Mission verfehlt

Der Angriff auf einen Milizstützpunkt in Loga zeigt, dass die UN-Einheiten im Kongo drohen, den Milizen immer ähnlicher zu werden. von alex veit
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Fast scheint es, als würde die Mission der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo (Monuc) den bewaffneten Gruppen, die sie zur Raison bringen soll, immer ähnlicher. Soldaten, die Frauen und Kinder sexuell ausbeuten, Kampfhandlungen, bei denen möglicherweise der Tod von Zivilisten in Kauf genommen wird, schließlich ein Befehlshaber, dessen Autorität vollständig in Frage gestellt ist. Solche Nachrichten wurden bislang eigentlich den kongolesischen Kriegsparteien zugeschrieben und nicht der Friedensmission der Uno.

Mit dem Angriff der Monuc-Soldaten auf einen Stützpunkt der Front des Nationalistes et Intégrationnistes (FNI) am Dienstag der vorigen Woche wollte man vielleicht auf die tiefe Krise der Monuc reagieren, jedoch könnte die Operation einen weiteren Tiefpunkt der Blauhelmintervention markieren. 50 Milizionäre, so General Jean-François Collot d’Escuries, Stabschef der Monuc, kamen dabei ums Leben. Damit war der Einsatz die blutigste Kampfhandlung einer Blauhelmarmee seit der gescheiterten Intervention in Somalia 1993.

Bewohner des Dorfes Loga im Distrikt Ituri im Nordosten des Kongo beschuldigten inzwischen die Uno, bei der Aktion den Tod von Zivilisten in Kauf genommen zu haben. »Es ist vielleicht wahr, dass sie 50 Soldaten getötet haben, aber die Monuc spricht nicht von den zehn Schülern, die wir verloren haben«, zitiert die Nachrichtenagentur AFP die Lehrerin Love Tchusi aus Loga. AFP berichtete weiter, dass einer Journalistin ein frisches Grab gezeigt wurde, in dem den Dorfbewohnern zufolge drei von den UN-Einheiten getötete Kinder beerdigt worden seien.

Ein Sprecher der Monuc sagte dazu, er sei »nicht in der Lage, solche Berichte zu kommentieren«, aber die UN werde »wie nach jedem Einsatz im Gebiet« den Vorfall untersuchen.

Der Angriff auf das Lager der FNI-Miliz in Loga scheint ein Vergeltungsschlag für einen vier Tage zuvor gelegten Hinterhalt gewesen zu sein, bei dem neun UN-Soldaten aus Bangladesch von Milizionären getötet worden waren. Der Hinterhalt, der dem FNI zugeschrieben worden ist, war die seit langem schwerste militärische Herausforderung der Blauhelmtruppe gewesen und zwang die UN, die humanitäre Versorgung von 50 000 Binnenflüchtlingen vorerst einzustellen.

Seit Dezember hatten immer neue Kämpfe zwischen rivalisierenden Banden die Region destabilisiert und die Friedensmission wieder einmal an den Rand des Scheiterns gebracht. Die Monuc, die den Milizenkämpfen bislang hilflos zugesehen hatte, musste reagieren, wenn sie von den Milizen weiterhin als militärischer Faktor ernst genommen werden wollte.

Doch die Monuc bestreitet, dass der Angriff auf den FNI eine Reaktion auf die vorherige Ermordung ihrer Soldaten war. Ursprünglich, so ein Vertreter der UN in New York, sei nur geplant gewesen, das Lager des FNI zu durchsuchen. Monuc-Stabschef Collot d’Escuries erklärte: »Wir haben nicht als Erste das Feuer eröffnet, sondern mussten zurückschlagen, als 242 Blauhelme des pakistanischen Monuc-Kontingents (…) unter den Beschuss von leichten und schweren Waffen wie Panzerabwehrkanonen kamen.« Schließlich sei das FNI-Lager mit der Unterstützung von Kampfhubschraubern erobert worden.

