Es geht auch anders

Die amerikanische Band Sun City Girls ist eine Freaktruppe vor dem Herrn. von klaus vogl

Sitzen zwei Gäste in der »Brothers Unconnected Lounge«. Sagt der eine: »Und nach 13 Tagen stellte ich schließlich fest, dass meine Schwiegermutter meine Ehe zerstört hat.« Fragt der andere: »Wie das?« »Weil meine Frau nach Hause kam und uns zusammen im Bett erwischt hat.« Es kommt noch bizarrer: Der Frager ist ein Skelett und stellt sich als Sirhan Sirhan vor, der andere sieht Ronald Reagan nicht unähnlich, kommt auf seine multiple Persönlichkeit zu sprechen und behauptet, er sei Jack und Bobby Kennedy.

Die Bildergeschichte ist Beigabe einer Single der US-amerikanischen Band Sun City Girls. Neben der Musik und den Sprechstücken sind auf ihren Plattencovern immer auch Kurzgeschichten und Comics abgedruckt. Fundstücke aus einem schwer zugänglichen Universum, in dem der Tonfall der Texte nie mit dem Stil der Bilder korrespondiert. In dem, genau genommen, überhaupt nichts miteinander korrespondiert. Der Fantasie der Sun City Girls sind keine Grenzen gesetzt, weil sie der Wirklichkeit so wenig Respekt bezeugen. Irgendwo zwischen Atomzeitalter und Hippiekultur haben sie eine Nische gefunden, von der aus sie genüsslich den Lauf der Dinge beobachten. Wenn es in ihrem Schaffen eine Konstante gibt, dann die der Brechungen, der verschobenen Dimensionen und des kompromisslosen Spiels mit Identitäten.

Die Sun City Girls haben Multitasking an die Fernbedienung angeschlossen. So kann Charlie Gocher Jr., zuständig für Drums, Marimba und Gongs, auch umschalten auf den Job eines Übersetzers. Gitarrist Rick Bishop wird so plötzlich zum »Satanic Director at large«, und sein Bruder Alan bekleidet, außer der Arbeit an Bass, Piano, Sound-Effekten und Tapes, den Posten des »Space Traffic Controllers«. Die diversen Tätigkeitsfelder kommen besonders live zum Tragen. Ein Konzert mit den Sun City Girls erinnert an die stummen Alpträume eines Buster Keaton. An unheilvolle Begebenheiten, die aus Versehen in Gang gebracht werden und nicht mehr zu stoppen sind. Vielleicht würden sich die Sun City Girls auch gut auf einer deutschen Theaterbühne machen. Zumal die Bandmitglieder in Zungen reden können, jede Menge Performance-Splitter ausstreuen und Irritationen aller Art in ihr Konzept einbeziehen. Natürlich können sie opake Rockinstrumentals schreiben und surrealistische Country&Western-Melodien. Aber wenn sie im offenen Dialog mit dem Publikum stehen, legen sie je nach Laune die Instrumente beiseite, drehen ihm auch mal den Rücken zu und wärmen sich an einem fiktiven Lagerfeuer, besoffen von schwarz Gebranntem (»Moonshine from the Still«).

Charlie mutiert dann zu »Uncle Jim«, erzählt von gebatikten Kondomen, während Rick Bishop Automagazine hochhält und die Centerfolds herumzeigt, als seien es besonders scharfe Pornodarstellungen.

Das ist nicht lustig. Wie Fernsehgesichter, denen im endlosen bläulichen Schein keiner zuhört, erzählen sie in »inneren« Monologen von Vorkommnissen in einer geheimnisvollen Stadt am Nordpol namens »Napoleon&Josephine«, von der Qualität des Gefängnisessens oder von Schwierigkeiten, beim Spiel mit »blinden Würfeln« Ergebnisse zu erzielen. Aus den Sun-City-Girls-Songtiteln spricht zudem die Lektüre von Mystery-Broschüren, sie heißen: »The Yeti Stuff Compound Evacuation Ray«, »Coffee with Eyelash«, »Mind Bomb Super Meme«, »Your Bible Set off my Smoke Alarm«. Die Krise der aktuellen Science-Fiction ist anscheinend nicht bis zu ihnen durchgedrungen.

Angefangen hat die »S.C.G.-Medicine Show« 1980 in Phoenix/Arizona. Die Stadt ist eines der Zentren der amerikanischen Raumfahrtindustrie. In der Millionenmetropole am Rande der Wüste gedieh zwischen Schrotthalden für ausrangierte Verkehrsflugzeuge und architektonisch reizvollen Drive-In-Restaurants auch eine Punkszene. Musikalische Trends von den beiden amerikanischen Küsten treffen hier mit zeitlicher Verzögerung ein, dafür gibt es die gemeineren Drogen: Magensaft vom Ochsenfrosch, all you can drink.

