Liebe Landsleute!

Köhler hat es vorgemacht. Einmischung in die Regierungspolitik? Aber immer! Zeit für die große Ruck- und Brand-Rede von peter o. chotjewitz

Wer weiß noch, unter welchen Bedingungen der so genannte Wiederaufbau nach 1945 stattfand? Es gab keinen Kündigungsschutz, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keinen bezahlten Urlaub und kein Klo auf der Baustelle. Die Arbeitszeiten waren lang und die Löhne niedrig. Also optimale Bedingungen für Unternehmer und leitende Angestellte, sich gesundzustoßen.

Es war einfach, arbeitslos zu werden, damals, als ich mich noch auf dem Arbeitsmarkt rumtrieb. Zumeist vor den Feiertagen oder wenn es kalt wurde, kam der Meister auf die Baustelle: »Freitag ist hier Schluss.« Am Montag drauf holte man sich im Büro die Papiere und ging anschließend aufs Arbeitsamt. Es ist ja nicht so, dass die Eigentümer der Produktionsmittel was gegen die Arbeitslosen hätten, solange sie keine Kosten verursachen. Vielleicht würden sie sogar ein paar Leute einstellen, wenn die nichts kosten würden.

Das Arbeitsamt meiner Jugend bestand überwiegend aus jungen Männern, die einen Gefrierfleischorden hatten und nach Feierabend am Tresen im »Schmutzigen Löffel« den Beinstumpf auf den Handgriff der Krücke legten, ohne umzufallen. Im Grunde war schon das damalige Stempelwesen absurd. Man kam rein, füllte ein Formular aus, hörte sich an, dass keine Maler und Anstreicher gesucht würden, ließ die Stempelkarte abstempeln und ging wieder heim.

Ich war gerne arbeitslos. Endlich tun, wozu ich Lust hatte. Erstmal ausschlafen, dann in Ruhe Zeitung lesen, Fremdsprachen lernen, schlechte Gedichte schreiben, Spaziergang machen oder Fahrradtour, die Weser rauf und runter. Gegen Mittag reiste ich mit dem Bummelzug die 20 Kilometer nach Kassel und verbrachte ein paar Stunden in der Muhrhardtschen Landesbibliothek oder ging die paar Schritte rüber in die Pinakothek, Niederländer angucken.

Thema Arbeitslosigkeit: Bei mir am Küchentisch herrscht Einigkeit über die Ursachen. Früher arbeitete das halbe Dorf in der Landwirtschaft. Heute noch ein halbes Dutzend. Früher brauchte man 50 Mann mit Schaufel und Schubkarre, um die Straße durchs Dorf zu erneuern. Heute einen Schachtmeister, einen Baggerfahrer und einen Lkw. Im Basaltsteinbruch früher Steinschläger en masse. Heute ein Mann an der Waage und einer, der die Steinmühle bedient.

Dass manche Maschinen brotlos machen, wussten die Malocher schon im frühen 19. Jahrhundert. Man nannte sie »die Maschinenstürmer«. Nach der Weltwirtschaftskrise gab es auch keynesianische Plutokraten, die begriffen hatten: Irgendwer muss die Ware kaufen, die wir produzieren. In einem Strip aus den dreißiger Jahren entlässt Onkel Dagobert seinen Erfinder. Warum? Daniel Düsentrieb hat eine Autofabrik erfunden, für die es keine Arbeiter mehr braucht. Die stehen nun auf der Straße und betteln. Dagobert, empört: »Und wer kauft jetzt meine Autos?«

Natürlich erleichtern Maschinen die Arbeit und erhöhen die Produktivität. Statt die daraus resultierenden Gewinne zu verplempern, könnte die herrschende Klasse die Arbeitszeiten verkürzen und die danach immer noch überflüssigen Arbeitskräfte fürs Nichtstun entlohnen. Noch vor drei Jahrzehnten sah die Zukunft rosig aus: »Wir werden in Zukunft weniger arbeiten, mehr verdienen als heute und mehr Zeit haben, um unsere geistigen und seelischen Kräfte zu entfalten«, prophezeiten ernsthafte Futurologen. »Der Mensch der Zukunft ist der homo ludens!« Heute fordern ernsthafte Politiker und Kapitalvertreter mehr Arbeit für weniger Geld und tun so, als könnte man sich mit dem Existenzminimum lauter unnütze Dinge kaufen, um die Wirtschaft ankurbeln.

