Her mit der wahren Liebe!

Wer sich im Internet auf Partnersuche macht, begibt sich auf den Gebrauchtwarenmarkt der Gefühle. von thomas blum

Weil die Menschen heute zu Sklaven ihrer Arbeit degradiert und stets abrufbar sind, sind sie auch nachts vorm Einschlafen in Gedanken entweder mit dem Fortgang ihrer Karriere beschäftigt oder mit der Angst um ihre Arbeitsstelle. Die Kunst, die Philosophie, die Liebe, all das ist ihnen versagt. Für das, was das Leben ausmacht, haben sie keine Zeit, denn vom einzig existierenden Reichtum, der Zeit, haben sie gar keinen Begriff.

In Knechtschaft gehalten von der allumfassenden, sinnlosen Betriebsamkeit um sie herum, in der sie vegetieren, sehnen sie sich diffus nach etwas, von dem sie nicht recht wissen, was es ist. Es ist die Liebe, die sie suchen. Eine der Folgen ist, dass sie meinen, die Liebe ließe sich im Internet finden, so wie sie die Wurst beim Metzger kaufen.

Also suchen sie eine so genannte Partnerbörse oder Flirtbörse auf. Und keiner behaupte, die Wahrheit liege nicht offen zutage. So, wie die Dinge heißen, so sind sie auch. Sie sind ein erbarmungslos wütender Markt, auf den man sich wirft, um sich feilzubieten wie ein Stück warmer Körper und zu hoffen, einen Abnehmer zu finden. In ihrer eigenen bohrenden Verzweiflung und um ihrer eigenen Nichtigkeit nicht gewahr zu werden, tun sie das Würdeloseste: Sie stellen sich ins Netz, auf den Gebrauchtwarenmarkt der Gefühle.

Sie sitzen erloschen mit glasigen Augen vor dem virtuellen Fleischmarkt, den sie auf dem Bildschirm vor sich haben, und sehen sich Bilder von Menschen an, als blätterten sie in einem Warenkatalog. Hernach begeben sie sich in einen so genannten Chat, was bedeutet, dass man albernes, redundantes Geschwätz und bei Bedarf frivole Belanglosigkeiten austauscht, um sich wichtig zu machen, sich einzuschmeicheln und sich gegenseitig vorzulügen, es liege einem tatsächlich etwas am jeweils anderen. Sie glauben einfältig, dass man die Liebe so finden könne, wie man einen Staubsauger ersteigert: drei, zwei, eins ... meins!

Es sind bemitleidenswerte Menschen, weil sie nicht in der Lage sind zu erkennen, dass die Warenförmigkeit bereits ganz und gar Besitz von ihnen ergriffen hat. Humane Anhängsel ihrer Funktion als Arbeitskraft und entfremdet vor dem PC hockende Monaden, die sie sind, diktiert ihnen das elektronische Medium auch ihr Liebesleben.

Wer hat die meisten Dates in kürzester Zeit? Wer datet am schnellsten? Wer ist der beste Leistungsdepp? Sie betreiben einen Wettbewerb, einen Leistungssport. Was sie auf diese Weise aber am Ende finden werden, ist nicht ein Lebensabschnittsbegleiter, noch weniger einen Menschen, der sich für sie interessiert, oder gar das, was man übereingekommen ist, Liebe zu nennen. Die, auf die sie bei ihren Internet-Speed-Dating-Verabredungen treffen, sind ebenso wie sie selbst narzisstische oder desperate, einsame Kreaturen, die keine Zeit haben, sich auf einen anderen Menschen einzulassen.

Und was nach ihrem vermeintlich erfolgreichen Zusammentreffen am Ende bestenfalls übrig bleibt, ist nichts als das mehr oder minder gelungene Ineinanderstecken ihrer Geschlechtswerkzeuge und das armselige »Beieinander zweier übler Gerüche bei Nacht« (Talleyrand-Périgord).

Nett soll der Partner sein, wird verlangt, nett und niedlich, wie neulich eine Dame im Internet versuchte, ihren Wunschpartner wie auch sich selbst zu umschreiben. So sehr ist die Empfindungsfähigkeit der via Internet Kontakte suchenden Menschen heute schon abgestumpft, dass ihr Anspruch an einen anderen Menschen derselbe ist wie an einen Hund: nett und niedlich. Doch so trifft im jede spontane Regung vernichtenden Internet der simple Hans seine schlichte Grete, um sich jeweils aus der Einöde in die Zweiöde zu begeben.

Die Menschen aber, die derart ihr Liebesleben generalstabsmäßig planen, wissen nichts von der Schönheit des ziellosen Herumflanierens, vom Zauber des Augenblicks. Und daher wird ihnen auch niemals das unfassbar liebreizende Geschöpf im Park auffallen, das, wie von einem alten Meister in die Landschaft hineingemalt, völlig selbstvergessen dahockt, in dieses Buch von Oskar Panizza vertieft ist und sich beim Lesen fortwährend mit einer anmutigen Handbewegung diese in regelmäßigen Zeitabständen herabfallende Haarsträhne aus dem engelsgleichen Gesicht streicht und das, so wollen wir hoffen, nicht gerade auf sein Internet-Date wartet, sondern tatsächlich der ausgestorbenen Kulturtechnik des Lesens nachgeht.