Warten aufs Fingerfärben

Auch im Exil beteiligten sich Iraker an den Wahlen. von thomas schmidinger

Ob du es glaubst oder nicht, aber mir standen die Tränen in den Augen, als ich aus der Wahlzelle kam«, erzählt Ali al-Zahid, nachdem er seine Stimme abgegeben hat. Wie Tausende seiner Landsleute stand er gleich an zwei Tagen in München stundenlang an, um zum ersten Mal in seinem Leben mit dem Stimmzettel die Politik jenes Landes mitzubestimmen, dessen Regierung ihn vor 20 Jahren, damals noch als Kind, vertrieben hatte. In Busladungen haben sich Exiliraker aus Wien, Prag, Zürich oder Budapest nach München begeben. »Wenn wir nicht gleich an zwei Wochenenden hätten herfahren müssen, wären es noch mehr gewesen«, ist ein älterer Iraker aus Basra überzeugt.

Denn die irakischen WählerInnen mussten sich am Wochenende vor der Wahl zunächst registrieren lassen, ehe sie in der Woche darauf tatsächlich wählen durften. Der unerwartet große Ansturm, aber auch die Sicherheitsvorkehrungen, machten Registrierung und Wahl zu einem längeren Prozedere. Allerdings nutzten die wartenden IrakerInnen die Gelegenheit zum ausgiebigen Plausch. Kurden, die sich extra für die Wahlen in ihre Tracht geworfen hatten, diskutierten mit Arabern im Anzug aus Basra. Auffallend war auch die rege Beteiligung von Frauen. Nur gelegentlich versuchten einige TurkmenInnen, wartende KurdInnen zu ärgern, aber auch solche Situationen wurden rasch von der Freude, wählen zu können, überspielt.

Selbst der Ärger darüber, dass man in Wien und Prag nicht wählen konnte, war am Wahltag verflogen. Noch vor einem Monat hatten die irakischen Parteien in Wien gemeinsam bei der irakischen Regierung protestiert, weil es dort kein Wahllokal geben sollte. Trotzdem fanden letztlich hunderte irakische Wiener ihren Weg nach München, wo im ehemaligen Olympia-Radstadion für insgesamt 8 000 registrierte Wähler aus Süddeutschland, der Schweiz, Österreich, Italien und Ungarn die Wahlurnen aufgestellt wurden.

Die in Deutschland lebenden IrakerInnen hatten es leichter. Sie konnten auch in Berlin, Mannheim oder Köln wählen. Organisiert wurden die Wahlen der ExilirakerInnen von der International Organization for Migration (IOM), einer internationalen Organisation, die sich mit Migration und ihrer Regulierung beschäftigt und dabei mitunter dem Vorwurf ausgesetzt ist, Migration verhindern zu wollen. Für die Vorbereitung der Wahlen erhalten die OrganisatorInnen jedoch einhelliges Lob. Suaad, eine Kurdin aus Arbil, ist begeistert: »Kaum waren wir durch die Sicherheitsvorkehrungen gekommen, funktionierte alles sehr rasch. Die Leute, die dort arbeiteten, alles Iraker, waren sehr freundlich und zuvorkommend.« Insgesamt gaben 95 Prozent der 26 416 hier registrierten Wähler ihre Stimme ab.

Auch in dreizehn anderen Staaten konnten sich ExilirakerInnen an der Wahl beteiligen. Wahllokale gab es in Jordanien, Syrien, dem Iran, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Australien, Kanada, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Schweden, Großbritannien und den USA. In Israel, wo die meisten Nachkommen der einst 130 000 jüdischen IrakerInnen leben, konnte nicht gewählt werden. Schließlich gibt es immer noch keine diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und dem Irak.

Sami Samoucha, ein Nachkomme aus dem Irak ausgewiesener Juden, schilderte jedoch in der israelischen Tageszeitung Ha’aretz, wie er mit einem israelischen Pass und einem Reisepapier seines Großvaters zum »Verlassen des Irak ohne Rückkehr« im Wahllokal im jordanischen Amman verdutzt, aber freundlich empfangen wurde. Er tauchte seinen Zeigefinger in die schwer abwaschbare Tinte, die eine doppelte Stimmabgabe verhindern sollte. Dieser gefärbte Finger, meinte Sami Samoucha, erinnere ihn daran, dass er »an einem demokratischen Fest beteiligt war«.