Lieber heute als morgen

Die französische Regierung kann nicht sicher sein, dass die EU-Verfassung beim anstehenden Referendum angenommen wird. von bernhard schmid, paris

Erwartungsgemäß wurde die EU-Verfassung in Spanien mit großer Mehrheit angenommen. 77 Prozent der Wähler stimmten für das Vertragswerk. Etwas unzufrieden war man beim staatsmännischen Jubel über das Abstimmungsergebnis allerdings mit der relativ geringen Beteiligung am Referendum, nur 42 Prozent der Abstimmungsberechtigten beteiligten sich. Neben den großen Parteien hatten auch beide Gewerkschaften, UGT und CC.OO, für ein »Ja« zur vorliegenden europäischen Verfassung geworben. Spanien ist seit dem Beitritt zur damaligen Europäischen Gemeinschaft 1986 Empfänger umfangreicher EG- bzw. EU-Subventionen zur Förderung strukturschwacher Regionen gewesen.

Unsicherer ist der Ausgang der anstehenden Abstimmungen in anderen EU-Mitgliedsländern. Der französische Staatspräsident Jacques Chirac ist daher offensichtlich nervös: »Der Elysée-Palast plagt sich damit ab, Argumente für das Ja zu finden«, titelte Le Monde in der vergangenen Woche. Bis heute hat Chirac das Datum des Referendums noch nicht verkündet. Bislang war offiziell von einem Termin in der zweiten Junihälfte die Rede. Aber jetzt denkt Chirac laut darüber nach, das Referendum bereits im Mai anzusetzen. Denn je länger man damit zögere, desto mehr drohe die Zustimmung »abzubröckeln«. »Am liebsten würde Chirac die Wähler morgen früh abstimmen lassen, um es hinter sich zu bringen«, spotten Angehörige der französische KP, die ebenso wie die radikale Linke die »wirtschaftsliberale und militaristische« Verfassung ablehnen.

Anfang Februar wurde auf einer Verbandstagung der CGT mit großer Mehrheit beschlossen, der postkommunistische Gewerkschaftsbund solle dazu aufrufen, gegen die Verfassung zu stimmen. Dieser Beschluss der Vertreter von Einzel- und Branchengewerkschaften erzürnte die Gewerkschaftsführung, die unbedingt neutral bleiben wollte. Sie denunzierte die Entscheidung in den bürgerlichen Medien als »unvernünftig«. CGT-Generalsekretär Bernard Thibault erwog gar einige Tage seinen Rücktritt. Die Führung der CGT hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr der Sozialdemokratie angenähert, zudem erfolgte seit 1999 die Integration in den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) in Brüssel. Der EGB ist ein Lobbyapparat, der eng mit der EU-Kommission verbunden ist und versucht, in sozialpolitischen Fragen auf sie einzuwirken. Er wirbt offen für die Annahme des Verfassungsvertrags.

Die Entscheidung der CGT gilt als schwerer Schlag für die Parteiführung der Sozialdemokraten. Bei einer innerparteilichen Urabstimmung im Dezember hatten 58 Prozent für die Annahme des Vertrags gestimmt. Die grüne Partei ließ ihre Mitglieder bis Mitte Februar abstimmen. Erwartet wurde ein klarer Sieg der Befürworter, da die Grünen sich als besonders »proeuropäisch, weil postnational und modern« verstehen. Doch mit kanpp 53 Prozent fiel die Zustimmung sehr verhalten aus. Seit dem »Nein« der CGT haben die Bedenken über die sozial- und wirtschaftspolitischen Aspekte des Vertrags auch in der Ökopartei zugenommen.

Aber auch unter den Rechten gibt es Gegner des Vertrages. Neben dem Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen, der derzeit allerdings mit innerparteilichem Ärger beschäftigt ist, ist der Nationalliberale und Rechtskatholik Philippe de Villiers eine wichtige Figur unter den Verfassungsgegnern. Sie machen vor allem gegen einen künftigen EU-Beitritt der Türkei mobil. Das wirkt sich bis in die Reihen der konservativ-liberalen Einheitspartei UMP aus. Deren Parteivorsitzender, Nicolas Sarkozy, polemisiert ebenfalls gegen eine Aufnahme der Türkei und hält sich bislang mit zustimmenden Äußerungen zur EU-Verfassung sehr zurück. Er weiß, dass er damit seinem Rivalen, Staatspräsident Chirac, schaden kann.