Im Namen des Friedens

Rechtzeitig zu ihrem 50. Geburtstag trennt sich die Bundeswehr von Traditionsnamen aus dem Nationalsozialismus. von peter bierl

Das ändern wir jetzt. Das schwör’ ich Ihnen. In zwei Jahren finden Sie keine mehr«, kündigte Michael Naumann (SPD) am 27. Januar 1999 an, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Der damalige Staatsminister für Kultur meinte die nach Befehlshabern der Wehrmacht benannten Kasernen der Bundeswehr.

Die Bundeswehr wurde von alten Wehrmachtsgenerälen wie Adolf Heusinger aufgebaut. Das Verteidigungsministerium benannte über 30 Kasernen nach Helden der braunen Armee und 50 Kasernen nach Schlächtern aus dem Kaiserreich. Gemeinsam ist den Helden, dass sie Nachbarstaaten überfallen haben. Einige Namensgebungen gehen noch auf Hitlers Traditionsoffensive aus den Jahren 1937/38 zurück.

Ein Jahr vor Naumanns Schwur hatte der Bundestag beschlossen, dass Angehörige der Legion Condor nicht mehr als Traditionsnamen in der Bundeswehr verwendet werden dürfen. Die Legion Condor umfasste die Einheiten, die Deutschland im Jahr 1936 nach Spanien schickte, um die putschenden Generäle zu unterstützen. »Francos Feuerwehr« testete ihre neuen Mordwerkzeuge und bombardierte Dörfer und Städte, darunter die Stadt Guernica.

Das Votum im Bundestag im April 1998 erfolgte zu später Stunde. Viele Abgeordnete der Union hatten den Saal bereits verlassen. Die SPD-Abgeordneten enthielten sich, Grüne und PDS hatten plötzlich eine Mehrheit. Doch trotz des Beschlusses und Naumanns großspuriger Ankündigung passierte lange Zeit nichts.

Im April 2004 berichtet das Magazin Kontraste des Rundfunks Berlin Brandenburg unter dem Titel »Falsche Vorbilder« über Werner Mölders (1913 bis 1941), den »Fliegerhelden«. Der dazu interviewte Staatssekretär Walter Kolbow (SPD) wirkt uninformiert: Mölders sei persönlich mit dem NS-Regime nicht verstrickt gewesen. Er muss sich von den Journalisten vorhalten lassen, dass Mölders dabei war, als die Legion Condor das kleine Dorf Corbera bombardierte. Von Mai bis November 1938 kämpfte er in Spanien gegen die Republik und erhielt dafür mehrere Orden.

Im Jahr 1940 ist Mölders als Kapitän einer Jagdgeschwaderstaffel am Überfall auf Frankreich beteiligt. »Die schrecklichen Bilder der französischen Flüchtlingsströme geben uns doch das Hochgefühl unerhörter Überlegenheit«, notiert er in seinem Kriegstagebuch. Er fliegt Angriffe auf London, wird befördert und dirigiert als Kommodore Einsätze im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Hitler verleiht ihm als erstem Soldaten das Ritterkreuz mit Brillanten. Als er am 22. November 1941 bei einem Unfall stirbt, rühmt ihn der Völkische Beobachter als den »besten Jagdflieger der Welt«, der der Jugend als »Beispiel eines deutschen Heldenlebens« dienen möge. Hitler ordnet ein Staatsbegräbnis an und verfügt, dass Mölders’ Geschwader dessen Namen tragen solle.

Die Bundeswehr greift die vom Führer gestiftete Traditionspflege wieder auf: 1968 werden eine Kaserne in Visselhövede in Niedersachsen und ein Lenkwaffenzerstörer der Marine nach Mölders benannt. Unter Verteidigungsminister Georg Leber (SPD) folgt 1973 das Jagdgeschwader 74 in Neuburg an der Donau.

Zehn Monate nach dem Bericht des Magazins zieht Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) den Traditionsnamen Mölders aus dem Verkehr. Mit Bezug auf den Bundestagsbeschluss von 1998 lässt der Minister Ende Januar dieses Jahres mitteilen, dass die Mölders-Kaserne und das Jagdgeschwader umbenannt würden. Mitte März entfernt der Kommandeur der ersten Luftwaffendivision in Neuburg das Fahnenband von der Truppenfahne. Auf dem Fliegerhorst der Kleinstadt Fürstenfeldbruck westlich von München schrauben Soldaten die Straßenschilder mit den Namen von Mölders und drei weiteren Wehrmachtsoffizieren ab, die in der Legion Condor dienten.

