Ehrenwerte Traditionen

Auslöser für die Kampagne des Auswärtigen Amtes gegen Außenminister Joseph Fischer war der Tod eines ehemaligen SS-Manns. von jörg kronauer

Soll man einen ehemaligen SS-Mann ehren? Frank Elbe meint: Ja. Um Franz Krapf dreht sich der Streit, den Elbe, der Botschafter Deutschlands in der Schweiz, mit Außenminister Joseph Fischer austrägt. Krapf habe wegen seiner langjährigen Arbeit für das Bonner Auswärtige Amt ein würdiges Andenken verdient, erklärt der Diplomat Elbe und greift seinen Chef scharf an. Denn der hat es per Erlass untersagt, ehrende Nachrufe auf ehemalige NSDAP-Mitglieder im Hausblatt des Amtes zu veröffentlichen. Das betraf auch den im Oktober 2004 verstorbenen Krapf.

Wie geplant kommt innerhalb kürzester Zeit die zweite Kampagne daher, die direkt auf den Sturz des Außenministers zielt. Der Streit um das Gedenken des Auswärtigen Amtes unterscheidet sich ideologisch kaum von der Affäre um die Visavergabe in der Ukraine. Die vom seit Jahren beliebtesten und wichtigsten grünen Politiker genehmigte vergleichsweise großzügige Erteilung von Einreiseerlaubnissen habe Massen von kriminellen Ukrainern und Zwangsprostituierten über Deutschland gebracht, hetzen Unionspolitiker. Auch ehemalige NSDAP-Diplomaten soll Fischer gefälligst ehren, tönt es nunmehr aus dem Auswärtigen Amt. Der rechten Propaganda der konkurrierenden Parteien folgt die aus dem Staatsapparat.

Im Auswärtigen Amt deutete sich der Unmut über Fischer seit geraumer Zeit an. Interne Informationen gelangten bereits zu Beginn der Visa-Affäre an die Presse – ein Zeichen für tief greifende Unstimmigkeiten. In der vergangenen Woche landete ein Brief des Diplomaten Elbe, der an den Außenminister gerichtet war und heftige Vorwürfe enthielt, bei der Bild-Zeitung. Das sei, »als ob jemand eine kleine diplomatische Atombombe zündet«, erklärte der Bonner Politikwissenschaftler Christian Hacke auf Spiegel online. Dahinter stecke grundsätzliche Kritik: »Mangelnde Professionalität verbunden mit Arroganz und einer in sich nicht stimmigen Außenpolitik, das ist es, was man ihm vorwerfen muss.«

Der aufgestaute Unmut entlädt sich nun in der Auseinandersetzung um das Gedenken des Auswärtigen Amtes. Denn der Streit um den Erlass, ehemalige NSDAP-Mitglieder nicht mehr zu ehren, rührt an den Korpsgeist der deutschen Diplomatie. »Die ›corporate identity‹ reicht im Auswärtigen Amt weiter als in einem auf Profit orientierten Wirtschaftsunternehmen«, schreibt Elbe in seinem Brief an Fischer. »Der Auswärtige Dienst verträgt keine Spaltung.« Man dürfe daher nach Ansicht des Diplomaten »nicht zwischen anständigen und vermeintlich kompromittierten Mitarbeitern des Auswärtigen Dienstes unterscheiden«.

Vermeintlich kompromittiert? Der Historiker Hans-Jürgen Döscher hat Krapfs NS-Biographie bereits vor Jahren öffentlich gemacht, in seinem Standardwerk »Verschworene Gesellschaft« mit dem Untertitel: »Das Auswärtige Amt unter Adenauer zwischen Neubeginn und Kontinuität«. Demnach gehörte Krapf nicht nur der NSDAP an (nach eigener Aussage seit 1. Juli 1936). Bereits im Mai 1933 wurde er in die SS aufgenommen, und am 1. Februar 1938, dem Tag seines Eintritts in den Auswärtigen Dienst, beförderte man ihn zum SS-Untersturmführer im Sicherheitsdienst-Hauptamt. Noch im Mai 1944, schreibt Döscher, habe der Leiter der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes dem SS-Personalhauptamt mitgeteilt, »dass SS-Untersturmführer Krapf neben vier weiteren Angehörigen des Auswärtigen Amts ehrenamtlicher Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes sei und zur Mitarbeit laufend herangezogen werde«.