Die Darstellung des Einsatzes durch die Monuc lässt offen, wie die Hubschrauberbesatzungen, die dem FNI nach Angaben der UN die schwersten Verluste zugefügt haben, zwischen Milizionären und Zivilisten unterscheiden konnten. Collot d’Escuries selbst beschuldigte den FNI, sich während des Angriffs hinter Zivilisten versteckt zu haben, und fügte hinzu: »Wir haben Beweise, dass die Zivilbevölkerung als menschliches Schutzschild missbraucht wurde.«

In der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa sagte der Menschenrechtler und katholische Priester Rigobert Minani Bihuzo: »Trotz der Trauer über den Mord an neun Peacekeepern sollte die Monuc die Logik der Rache vermeiden, die dieser Militäroperation anscheinend zugrunde lag.« Er forderte eine unabhängige Untersuchungskommission zu den Vorfällen und implizierte, dass die Monuc die Bewohner des Ortes Loga für Sympathisanten des FNI hielt und deshalb keine Rücksicht auf sie nahm. »Im Kongo brauchen wir ein Justizsystem, das keine Verwirrung darüber schafft, wer schuldig ist, und das zur Benennung von persönlicher anstatt kollektiver Verantwortung in der Lage ist.«

Die Kämpfe in Ituri finden vor dem Hintergrund einer Führungskrise der Interventionstruppe statt. Ende Januar bestätigte eine interne UN-Untersuchung seit langem erhobene Vorwürfe, denen zufolge UN-Soldaten in Ituri Flüchtlingskinder sexuell missbraucht haben. Der Untersuchungsbericht schildert Aussagen von zum Teil erst elf Jahre alten Mädchen, die von UN-Soldaten Lebensmittel und kleine Geldbeträge für sexuelle Dienstleistungen erhalten haben.

Ein Stützpunkt der Monuc in der Hauptstadt des Distrikts Ituri ist direkt neben einem großen Flüchtlingslager gelegen. Offenbar war dort die Prostitution von Minderjährigen zu einer verbreiteten Praxis geworden. Sechs marokkanische Soldaten wurden für ihre Beteiligung daran verhaftet, doch die Zahl der beteiligten Soldaten ist sicherlich sehr viel höher. Nach Erscheinen des internen Untersuchungsberichts verbot die Monuc-Führung jeglichen sexuellen Kontakt zwischen ihren Soldaten und der Zivilbevölkerung.

Allerdings hatten verschiedene Medien bereits vor knapp einem Jahr über den sexuellen Missbrauch berichtetet. Trotzdem ergriff die UN-Führung damals keine entschlossenen Maßnahmen. Wegen dieser Untätigkeit beschloss UN-Generalsekretär Kofi Annan nun, William Lacy Swing, den höchsten Vertreter der UN im Kongo, abzulösen. Allerdings soll noch auf eine Beruhigung der Lage nach den Kämpfen mit dem FNI gewartet werden. »Der Generalsekretär hat festgestellt, dass Herr Swing offensichtlich alle Hände voll zu tun hat und starke Führungskraft zeigen muss«, erklärte ein Sprecher von Annan. »Es wurde gefolgert, dass jetzt nicht der Moment für eine plötzliche Auswechslung des Sondergesandten ist.«

Die Führungskrise in der Monuc und die offenbar schwache Kontrolle über ihre eigenen Soldaten sind Symptome der Überforderung der Interventionskräfte. Bislang musste sich die Mission Kritik wegen ihrer Untätigkeit gegenüber den Kämpfen zwischen den Bürgerkriegsparteien und schweren Menschenrechtsverletzungen gefallen lassen. Erst nachdem nun ihre eigenen Soldaten angegriffen worden sind, scheint die Monuc sich zum Handeln genötigt zu fühlen. So läuft die Friedenstruppe Gefahr, selbst zu einer weiteren Kriegspartei zu werden.