Der große Backlash

Thomas Franks Bestseller »Was ist mit Kansas los?« analysiert die Popularität des christlichen Konservatismus in den USA. von richard gebhardt

Nach der Wiederwahl von George W. Bush zum Präsidenten der Vereinigten Staaten einigten sich die politischen Beobachter in den USA und Europa rasch auf die Gründe, weshalb der wiedergeborene Christ aus Texas trotz zahlreicher Rückschläge im »Krieg gegen den Terror« mit einer zweiten Amtsperiode betraut wurde. Moral values waren den Umfragen zufolge der entscheidende Grund für den Erfolg der Konservativen. Während im Irak Selbstmordattentäter amerikanische GIs töteten und die Bush-Administration wegen ihrer Verhörpraktiken in Guantánamo in der internationalen Presse der Folter bezichtigt wurde, tobte an der Heimatfront ein leidenschaftlicher Kulturkampf über die Homo-Ehe und das Recht auf Abtreibung. Der Irak-Krieg und die Wirtschaftspolitik hatten demzufolge bei vielen US-Wählern keine Priorität.

Liberale und linke Journalisten in den USA irritierte vor allem die Tatsache, dass auch viele einst zu den Demokraten neigende Lohnabhängige, deren ökonomische Lage sich unter der Regierung Bush verschlimmert hat, für den Amtsinhaber votierten und somit an den Wahlurnen die ureigenen Klasseninteressen beerdigten. Gibt es, so kursiert die Frage, seit einigen Jahren ein republikanisches blue-collar-Proletariat? Eine konservative und erzpatriotische Arbeiterschicht, die der Partei des Establishments folgt und den Schutz des heiligen Bunds der heterosexuellen Ehe über die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz stellt?

Dieser Frage geht Baffler-Chefredakteur Thomas Frank in seinem nun ins Deutsche übersetzten Bestseller »Was ist mit Kansas los?« nach und ermöglicht mit seiner journalistisch-essayistischen Analyse ein grundlegendes Verständnis der Bedingungen und Voraussetzungen der derzeitigen kulturellen Hegemonie der christlichen Rechten im amerikanischen Kernland.

Um beschreiben zu können, »wie die Konservativen das Herz von Amerika eroberten« (Untertitel), untersucht Frank den Einfluss jener rechten Strömungen, die den klassischen Lincoln-Republikanismus vielerorts okkupiert und den mittleren Westen einer beliebten Schmähung zufolge in ein stockreaktionäres Jesusland verwandelt haben. Frank, der u.a. auch für The Nation und Le Monde Diplomatique schreibt, begibt sich in seinem Herkunftsstaat Kansas auf die (auch biografische) Suche nach den Gründen für den Erfolg der kapitalnahen konservativen Politik in einem der ärmsten Staaten der USA und zeichnet dabei jene Veränderungen nach, die aus der einstigen Heimat liberaler und radikaler Bewegungen eine trotzige Bastion der Gegenaufklärung gemacht haben. Frank bezeichnet die gesellschaftliche Kraft, die den Sieg der Konservativen ermöglichte, als Great Backlash, als Reaktion auf die sechziger Jahre, deren kultureller Relativismus und Hedonismus ebenso wie die Sozialpolitik des New Deal rückgängig gemacht werden soll.

Der von konservativen Kolumnisten und Denkfabriken, Kapitalverbänden und klerikalen Kräften getragene backlash ist für Frank auch die Voraussetzung für die Akzeptanz neoliberaler Denkmuster und die Verbreitung eines anti-liberalen Wertekanons, der auch von großen Teilen der lohnabhängigen Bevölkerung geteilt wird und zu einem »selbstverleugnenden Stimmverhalten«, zur fatalen Verkennung der »grundlegenden Interessen« führt. »Sie stimmen gegen die Abtreibung«, bemerkt Frank, »was sie kriegen, ist eine Senkung der Steuer auf Vermögenserträge.«

Dabei arbeitet Frank präzise heraus, warum die konservativen Politiker auch in diesen Arbeiterschichten immer mehr Zuspruch finden. Anders als in der Vergangenheit ist es ihnen gelungen, sich als die wahren underdogs, als authentische true Americans und aufrechte Feinde des liberalen Establishments und der unamerikanischen political correctness zu positionieren. Dieser basisnahe Konservatismus mit seinem Ressentiment gegen die überheblichen, Latte schlürfenden Snobs aus dem Osten oder den kosmopolitischen Universitätsstädten verkauft sein Votum für den hemdsärmeligen Rancher Bush als Protest gegen den status quo des liberalen Mainstream, wie er vom frankophilen, windsurfenden flip-flopper John F. Kerry repräsentiert wird.