Zuerst spielte Moe Tucker von Velvet Underground mit den Gebrüdern Bishop. Ihr stoisches Gekeule hat sich dann irgendwann auf den Drumstil von Charlie Gocher übertragen. Außerdem hat sie Eugene Chadbourne mit den Sun City Girls bekannt gemacht. Wie diese ist auch Chadbourne ein freischwebender Prankster-Musiker und kennt die besten jüdischen Witze, Ornette Coleman und die Ahnengalerie des »anderen Amerika«. Auch Rick Bishop erinnert in seinem Gitarrenspiel an die Harmolodics von Coleman, seine Tonfolgen sind symbolistisch angehaucht, haben, gespielt mit zwei Händen auf einer Klampfe aus Holz, die Kraft eines ganzen Orchesters. Andere Kollaborateure der Sun City Girls sind der Geiger und gelegentliche Sideman von Bill Frisell, Eyvind Kang, und die japanischen Fachleute für Ohrensausen, The Ruins. Als wichtigste Einflüsse zählen die Sun City Girls Captain Beefheart, Sonny Sharrock, Thin Lizzy, Sam Peckinpah, Django Reinhardt und Philip K. Dick auf.

Wenn heute erneut eine junge Generation von amerikanischen Musikern aus der Beschäftigung mit der freien Improvisation, mit Freejazz und mit Noise Kreativität bezieht, merkt man, wie visionär und vorausschauend die Sun City Girls waren und sind. Aber auch, wie schwer zu fassen. Betreiben sie Art-Bruit-Spielchen oder sind sie bloß als Laienspieler getarnte LSD-Dealer? Machen sie Fakejazz, oder waren sie zu lange in einer okkulten Buchhandlung?

Möglicherweise sind ihre Freak-Out-Exzesse auch nur Freigänge im Knast der Virtuosität. Die Frage, ob sie überhaupt Virtuosen sind oder eher geniale Dilettanten, beschäftigt aber niemanden wirklich. Jedenfalls sind ihre musikalischen Darbietungen immer schön ambivalent, manchmal an der Grenze zum Affront, hie und da auch angsteinflößend. Und sie verstoßen gegen den Ehrenkodex des guten sauberen Rockentertainments, weil hier nichts zu Ende gebracht wird und stattdessen der Irrtum ausgiebig zu Wort kommt. Manchmal stoppen sie ihre Songs unvermutet oder lassen sie 40 Minuten lang vor sich hin dudeln.

Immer wieder brechen die Sun City Girls auch zu musikalischen Exkursionen nach Südostasien auf, bevorzugt nach Indonesien oder Burma. Von dort bringen sie Feldaufnahmen mit: O-Töne aus Kinos, Hundegebell-Sinfonien, Straßenlärm. »Außer von unserem Heimatschutzministerium sind sie von niemand zu stoppen«, schreibt das amerikanische Magazin Forced Exposure über die Sun City Girls. Ein Bild von Raymond Pettibon würde eine passende Beschreibung für die Band liefern: Darauf ist ein nackter Hippie zu sehen, wie er vom Dach eines Hauses in die Tiefe springt und sagt: »This Drumsolo sounds so good, I want to take it with me.«

Man braucht nicht alle der circa 300 auf diversen Ameisenlabels erschienenen Tonträger der Sun-City-Girls zu kennen. Außer den Bandmitgliedern selbst gibt es wohl auch niemanden, der diese Aufnahmen alle gehört hat. Es gibt auch keinen Veröffentlichungsplan. Aber es gibt Momente, in denen man Sun City Girls-Musik einfach zu schätzen weiß. Dann, wenn man bemerkt, dass ihre Schöpfungen auf Fälschungen beruhen. Wie in einem Sieb, das den psychotischen Müll der Popkultur nach Brauchbarem durchkämmt, bleiben hier Juwelen hängen. »Graverobbing for the Future« nennt sich diese Methode. Und auf dem Album »Torch of the Mystics« gibt es so einen Moment, eine Coverversion des brasilianischen Sommerhits »Lambada«, weitertransponiert nach Peru und mit dem Titel »The Shining Path« versehen.

Die Tonqualität ihrer Schallplatten-Aufnahmen variiert mit der jeweiligen Tagesform der Bandmitglieder im Studio. Mal ist sie in gestochen scharfem Surround-Hi-Fi-Sound, mal in Oldschool-Lo-Fi, zur Not auch mal in No-Fi. Denn: »Fidelity, you won’t achieve ever in real time«, so der etwas umständliche Wahlspruch, einer an etwas umständlichen Wahlsprüchen nicht gerade armen Band.

Der Bandname geht übrigens zurück auf eine Gated Community für Rentner. Sun City liegt etwas außerhalb von Phoenix. Das Mindestzuzugsalter ist 55 Jahre. Wer sich dort niederlässt, kommt in den Genuss von Steuervergünstigungen. Bei einem Frauenüberschuss von drei zu eins bewegt man sich dort bevorzugt in leise surrenden elektrischen Golfcarts fort.

Warum aber dieser Bezug auf das Rentnerparadies? »Es könnte ja sein, dass es einen Grund dafür gibt, warum wir das machen. Warum bei uns bestimmte Sounds entstehen und andere nicht. Aber auf der Suche nach dem Grund kommen wir immer vom Thema ab. Dann erschaffen wir Neologismen, Geheimsprachen, die nicht mal wir selber verstehen«, sagt Charlie Gocher.

www.suncitygirls.com