Zwei Prozesse, ein Problem

Handelte der Mörder von Theo van Gogh allein oder hatte er Helfer? Zwei Prozesse in Amsterdam und Rotterdam sollen das klären und aus Indizien Beweise machen. von udo van lengen

Der Mord an Theo van Gogh hat uns vor Augen geführt, dass Terrorismus in unserem Land eine Realität ist«, sagte der Vertreter der Anklage, Staatsanwalt Frits van Straelen, zum formalen Prozessbeginn gegen Mohammed B. am 26. Januar in Amsterdam. Van Straelens Worte zum Auftakt verhallten beinahe ungehört. Denn der befürchtete große Andrang von Journalisten und Zuschauern blieb aus. Nur eine Hand voll Medienvertreter sowie einige Mitglieder der rechtspopulistischen Liste Pim Fortuyn fanden an diesem kalten Mittwochmorgen den Weg zum Verhandlungsort, der in einem abgelegenen Winkel von Amsterdam-Osdorp liegt. Auch der Angeklagte zog es vor, der Verhandlung fern zu bleiben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, am 2. November 2004 den Filmemacher Theo van Gogh in Amsterdam-Oost erschossen zu haben.

Die terroristische Absicht von Mohammed B., sagt van Straelen, zeige zuallererst der Brief mit einer Morddrohung an die Politikerin Ayaan Hirsi Ali, den der Angeklagte auf dem Leichnam van Goghs hinterließ. »Die Wahl des Opfers und die Art, wie es ermordet wurde, hat der Angeklagte öffentlichkeitswirksam durchdacht. Ihm ging es darum, nicht nur van Gogh oder Hirsi Ali zum Schweigen zu bringen, sondern auch die niederländische Bevölkerung zu verängstigen und das Land in eine ernste Krise zu stürzen.« Tatsächlich hat der Mord zu großer Aufregung in der niederländischen Gesellschaft geführt. Daher sei es wichtig, so van Straelen, den Prozess schnell zu Ende zu bringen.

Doch danach sieht es zunächst nicht aus. Die Ermittlungen seien immer noch im Gange, bedauerte der Staatsanwalt, zu wenig wisse man über die persönlichen Umstände des Angeklagten. Der Richter solle daher Mohammed B. erneut in Untersuchungshaft nehmen und veranlassen, dass er psychiatrisch untersucht wird. Die Verteidigung zeigte sich davon überrascht: »Wenn die Anklage sagt, mein Mandant habe den Mord mit terroristischer Absicht begangen, dann kann man nicht mehr an seinem geistigen Zustand zweifeln.« Dagegen äußerte Robert Meulenbroek, Sprecher der Amsterdamer Staatsanwaltschaft, gegenüber der Jungle World den Wunsch seiner Behörde: »Wir wissen zu wenig von Mohammed B. Er verweigert sich und spricht nicht mit uns. Das wird sich wahrscheinlich auch bei einer psychiatrischen Untersuchung nicht ändern. Aber wir können ihn dort zumindest beobachten und sehen, wie er sich in einer Gruppe verhält.« Der eigentliche Prozess könne dann in drei bis vier Monaten beginnen.

Ähnlich schleppend begann am 7. Februar in Rotterdam der Prozess gegen zwölf mutmaßliche Mitglieder der Hofstadgroep (Jungle World, 48/04). Ihnen wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen: »Mit der Festnahme dieser zwölf jungen Männer konnten mehrere schwere Anschläge verhindert werden«, meint der dort zuständige Staatsanwalt Koos Plooy.