Das Gefeilsche zwischen Regierung und Opposition um Steuersätze und sonstige Erleichterungen für Leute, die jetzt schon viel zu viel verdienen, entbehrt schon immanent jeder Vernunft, reine Wahltaktik. Das würde ich, wenn ich so blöd wäre wie Merkel und Stoiber, genauso machen. Nie war es so einfach, der SPD Stimmen abzuluchsen. Der Knecht ließ sich schon vor 100 Jahren das Fell lieber vom Gutsherren über die Ohren ziehen als vom Gutsverwalter.

Die Schröder-Clique hat das historische Scheitern der Sozialdemokratie nicht einfach nur durch untertäniges Speichellecken fortgesetzt. Sie hat die Stimmen der ökonomisch und sozial benachteiligten Bevölkerungsmehrheit so unverschämt an den wohlhabenden Teil der Gesellschaft verscherbelt, dass die Proleten nur noch einen Wunsch haben: Nie wieder Reformen! Man kann der SPD deshalb für künftige parlamentarische Pattsituationen nur noch mehr Heckenschützen wünschen wie dieser Tage in Kiel. Wer nach »Rotgrün« drankommt, macht mir nicht bang. Ewig kann die Dummheit, die sich von einem Regierungswechsel alle paar Jahre Besserung erhofft, nicht dem Systemerhalt dienen.

So, liebes Wahlvolk. Sie fragen, wie ich es machen würde? Sie wollen vor allem Geld? Dann sage ich: Finanzielle Grundsicherung für alle, die in Deutschland leben, einerlei welche Staatsangehörigkeit sie haben. Keiner darf gezwungen werden, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu sichern. Gegenfinanzierung? Als Schröder noch Juso war, befürwortete er eine Begrenzung aller Gehälter auf 5 000 D-Mark im Monat. Das wäre doch ein Anfang.

Das Nichtstun gehört ins Antidiskriminierungsgesetz. Von Geburt an sind Kinder so zu erziehen, dass die Erwerbsarbeit nur eine von mehreren Optionen der Lebensgestaltung ist. Anreize für Aussteiger zum Beispiel durch den Orden »Verdienter Faulpelz des Volkes«. Wer einen Multimillionär entführt, um Geld zu erpressen, kriegt ein Standbild. Schwere, schmutzige Tätigkeiten werden besser bezahlt als White-Collar-Jobs.

Sollte es dann immer noch unzufriedene Arbeitslose geben, könnte man Scheinarbeitsverhältnisse schaffen. Trinken schon am Vormittag, Leberwurstbrote schmieren für Obdachlose, mit dem Fahrrad einmal um die Welt, Politiker beleidigen, Minister ohrfeigen, Schmetterlinge zählen, gegen unverbesserliche Erwerbstätige demonstrieren, gute Bücher lesen, schlechte Bilder malen, Leuten beim Sterben zugucken.

Ein Ruck muss gehen durch das deutsche Volk; eine große Kraftanstrengung ist vonnöten; politischer Mut und Hartnäckigkeit sind gefragt: Der Bundespräsident soll ruhig seine Reden halten – beim Kartoffelschälen in der Volksküche!

Und wenn alles umverteilt ist? Was wird aus mir, nach der Umsetzung meines Programms? Werden die Senatoren mich auf den Stufen des Capitols niedermetzeln? Wird das Volk mich durch die Straßen schleifen und in die große Kloake werfen? Vielleicht ist es besser, wir lassen ihnen ihren Hunger auf Arbeit.