Das sei nur der Anfang, meint der Religionslehrer Jakob Knab aus Kaufbeuren, der sich seit 20 Jahren mit der Traditionspflege der Bundeswehr beschäftigt. Sieben Jahre stritten er und andere Friedensbewegte allein dafür, dass die Dietl-Kaserne in Füssen, benannt nach dem Nazigeneral Eduard Dietl, 1995 in Allgäu-Kaserne umgetauft wurde. Die Grünen, erzählt Knab, seien am Anfang gegen eine Umbenennung gewesen. »Wenn wir an die Regierung kommen, schaffen wir die Bundeswehr sowieso ab«, hätten sie ihm damals gesagt. Nachdem die Partei im Jugoslawien-Krieg ihre Feuertaufe erhalten hatte, schrieb ihr Wehrexperte Winfried Nachtwei, die Rahmenbedingungen hätten sich verändert, »Bilderstürmerei und Geschichtssäuberung« seien verfehlt.

Alte Kameraden sehen das ähnlich. Ein Hauptmann a.D. reichte Anfang März im Bundestag eine Petition ein: »Mölders soll/muss weiterleben!« In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen eine große Anzeige der Mölders-Vereinigung e.V. und allerlei Leserbriefe, die sich gegen die Umbenennung aussprachen. Die Bild-Zeitung fabulierte am 21. März von einem »Aufstand der Offiziere« und zitierte den einschlägig bekannten Historiker Arnulf Baring: »Wo sollen denn die militärischen Vorbilder herkommen, wenn wir alle, die zwischen 1933 und 1945 gedient haben, unter Generalverdacht stellen?« Der CSU-Bundestagsabgeordnete Horst Seehofer appellierte Ende Februar an den Bundespräsidenten, er möge die Umbenennung des Jagdgeschwaders abwehren.

Es handele sich um Rückzugsgefechte und Populismus, urteilt Knab. Er glaubt, dass die Bundeswehr bis zu ihrem 50. Geburtstag noch eine ganze Reihe von Traditionsnamen tilgen wird. So werden am Standort Fürstenfeldbruck derzeit über 20 weitere Straßennamen überprüft. Unter den Namensgebern sind Hans-Joachim Marseille (1919 bis 1942), der in der »Luftschlacht um England« und in Nordafrika 158 britische Flugzeuge abschoss und in den fünfziger Jahren in dem Kitschfilm »Stern von Afrika« glorifiziert wurde, oder General Hermann Ritter von Mann, der als Richter am Reichskriegsgericht mehrere Todesurteile unterzeichnete, etwa gegen die polnische Widerstandskämpferin Krystina Wituska.

Knabs Recherchen zufolge hat das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr in Potsdam längst Studien über sämtliche Namenspatrone angefertigt. Nur hat bisher kein Verteidigungsminister von der Munition Gebrauch gemacht. Struck aber habe Durchsetzungskraft, meint Knab, der sich als Verfassungspatriot versteht und hofft, dass die Bundeswehr »in der Demokratie ankommt«.

Die Motive für die Umbenennungen dürften weniger edel sein: Das Verteidigungsministerium vollzieht eine Frontbegradigung. Die Kritik verstummt nicht mehr und wird auch von renommierten Militärhistorikern wie Wolfram Wette und Manfred Messerschmidt oder Publizisten wie Ralph Giordano vorgebracht. Wehrmachtsoffiziere als Namensgeber sind nicht zeitgemäß, wenn Militäreinsätze in aller Welt als humanitäre »Friedensmissionen« präsentiert werden sollen.

Naumanns Prophezeiung könnte, wenn auch verspätet, in Erfüllung gehen. Der Bundeswehr bleiben ihre Helden aus dem Kaiserreich, wie etwa Paul von Lettow-Vorbeck, nach dem eine Kaserne im niedersächsischen Leer benannt ist, erhalten. Sein Durchhaltekrieg in Ostafrika gegen die alliierte Übermacht von 1914 bis 1918 trug ihm den Titel »Löwe von Afrika« ein. Einige hunderttausend Menschen verhungerten, weil seine Truppen ihre Dörfer plünderten, oder verreckten als zwangsrekrutierte Träger der deutschen »Schutztruppe«. Heia Safari!