Singen lohnt sich nicht

Urteile gegen die Neuen Roten Brigaden

Selbst für die Staatsanwälte war es schwierig, ihre Verwunderung zu verbergen. Am Dienstag vergangener Woche wurden die ersten Urteile im Prozess um den Mord an dem Arbeitsrechtsexperten Massimo D’Antona im Mai 1999 gegen zwei Mitglieder der Neuen Roten Brigaden gesprochen. Sie fielen härter aus, als die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Cinzia Banelli, die erste und bisher einzige »pentita« (»Reuige«) im Prozess gegen die Neuen Roten Brigaden, wurde zu 20 Jahren verurteilt, Laura Proietti, die zweite Angeklagte, zu lebenslänglicher Haft.

Die beiden Frauen hatten sich für ein abgekürztes Verfahren entschlossen, in der Hoffnung, einen Strafnachlass zu bekommen, da das Gesetz – zumindest theoretisch – diese Option vorsieht. Mit einem ähnlichen Urteil hätten sie jedoch auch in dem Hauptverfahren rechnen können, das Mitte September in der »aula bunker« des Gefängnisses von Rebibbia in Rom gegen 15 weitere Angeklagte begonnen hat. Das abgekürzte Verfahren ersparte Proietti schließlich nur die Isolationshaft, die bei lebenslänglichen Strafen im Zusammenhang mit der Mafia oder dem Terrorismus vorgesehen ist.

Am Tag vor der Urteilsverkündung verlas Proietti eine Erklärung, in der sie ihre Mittäterschaft am Mord an D’Antona bekannte. Der bewaffnete Kampf sei ihr damals als »einzige mögliche Alternative erschienen, um gegen ein politisches und ökonomisches System zu kämpfen, das für große Ungerechtigkeiten verantwortlich ist«. Nach dem Mord habe sie jedoch angefangen, die »alten Gewissheiten in Frage zu stellen« und habe sich »von der Organisation gelöst«. Proietti beschränkte sich auf eine Distanzierung vom bewaffneten Kampf, ohne Aussagen über andere Beteiligte zu machen.

Anders als »Genossin So«, so der Deckname von Cinzia Banelli innerhalb der Organisation, die seit vergangenem Sommer mit der Justiz zusammenarbeitet. Das harte Urteil gegen sie sorgte für große Überraschung auch bei der Staatsanwaltschaft, die »nur« 14 Jahre gefordert hatte. Banelli war im Oktober 2003 verhaftet worden und brachte nach einem halben Jahr im Gefängnis ein Kind zur Welt. Daraufhin entschloss sie sich, über die Neuen Roten Brigaden auszupacken. Sie erzählte Details über die Morde an D’Antona und dem Arbeitsrechtsexperten und Regierungsberater Marco Biagi, der im März 2003 in Bologna erschossen worde. Ohne ihre Aussagen – sie verriet Passwörter für digitale Archive und die Namen einiger Teilnehmer an bewaffneten Aktionen – wären die laufenden Prozesse in Rom und Bologna für die Staatsanwaltschaft viel mühsamer.

Für die so genannten Reuigen sieht die italienische Gesetzgebung vor, dass die Strafen auf die Hälfte reduziert werden können. Von dem umstrittenen »Pentiti-Gesetz« haben seit den achtziger Jahren zahlreiche Angeklagte profitiert und Strafnachlässe erhalten. »Den Rotbrigadisten, die in die Moro-Affäre verwickelt waren und ausgepackt haben, wurden erhebliche Strafminderungen gewährt«, kommentierte Banellis Verteidigung das Urteil, das sie als »unangemessen« bezeichnete.

Die Richter haben mit diesem Urteil ein klares Zeichen gesetzt. Die Zusammenarbeit mit der Justiz scheint an Wert verloren zu haben. Es ist vorbei mit den Zeiten, in denen es reichte, andere zu verraten, um wieder auf freien Fuß zu kommen. Gegen den »Terror« geht man jetzt mit eiserner Hand vor. Zumindest gegen diesen. Denn nicht alle »pentiti« sind gleich. Die »Reuigen« in Mafiaprozessen werden weiterhin beschützt und mit Strafnachlässen belohnt.

federica matteoni