Fast backward

Viva schrumpft und zieht nach Berlin. von sebastian sedlmayr

Als »Starbucks« in der Schanzenstraße dicht machte, verloren die Letzten die Hoffnung, dass aus Viva in Köln noch etwas werden würde. Drei Tage später kam dann die Hiobsbotschaft: Fast alle Mitarbeiter müssen gehen, Viva zieht zu MTV nach Berlin. Auch für Köln und Nordrhein-Westfalen als Medienstandort bedeutet das einen herben Verlust. Die Stadt versucht, sich damit zu trösten, dass der Nachrichtenableger von RTL, n-tv, von Berlin an den Rhein verlegt wird. Doch n-tv hat erstens nicht annähernd so viele Mitarbeiter wie Viva, und zweitens geht der Glamourfaktor gen Null. Nicht nur Harald Schmidt, um dessen Studio neben dem abgelegenen Viva-Gelände in Köln-Mülheim es nun noch einsamer wird, trauert dem »größten Schlampenreservoir der Republik« nach. Auch die Lokalpresse wird die Homestories bei Viva-Sternchen und die Auftritte internationaler Stars auf der Rheinpromenade vermissen.

Alle Beschwichtigungen der vergangenen Monate erwiesen sich auf der Mitarbeiterversammlung am 28. Februar als Schall und Rauch. »Grundsätzlich habe ich keine Sorge um die Arbeitsplätze, denn bei einem solchen Aufbau werden viele kreative Köpfe gebraucht«, hatte Dieter Gorny vor neun Monaten noch getönt. Damals war er Chef des Kölner Musiksenders. Der US-amerikanische-Konzern Viacom hatte angekündigt, den Traditionskanal aufzukaufen und damit alle vier Musiksender Deutschlands (MTV, MTV 2, Viva und Viva Plus) unter einem Dach zu vereinen.

Die 292 Mitarbeiter des Fernsehens der Viva Media AG wissen mittlerweile, dass nur noch etwa 20 von ihnen am Geburtsort des Kölner Musiksenders werden weiterarbeiten können. Der Rest fliegt raus, einige wenige bekommen einen neuen Vertrag mit MTV und ziehen nach Berlin. Unangetastet bleiben offenbar die rund 300 Arbeitsplätze der Produktionstochter Brainpool, die Stefan Raab und Anke Engelke groß gemacht hat. Und Viva Plus soll weiter aus Köln senden.

Halbwegs Klarheit herrscht nun also über die Anzahl der Kündigungen. Aber bislang weiß noch niemand genau, wer gehen muss und wer einen der begehrten Arbeitsplätze bekommt. »Drei bis sechs Monate«, so schätzt der Viva-Betriebsrat Thomas Diekmann, kann sich das Umzugsdrama hinziehen. Das Hauen und Stechen bei dem Sender, dessen junge, karrierebewusste Mitarbeiter ohnehin nicht für besondere Kollegialität unter ihresgleichen bekannt sind, hat begonnen.

Nur der älteste unter den Viva-Angestellten, der 50jährige Dieter Gorny, braucht sich keine Sorgen zu machen. Durch den Aufkauf von Viacom hat er die eigenen Viva-Aktien versilbert, nunmehr darf er als Beauftragter für »Business Development und Network Relations« mal in London, mal in Köln über künftige Vermarktungsstrategien von jugendkompatiblen Produkten sinnieren. Catherine Mühlemann ist für das Programm der Musiksender zuständig. Sie hat bei MTV/Viva die Hosen an.

Einer ist sich in der prekären Situation bei Viva hingegen ganz sicher, dass er seinen Job los ist: der Betriebsrat Thomas Diekmann. Er hat sich in den Wochen seit der Übernahme von Viva durch den Konzern Viacom, zu dem auch MTV gehört, weit aus dem Fenster gelehnt. Zuletzt hat Diekmann der Darstellung der Berliner MTV-Chefin Catherine Mühlemann widersprochen, wonach »nur« 120 Mitarbeiter direkt von Entlassungen betroffen seien. »Schönfärberei« sei das, meint Diekmann.