Krapf soll keinen ehrenden Nachruf erhalten, insistiert Außenminister Fischer. »Wer eine Funktion im Nationalsozialismus hatte und bewusst oder unbewusst dafür sorgte, dass dieses Räderwerk lief, der muss sich gefallen lassen, dass seine Tätigkeit nach 1945 nicht lobend oder ehrend herausgehoben wird«, sagte auch der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Salomon Korn, in der vergangenen Woche dem Tagesspiegel. Ein sympathischer Wunsch, dessen Erfüllung eigentlich selbstverständlich wäre, es aber nicht ist. Denn dem Verlangen, Krapf zu ehren, liegt die kontinuierliche Tätigkeit des ehemaligen SS-Manns auf prominenten Posten des Auswärtigen Dienstes nach dem Krieg zugrunde.

Krapf machte »nach 1950 eine beachtliche Karriere im Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland«, schreibt Döscher. Zunächst war er in der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes beschäftigt, danach wurde er als Ständiger Vertreter des deutschen Botschafters bei der Nato eingesetzt. Die weiteren Stationen seiner Laufbahn waren folgende: Gesandter in der Botschaft der BRD in Washington, Leiter der II. Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt, danach Botschafter in Tokio, wo er schon von 1940 bis 1945 als Diplomat tätig gewesen war. Von 1971 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1976 krönte Krapf schließlich seine Karriere mit dem Posten als Ständiger Vertreter der BRD beim Nato-Rat in Brüssel.

Die Nachkriegskarriere des SS-Mannes Krapf ist beileibe kein Einzelfall. »Es gibt kein Bundesministerium, das in dieser Weise die Kontinuität der Berliner Tradition fortsetzt wie das Auswärtige Amt«, stellte der SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Erler im Februar 1952 fest. Das galt vor allem für das Personal. Vor einer »Renaissance der Nazis« im Auswärtigen Amt warnte die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland bereits im September 1951, berichtet Döscher. Im Jahr 1952 besetzten ehemalige NSDAP-Mitglieder rund zwei Drittel aller leitenden Positionen im Außenministerium. Und im Gegensatz zu sämtlichen anderen Ministerien behielt das traditionsbewusste Auswärtige Amt nach dem Zweiten Weltkrieg seinen aus dem Jahr 1870 stammenden Behördennamen bei. Sein Organisationsplan entsprach Mitte 1951 mit nur kleinen Unterschieden demjenigen des Jahres 1936.

Angesichts der ungebrochenen Traditionen des Auswärtigen Amtes lässt sich mit der Abschaffung ehrender Nachrufe für NSDAP-Mitglieder nicht mehr als Kosmetik betreiben. Sie ist freilich hilfreich für einen Außenminister, der gegen Jugoslawien Krieg führen ließ, den russischen Einfluss hinter die Ukraine zurückdrängen, den deutschen dagegen gern auf den Kaukasus sowie Zentralasien ausdehnen möchte. Ist es angesichts der neuen deutschen Großmachtbestrebungen nicht besser, den Anschein zu erwecken, mit den alten deutschen Expansionstraditionen nichts zu tun zu haben? Manche im Auswärtigen Amt, Joseph Fischer eingeschlossen, sehen das offenbar so.

Damit riskieren sie, schreibt der Diplomat Elbe, eine »Spaltung unter den Kollegen im Auswärtigen Dienst«. Denn von denen wollen viele die Nachkriegskarrieren weiterhin ehren, die so vielen ehemaligen NSDAP-Mitgliedern im Bonner Amt ermöglicht wurden. Der Zuspruch für sie ist groß, konstatiert Salomon Korn »mit Unbehagen«. Ihm scheint die Debatte »nur verständlich im Zusammenhang mit einer sich gegenwärtig abzeichnenden Revision der Geschichte des ›Dritten Reiches‹«. Die aber resultiert nicht allein aus einer Verschwörung übel wollender Reaktionäre im Auswärtigen Amt, sondern begleitet und legitimiert den deutschen Griff nach immer mehr Macht. Und dem dient, Gedenken hin oder her, immer noch der Außenminister.