Einhaltung humanitärer Mindeststandards könnte sich durch den Putsch durchaus verstärken. Bislang standen die Vereinten Nationen weitgehend allein mit ihrem Versuch, ein Abkommen zur Einhaltung des Kriegsrechts zu erreichen. So warnte am 24. Januar Louise Arbour, die Hochkommissarin für Menschenrechte, beide Parteien könnten sich eines Tages vor einem UN-Kriegsverbrechertribunal wieder finden. Zudem könnten UN-Einsätze nepalesischer Soldaten, bisher eine wichtige Einnahmequelle des Staates, suspendiert werden.

Die Maoisten wollen einem solchen Abkommen nur zustimmen, wenn sich daran direkte Gespräche mit König Gyanendra unter Vermittlung der Vereinten Nationen anschließen. Das Ziel dieser Verhandlungen sei ein Waffenstillstand und die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung, in der auch über die Abschaffung der Monarchie abgestimmt werden solle. Selbst wenn man die Position der CPN-M zu den Verhandlungen als taktisch geleitet bewertet, so ist die Abschaffung der Monarchie eine zentrale Forderung vieler Nepalesen außerhalb der maoistischen Bewegung. Zu fest ist die Institution der Monarchie verbunden mit der Zentralisierung der Macht in der Hand der traditionellen Oberkasten und der extremen Vernachlässigung der ländlichen Regionen gegenüber dem Kathmandu-Tal.

Seit Juni 2002 betrachten die Regierungen der USA und Großbritanniens die Unterstützung der nepalesischen Monarchie als Teil des weltweiten »Kampfes gegen den Terror«. Beide Länder und Indien stellen Ausrüstung und Logistik, beachtliche Teile der Entwicklungshilfe wurden in Militärhilfe umgewandelt. Kaum weniger deutlich war die Parteinahme anderer Regierungen für die Monarchie. So riefen im vergangenen Jahr auch der französische und der deutsche Botschafter alle parlamentarischen Parteien dazu auf, sich der vom König eingesetzten Regierung anzuschließen.

Doch nun scheinen einige Staaten umzudenken. Die Schweiz, die am längsten und intensivsten in Nepal engagiert ist, gab noch am vergangenen Dienstag den Stopp ihrer Entwicklungsprojekte bekannt. Der indische Premier Manmohan Singh sagte seine Teilnahme am Gipfel der südasiatischen Länder in einer Woche ab, weil er mit seiner Anwesenheit nicht Gyanendras Machtübernahme legitimieren wolle. Auch Großbritannien hat angekündigt, seine Entwicklungszusammenarbeit überdenken zu wollen.