Die Erbinnen der Stützstrümpfe

In Schweden arbeiten Feministinnen am Aufbau einer Frauenpartei. von bernd parusel, stockholm

Besucht man eine Plenarsitzung des schwedischen Reichstags, stellt man schnell fest, dass der Anteil von Frauen in der schwedischen Politik deutlich höher ist als beispielsweise in Deutschland. Rund 45 Prozent der Parlamentsabgeordneten sind Frauen, und Göran Perssons Kabinett besteht genau zur Hälfte aus Ministerinnen. Beigetragen haben dazu maßgeblich die so genannten »Stützstrümpfe« (»Stödstrumporna«), eine feministische Gruppe, die Mitte der neunziger Jahre damit drohte, eine eigene Partei zu gründen, sollte sich der Frauenanteil im schwedischen Reichstag nicht deutlich erhöhen.

Nunmehr haben Feministinnen erneut angekündigt, eine Frauenpartei zu gründen. Trotz aller Fortschritte hätten weder das Wahlrecht, die Berufstätigkeit von Frauen, ihre relative ökonomische Unabhängigkeit noch der Ausbau der Kinderbetreuung oder die fast gleiche Repräsentation der Geschlechter in politischen Gremien bisher ausgereicht, die »patriarchale Machtordnung« tatsächlich herauszufordern, erklärt die bekannte Feministin Gudrun Schyman. Zusammen mit anderen Feministinnen arbeitet die frühere Vorsitzende der schwedischen Linkspartei (Vänsterpartiet) am Aufbau einer Frauenpartei. Schon zur nächsten Parlamentswahl im Jahr 2006 wollen sie antreten. Meinungsforschern zufolge kann die Partei damit rechnen, die Vierprozenthürde für den Einzug in den Reichstag locker zu überspringen. Auf elf Prozent der Wählerstimmen beziffern Demoskopen das Potenzial einer von Schyman geführten Partei.

Viele Schwedinnen bemängeln, dass weibliche Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt häufiger in unsicheren Verhältnissen und mit befristeten Verträgen tätig sind als Männer, dass die weitaus meisten Chefposten in Unternehmen mit Männern besetzt sind und dass Frauen fast durchweg schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen, selbst wenn die Arbeitsaufgaben die gleichen sind. Gegenwärtig verdienen Frauen in Schweden durchschnittlich rund 82 Prozent des Einkommens der Männer, was sich auch auf lohnabhängige Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld oder Rente auswirkt. Dass eine wirkliche Gleichstellung noch in weiter Ferne liegt, zeigt auch, dass die Möglichkeit, den gesetzlichen Elternurlaub gleichmäßig auf beide Partner aufzuteilen, kaum genutzt wird. Von den 480 Tagen bezahlten Elternurlaubs nehmen Väter im Durchschnitt nur 15 Prozent in Anspruch. In der Regel bleibt die Mutter zu Hause.

Nicht wenige Männer, aber auch Politikerinnen sehen Schymans Pläne, eine Partei zu gründen, jedoch mit Sorge, nicht zuletzt deshalb, weil sie die etablierten linken Parteien Stimmen kosten dürfte. Allen voran die Linkspartei, deren Vorsitz Schyman von 1993 bis 2003 innehatte, hat Grund, nervös zu sein. Unter ihrem Einfluss hatte sich die Partei von einer moskautreuen Truppe zu einer undogmatischen und vielseitigen linken Kraft gewandelt, die von den Sozialdemokraten vernachlässigte soziale Themen öffentlichkeitswirksam problematisierte. Damals feierte die Linkspartei auch ihre größten Erfolge, rund zwölf Prozent erhielt sie 1998 bei den Reichstagswahlen.

Bereits zu dieser Zeit profilierte sich Schyman auch mit Gleichstellungsfragen. Geradezu legendär ist ihre Parteitagsrede im Jahr 2001, in der sie erklärte, die Diskriminierung von Frauen in Schweden folge dem gleichen Muster wie die Politik der Taliban in Afghanistan. Unterschiede seien nur graduell. Viele Parteianhänger reagierten auf diesen Vergleich empört. Viele Wählerinnen aber waren begeistert von Schymans Einsatz für Gleichberechtigung. In Umfragen, wer die beliebteste Frau Schwedens sei, landete sie häufig auf Platz zwei – gleich hinter Königin Silvia.

Gerade deswegen passt es der parlamentarischen Linken nicht, dass Schyman eigene Wege gehen will. Derzeit dümpelt die Linkspartei in Umfragen bei mageren sechs Prozent. Wenig besser steht es um die Grünen. Die Sozialdemokraten sind zwar bei Meinungsumfragen immer noch die stärkste Kraft, aber die Koalition hat ihre Mehrheit verloren, so dass die Regierung von den bürgerlichen Parteien gestellt werden würde.

Um Schyman zuvorzukommen und selbst in der weiblichen Wählerschaft zu punkten, gründeten die Sozialdemokraten Anfang März unter dem Namen »Feministas« ein eigenes feministisches Netzwerk. Darin sollen auch Frauen und Männer, die nicht der Regierungspartei angehören, aktiv werden können. Auf ihrer ersten Pressekonferenz gaben sich die Feministas betont frech und kämpferisch. Ministerpräsident Persson sei nicht gerade ein Bannerträger für Gleichstellung, sagte Wanja Lundby-Wedin, die zugleich Vorsitzende des Gewerkschaftsbunds LO ist. Persson und den anderen Männern in der Sozialdemokratie soll nun Druck gemacht werden.

Für Schyman und ihre Verbündeten dürfte das jedoch keine ernsthafte Konkurrenz bedeuten. Allzu klar ist, dass sich die von der sozialdemokratischen Generalsekretärin Marita Ulvskog angeführten Feministas vor allem aus Politikerinnen zusammensetzen, die schon früher frauenpolitisch aktiv waren, schon länger Parteiposten innehaben, es aber trotzdem nicht geschafft haben, an den von Schyman und außerparlamentarischen Gruppen bemängelten Missständen wirklich etwas zu ändern.

Auch soll die Herangehensweise der Frauenpartei eine andere sein. Auf die Frage, warum eine feministische Partei nötig sei, antwortet Schyman, die Ideologie der herkömmlichen Parteien sei an den Klassengegensätzen ausgerichtet. Linke wollten die Unterschiede verringern oder abschaffen, Rechte sie verstärken. Alle anderen politischen Ziele, etwa Umweltschutz, Multikulturalismus oder auch Frauenperspektiven, seien lediglich Garnitur. Für sie dagegen sei die Realität des Geschlechterverhältnisses der Ausgangspunkt jeder Politik.

Ob ihre Pläne Wirklichkeit werden, ob eine feministische Partei tatsächlich elf Prozent der Stimmen auf sich ziehen kann und ob dies dem Kampf von Frauen um gleiche Bedingungen weiterhilft, bleibt vorerst offen. Die Tatsache aber, dass Gleichstellungspolitik in Schweden nahezu ein Medienhype geworden ist und ein Hauptthema im nächsten Wahlkampf sein könnte, deutet daraufhin, dass die Frauen im Norden vielleicht doch vergleichsweise weit gekommen sind.