Der Arbeitnehmersprecher ist nicht nur von seiner neuen Chefin Mühlemann enttäuscht, sondern auch vom alten Vorstand Dieter Gorny. Im Kampf gegen die Abwicklung schreckt er vor einem Rechtsstreit mit dem Vorstand als letztes Mittel der Verteidigung nicht zurück. Beim Amtsgericht Köln läuft eine Klage des Betriebsrats gegen Gorny. Der Vorwurf lautet, er habe die Mitarbeitervertretung nicht ausreichend in die Fusionspläne einbezogen. Am 15. März wird die Sache verhandelt. Diekmann rechnet realistischerweise nicht mit einer Rückabwicklung der Fusion. »Es geht um Geld und um die moralische Frage, wer Recht hat«, sagte er in der vorigen Woche.

Offensichtlich nur um Geld geht es bei weiteren Beschwerden gegen die Fusion: Zwei Kleinaktionäre haben Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beherrschungsvertrags zwischen MTV und Viva angemeldet. Dabei war Viacom beim »buy-out« nicht eben kleinlich. Das Angebot von 12,65 Euro pro Aktie lag 21 Prozent über dem damaligen Kurs der defizitären Viva Media AG. Doch manche kriegen eben nie genug. Wegen der Klagen ist die Beherrschung, dem die Generalversammlung der Viva Media AG am 14. Januar zugestimmt hatte, noch nicht im Handelsregister zu finden.

Für den neuen Eigentümer Viacom sind die Bereicherungsversuche von Viva-Kleinaktionären allerdings Peanuts. Der Konzern erwirtschaftete 2003 einen Umsatz von 22 Milliarden Euro und befand sich 2004 weiter auf Expansionskurs. Viacom nennt Fernseh- und Radiosender, Buchverlage, Filmstudios sowie umfangreiche Filmarchive sein eigen. Die New Yorker mit dem 82jährigen Summer Redstone an der Spitze gelten nach AOL Time Warner und Walt Disney als drittgrößter Medienkonzern der Welt, noch vor der Gütersloher Bertelsmann AG, zu der beispielsweise RTL gehört. Auch die Übernahme der vor sich hin dümpelnden ProSiebenSat.1 Media AG ist bei so viel Kaufkraft durchaus denkbar. Mühlemann sagte dazu unlängst: »Viacom schaut da sicher genau hin.«

Der Konzern verschafft sich mit dem Kauf von Viva einen doppelten Vorteil: die Liquidierung eines lästigen MTV-Konkurrenten und einen Anteil am lukrativsten Fernsehmarkt Europas. »Deutschland ist als größter TV-Werbemarkt mit einem umfassenden Programmangebot ein Schlüsselfaktor für die Wachstumspläne von MTV Networks in Europa«, stellte Viacoms Co-President Tom Freston bei der Übernahme im vergangenen Juni fest.

Gleichzeitig ließ Viacom über die MTV-Chefin Mühlemann ausrichten, es werde künftig »vier komplett verschiedene Sender« geben – und nicht mehr wie bisher vier Musiksender. Nachdem die nordrhein-westfälische Landesregierung gedroht hatte, dass der Kabelplatz von Viva Plus gefährdet wäre, wenn dort der Programminhalt verändert würde, überlegte MTV es sich anders: Im Herbst kündigte die Berliner Zentrale an, auf allen vier Kanälen solle weiterhin Musik laufen, nur mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Doch das wird immer unwahrscheinlicher. Mühlemann sagte in der vorigen Woche klipp und klar, dass MTV 2 »als Instrument nicht mehr gebraucht« werde.

MTV/Viva kann sich jetzt ganz darauf konzentrieren, den Laden rentabel zu machen. Schwarze Zahlen, ein Marktanteil von zwei statt bislang 1,7 Prozent und eine Umsatzsteigerung von 15 Prozent erhofft sich Mühlemann für Viva bis zum Ende des Jahres. Ein wichtiges Element ist dabei der Verkauf von Werbezeiten. Zuletzt haben MTV und Viva um die Kunden konkurriert, jetzt kann MTV/Viva die Preise leichter bestimmen.

Und da ist einiges zu holen: Die Klingeltonfirma Jamba, so ergab eine vom Land NRW in Auftrag gegebene Studie, hatte im letzten Quartal des vergangenen Jahres den fünftgrößten Werbeetat der Republik – noch vor Beiersdorf (Nivea) oder Unilever (Langnese).

66 Millionen Euro brutto steckten die Klingeltonproduzenten demnach in den ersten zehn Monaten des Jahres 2004 in die nervigen Reklamespots. Profitiert haben davon ausschließlich MTV, Viva und RTL II. Nun werden nur noch zwei Firmen das Marktsegment unter sich aufteilen.