Großes Aufsehen bei den Medien erlangten drei der Angeklagten. Sie hatten bei einer versuchten Festnahme in der Nacht zum 10. November in Den Haag eine Handgranate geworfen und mehrere Polizisten zum Teil schwer verletzt. Erst nach einer spektakulären Polizeiaktion waren die drei inhaftiert worden. Indes bezweifelten die Anwälte der Verteidigung während der Gerichtsverhandlung in Rotterdam, dass es die Hofstadgroep – benannt nach einem Regierungsgebäude in Den Haag, auf das die Gruppe dem niederländischen Nachrichtendienst AIVD zufolge einen Anschlag verüben wollte – überhaupt gibt. Die Verdächtigen hätten sich zwar mehrmals getroffen, um über den Islam zu sprechen. Aber das sei nicht strafbar. Drohbriefe gegen Politiker wie den parlamentarischen Rechtsaußen Geert Wilders oder den moderaten Amsterdamer Bürgermeister Job Cohen hätten die Angeklagten nur besessen, jedoch nicht verbreitet.

Das Problem um die Hofstadgroep ist, dass aus Indizien noch lange keine richterlich anerkannten Beweise werden. Dass die Gruppe tatsächlich Anschläge geplant hat, ist nicht bewiesen. Die Indizien der Staatsanwaltschaft stammen aus Quellen des AIVD und sind für die Richter kaum überprüfbar. »Darum werden der Mord an van Gogh und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung auch getrennt behandelt«, erklärt Meulenbroek.

Sicher ist, dass die meisten der zwölf Verdächtigen im Rotterdamer Prozess begeisterte Teilnehmer an samstäglichen und sonntäglichen Treffen in der Wohnung von Mohammed B. in Amsterdam-West waren. Bei diesen Treffen, meint Staatsanwalt Plooy, sei es um extreme islamistische Inhalte gegangen. Hirsi Ali sei dort als »abtrünnige Muslima« verflucht und der gewalttätige Jihad sei ebenso wie der Umsturz des demokratischen Rechtsstaates der Niederlande gepriesen worden. Zusätzlich hätten die Gruppenmitglieder untereinander extremistische Schriften und Drohbriefe auf Laptops ausgetauscht. Doch ob die Gruppe Anschlägen nicht nur wohlwollend gegenüberstand, sondern solche tatsächlich plante, ist unklar.

Eine andere Frage lautet: Wurde Mohammed B. von Mitgliedern der Hofstadgroep unterstützt, als er van Gogh ermordete? Van Straelen meint, einige Anzeichen dafür gefunden zu haben: Am Abend vor der Tat hätten zwei der Rotterdamer Verdächtigen Mohammed B. besucht und ihm Suppe gebracht. Der wiederum habe ein für die Staatsanwaltschaft aufschlussreiches Testament hinterlassen, denn er erwartete, nach der Mordtat von der Polizei erschossen zu werden und als Märtyrer ins Paradies zu kommen.

Von den vier Briefen im Nachlass waren zwei für seine Familie bestimmt, einer enthielt Geld, der vierte einen USB-Stick mit Drohbriefen an verschiedene Politiker, offene Briefe an die niederländische Bevölkerung sowie die muslimische Jugend. Dieser letzte Brief war an zwei Männer adressiert, die Mitglied der Hofstadgroep sein sollen.

Möglicherweise, so steht in der Anklageschrift, seien Mitglieder der Hofstadgroep am 2. November in Amsterdam-Oost gewesen. Es gebe Zeugenaussagen, dass Mohammed B. kurz vor dem Mord mit ein bis drei »arabisch aussehenden« Männern gesprochen habe. Auch soll er nach der Bluttat in die Runde herbeigeeilter Passanten geschaut haben, als suche er jemanden. »Zu beweisen, wie die Hofstadgroep und Mohammed B. zusammengearbeitet haben, wird noch ein wenig dauern«, sagt Meulenbroek. Er ist sich jedoch sicher, dass Ende Juni oder Anfang Juli der Mordprozess gegen Mohammed B. beginnen wird. »Für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung kann man Mohammed B. auch noch später bestrafen.«

Vorerst bleiben alle Angeklagten in Untersuchungshaft und Mohammed B. wird gegen seinen Willen in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. So haben es die Richter am 26. Januar in Amsterdam und am 7. Februar in Rotterdam beschlossen.