Action & Painting

Gerald Raunig schreibt eine Geschichte des künstlerischen Aktivismus unter poststrukturalistischen Vorzeichen. von jens kastner

Als im Zuge der Unruhen während der Pariser Commune 1871 die Vendôme-Säule gestürzt wurde, fiel eines der Symbole des französischen Militarismus schlechthin. Dass dem Maler Gustav Courbet für seine mutmaßliche Beteiligung am Säulensturz später eine Geldstrafe aufgebrummt wurde, rief den Mythos vom aktivistischen Künstler Courbet ins Leben. Courbet ließ während der Commune sein malerisches Schaffen ruhen und betätigte sich eher kulturpolitisch. Die Säule fiel dennoch keineswegs in einer spontanen Massenaktion, als vielmehr aufgrund eines bürokratischen Beschlusses.

Der Kunsttheoretiker Gerhard Raunig beschreibt in seinem Buch »Kunst und Revolution« den Fall Courbet und macht sich auf die Suche nach weiteren Beispielen, in denen das Nach- und Nebeneinander von künstlerischer Praxis und politischem Aktivismus durch eine permanente Verschränkung der beiden ersetzt wird. Er tut dies auf der Grundlage einer poststrukturalistischen Revolutionstheorie.

So spannt er einen Bogen von der Pariser Commune bis zu den Antiglobalisierungsprotesten in Genua 2001. Auf einem beispielreichen Weg durch diese Zeitspanne diskutiert der Autor die verschiedenen, auch von den künstlerischen Avantgarden vorgenommenen Verknüpfungen von Kunst und Politik. Das revolutionäre Theater um Sergej Eisenstein und Sergej Tretjakov in der Sowjetunion findet dabei ebenso Beachtung wie der Wiener Aktionismus. Auch den in den vergangenen Jahren so viel besprochenen SituationistInnen werden neue Aspekte abgewonnen, indem sie als Übergang »von der Kunstmaschine zur revolutionären Maschine« interpretiert werden.

In Anlehnung an die Begriffe bei Gilles Deleuze und Felix Guattari sowie Antonio Negri besteht die revolutionäre Maschine aus drei Komponenten: Widerstand, Insurrektion (Aufstand) und konstituierender Macht. Im Gegensatz zu dem, was der Begriff vermuten ließe, ist die revolutionäre Maschine gerade nicht mechanisch gedacht, sondern als fließendes Ineinanderübergehen von Diskursen, Personen, Orten und Ereignissen.

Damit ist sicherlich einiges gewonnen. Der Weg zur Revolution ist nicht mehr vorgezeichnet, es gibt also auch keine AbweichlerInnen mehr, und überhaupt ist sie kein alles entscheidender Moment, sondern ein langwieriger, komplizierter Prozess. Sie endet nicht in der Ergreifung der Staatsmacht, sondern eigentlich gar nicht. Konstituierende Macht bedeutet: Organisationsmodelle einrichten und verwerfen, mit Subjektivierungsweisen experimentieren, sich der Entstehung neuer, festgefügter Strukturen verweigern.

Nun tut es sicherlich gerade dem Kunstfeld ganz gut, mal wieder mit dem Begriff der Revolution konfrontiert zu werden. Während in der Produktwerbung heutzutage ständig irgendwelche Revolutionen angekündigt werden, spielt die Vorstellung der grundsätzlichen Umwälzung im spätestens seit der Documenta X (1997) wieder politisierten künstlerischen Feld kaum eine Rolle. Auch dass Raunig fast gänzlich auf die Besprechung von Kunstwerken verzichtet, soll die gesellschaftliche Bedeutung kultureller Praxis hervorheben. Raunig gibt sich also mit denjenigen Künstler-Stars gar nicht erst ab, die in den vergangenen Jahren mit angeblich radikalen politischen Inhalten die Museen gefüllt haben.

Im Mittelpunkt seiner Betrachtung steht vielmehr die Volx-Theater-Karawane. Diese Gruppe von globalisierungskritischen AktivistInnen gelangte durch die Verhaftung einiger ihrer Mitglieder während der Proteste von Genua im Sommer 2001 zu größerer Bekanntheit. In ihren Aktionen sieht Raunig ein Zusammengehen von Gesellschafts-, Institutionen- und Selbstkritik, das ihm als künstlerisch-politische Praxis par excellence erscheint. Die Grenze zwischen ästhetischen und politischen Praktiken verschwimme hier, ohne dass sie in einem großen Akt der proklamierten Auflösung zertrümmert würde. So hatten es immerhin die meisten AvantgardistInnen des 20. Jahrhunderts vor und landeten schließlich doch wieder beim Nach- und Nebeneinander.

Raunig zieht mit seiner Schwerpunktsetzung die Konsequenzen aus dem Scheitern der kulturellen Avantgarden. Indem er das künstlerische Feld verlässt und sich den AkteurInnen sozialer Bewegungen widmet, richtet er den Blick auf »transversale Mikropraktiken«. Das sind solche, die sich hierarchischen Handlungs- und Organisationsformen entgegenstellen. Allerdings spricht er sich somit gegen die Möglichkeit aus, vom kulturellen Feld her spezifische Effekte auf dem Gebiet der Macht zu erzielen. Ästhetischen Ausdrucksformen wird keine eigene Wertigkeit zugesprochen. Aber nicht nur künstlerische Arbeiten, sondern auch Diskurse oder Ideologien werden im kulturellen Feld produziert. Sie sind letztlich auch entscheidend dafür, ob sich jemand für eine Revolution begeistern kann oder nicht.

Raunig spricht sich gemäß seiner theoretischen Vorgabe aber ausdrücklich gegen einen »Kampf der Intellektuellen um Hegemonie« aus und plädiert stattdessen für eine Abkehr von den medialen Schaukämpfen. In dieser Verweigerungshaltung gegenüber der Kommentatorenrolle im Spektakel liege der »Schlüssel zur Veränderung«. Abgesehen davon, dass auch jene Strategien, die sich im Anschluss an Herbert Marcuses Vorschlag der »großen Weigerung« emanzipatorischer Politik widmeten, nicht die erfolgreichsten waren: Wirksam verweigern kann sich eben nur, wer bereits über ein gewisses Maß an Anerkennung verfügt. Nur Prominente können sich, wie seinerzeit Wolfgang Neuss, fragen: »Wie werde ich unbekannt?«

Raunig verzichtet nicht darauf, die geschilderten künstlerischen Bewegungen jeweils in ihren sozialen Zusammenhang einzubetten und ruft damit nicht zuletzt auch heute längst vergessenes Engagement aus vergangenen Tagen wieder in Erinnerung. Um künstlerische Praxis aber ganz prinzipiell als Teil der Auseinandersetzung innerhalb gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse zu werten, hätte es vielleicht etwas mehr des Rückgriffes auf Louis Althusser und etwas weniger jenes auf Deleuze bedurft. Ein anschlussfähiger poststrukturalistischer Vorschlag jedenfalls ist gemacht. Nötig war er, denn die Vendôme-Säule steht schließlich längst wieder.

Gerald Raunig: Kunst und Revolution. Künstlerischer Aktivismus im langen 20. Jahrhundert, Wien 2005, Turia + Kant, 260 S., 22 Euro