Auf seiner Rundreise durch das Kansas der Gegenwart präsentiert Frank ein ganzes Panoptikum politischer Sonderpositionen, pseudo-philosophischer Schrullen und regionaler Eigenheiten: militante Abtreibungsgegner, die im Namen des Rechts auf Leben auch vor Mord nicht zurückschrecken; rechte Radiomoderatoren, welche die teuflische Geißel der Drogen verdammen und sich plötzlich selbst als Alkoholkranke in der Entzugsklinik wiederfinden; weibliche konservative Abgeordnete, die öffentlich das Frauenwahlrecht bezweifeln, und abtrünnige Katholiken, die sich in einem Billigladen zum Gegenpapst wählen lassen.

Kansas ist für Frank allerdings kein bizarres Soziotop sonderbarer Heiliger und politischer Wirrköpfe. Die dort vollzogene neoliberale Politik der Deregulierung und die damit einhergehende moralische Aufrüstung gilt ihm als Menetekel für die Welt der kommenden Jahre. Frank beschreibt dabei die konservativen Allianzen aus Wirtschaft und Politik nicht nur als herrschende Klasse, die ihre Werte und die sie stützende Ordnung als gottgewollt darstellt. Er begreift sie primär als – teilweise zerstrittene – politische Kraft, in der sich scheinbar die Interessen der Mächtigen mit dem allgemeinen Willen des einfachen Volkes vereinigen.

Der anti-elitäre Protest der subalternen Schichten richtet sich deshalb auch meist nicht gegen die mächtigen Kapitalverbände, sondern gegen das liberale Milieu und seine vermeintlichen Hervorbringungen wie Abtreibungen, Scheidungen, Homo-Ehen, Gangsta-Rap, blasphemische Kunst, Evolutionslehre und Sozialismus. Eine Verkennung der Realität, die Frank zufolge nicht zuletzt durch die von konservativen Meinungsmachern betriebene systematische Ausklammerung der Ökonomie aus dem öffentlichen Diskurs möglich wurde.

Störend wirkt es in diesem ansonsten sehr lesenswerten Buch, wenn Frank die Leser fürsorglich mit direkten Anreden und Wendungen wie »Halten Sie sich fest!« oder »Folgen Sie mir zunächst in das Städtchen Lucas im Westen von Kansas« bei der Hand nimmt und bisweilen mit einer erstaunlichen Entrüstung den alltäglichsten kapitalistischen Irrsinn als bemerkenswerte Erscheinung präsentiert.

Merkwürdig ist auch sein nicht selten verklärter Blick auf die traditionellen Demokraten der Zeit vor Clinton und den sozialpolitischen US-Liberalismus der alten Schule. Frank erweckt hier den Eindruck, als seien im New Deal die »wahren Interessen« der Lohnarbeiter aufgehoben gewesen und die Demokratische Partei habe eine progressive Alternative dargestellt. Und bei allem Dissens mit der herrschenden Ordnung bleibt sein Protest doch recht konventionell. Ohnehin ist es ein Problem der US-Linken, dass sie zwar über hervorragende Zeitschriften und kluge Köpfe, doch keineswegs über ein so dichtes und meinungsbildendes Netz von Think-Tanks, Talkshows, Radiosendern, Bücherclubs und Zirkeln verfügt wie ihre konservativen Gegner.

Zwar kann Frank diverse Aspekte der aktuellen Auseinandersetzung in den USA präzise erhellen – die stereotype Teilung der USA in rote (republikanische) und blaue (demokratische) Staaten mit den entsprechenden dichotomen Zuschreibungen kritisiert er ebenso solide wie die Fehleinschätzung der »verkommenen« Kulturindustrie in der öffentlichen Debatte. Seine Analysen des »volksnahen« populistischen Charakters der modernen Konservativen an der Macht bringen die Sache auf den Punkt.

Doch insgesamt bleibt der Eindruck, als sei Frank der Meinung, es reiche die »Entlarvung« der schnöden Profitinteressen der Reichen und Mächtigen und als seien die Lohnabhängigen nach ein wenig Aufklärung schon aufgrund ihrer Klassenlage fähig, sich ihres »falschen Bewusstseins« zu entledigen und dem »wahren Unterdrücker« die Maske vom Gesicht zu reißen.

So bleibt bei Franks Analyse das Defizit, die Macht der von beiden großen Parteien geteilten US-amerikanischen Freiheitsideologie zu unterschätzen und nicht erklären zu können, wie die populären Mythen vom survival of the fittest auch für die Unterdrückten »wahr« werden und die eigene Position in der Klassenhierarchie als naturgegeben hingenommen wird.

Thomas Frank: Was ist mit Kansas los? Wie die Konservativen das Herz von Amerika eroberten. Berlin Verlag 2005, 302 S., 19 Euro