Zufällige Explosion einer Bombe

Der oberste Gerichtshof Italiens hat den Freispruch für drei Rechtsextremisten bestätigt, die 1969 am Anschlag auf der Piazza Fontana beteiligt gewesen sein sollen. von egon günther

Vor 36 Jahren, am 12. Dezember 1969, explodierte eine Bombe in der überfüllten Schalterhalle der Mailänder Landwirtschaftsbank an der Piazza Fontana. 17 Menschen starben, 85 wurden verletzt. Am 3. Mai bestätigte nunmehr der oberste Gerichtshof Italiens das Urteil eines Mailänder Berufungsgerichts vom März 2004. Damit sind zwei venezianische Mitglieder der faschistischen Terrorgruppe Ordine Nuovo (Neue Ordnung), Delfo Zorzi und Carlo Maria Maggi, sowie der damalige Anführer von La Fenice, der Mailänder Zelle von Ordine Nuovo, Carlo Rognoni, endgültig von dem Vorwurf freigesprochen, an diesem Massaker beteiligt gewesen zu sein.

Die Faschisten wurden »de jure« freigesprochen, was nicht »de facto« bedeutet, denn in den zahlreichen Prozessen, die dem letzten Urteil in verschiedenen Städten und an unterschiedlichen Instanzen vorausgingen, ist die Urheberschaft einzelner Ordinovisten bestätigt worden. Die jetzt von den beiden letzten Instanzen als Grund für die Freisprüche konstatierten »unzureichenden Beweise« waren in der ersten Instanz immerhin für das Urteil »lebenslänglich« gut.

Bereits am 23. Februar 1979 wurden Franco Freda und Giovanni Ventura, zwei Mitglieder der Neuen Ordnung, die im Prinzip die alte Ordnung der Faschistenrepublik von Hitlers Gnaden, das Regime von Saló, wieder herstellen wollten, als Täter verurteilt. Die Italienische Sozialrepublik war ein faschistischer Staat in Norditalien, der von 1943 bis 1945 unter dem militärischen Schutz Deutschlands stand. Gegen Freda und Ventura sprachen viele Indizien wie Funde in Waffenlagern, die der Gruppe zugerechnet wurden, Zeitschalter, die sie besorgt hatten, aber auch Zeugenaussagen.

Dennoch wurde ihre Verurteilung wegen der Beteiligung an dem Massaker nach einigen Jahren von einem höheren Gericht kassiert. Das Gericht sah es aber weiterhin als erwiesen an, dass sie an einer Reihe anderer Bombenattentate beteiligt waren, die bereits vor dem 12. Dezember 1969 auf zehn Züge, die Mailänder Messe und die Wechselstube im Mailänder Hauptbahnhof verübt wurden. Da beide bereits definitiv verurteilt worden waren, konnten sie nicht mehr mit Zorzi und seinen Kumpanen zusammen angeklagt werden.

Der bekennende Nazi Delfo Zorzi, der schon längst, mit vielen Protektionen und auch einem japanischen Paß versehen, als reicher Geschäftsmann in Tokio lebt, saß auch jetzt nicht auf der Anklagebank. Um die vielen Hintermänner des Anschlags zu entlasten und dem weiteren Zugriff zu entziehen, hatten sich die italienischen Gerichte und die ihnen zuarbeitenden Polizeibehörden über Jahre hinweg jede erdenkliche Mühe gegeben. Die Geheimdienstagenten sowie ihre Vorgesetzten und hohe Beamte des Innenministeriums, die etwa im »Büro für vertrauliche Angelegenheiten« Akten manipuliert, falsche Spuren gelegt und Zeugen wie Täter ins Ausland geschafft hatten, waren daher schon lange nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.

Anarchisten wie den inzwischen verstorbenen Revuetänzer Pietro Valpreda, denen man die Rolle der Sündenböcke zugedacht hatte und denen der italienische Staat anfangs mit eigens präparierten Spuren, die auf ihre Täterschaft hinwiesen, das Massaker in die Schuhe schieben wollte, hatte man schließlich wohl oder übel freisprechen müssen. Mit mehreren Gegeninformationskampagnen war die Öffentlichkeit erfolgreich über die wahren Urheber in Kenntnis gesetzt worden.

Die Anarchisten wurden aber nicht bloß mit falschen Verdächtigungen und jahrelanger Haft verfolgt. Drei Tage nach dem Attentat wurde z.B. der widerrechtlich festgehaltene Anarchist Pino Pinelli bei einem Polizeiverhör aus einem Fenster des Polizeipräsidiums zu Tode gestürzt.

Doch wer war neben den ausführenden Faschisten von Ordine Nuovo als Drahtzieher an blutigen Anschlägen wie an der Piazza Fontana oder auf der Piazza della Loggia in Brescia beteiligt? Dort explodierte am 28. Mai 1974 eine Bombe während einer Kundgebung, zu der das antifaschistische Einheitskomitee und die Gewerkschaften aufgerufen hatten. Acht Menschen starben, Hunderte wurden verletzt. Oder an dem anscheinend wahllosen Anschlag im Italicus-Zug, wo eine Bombe im Tunnel von San Benedetto Val di Sombra im selben Jahr zwölf Menschen tötete?

Im April 1965 fand im römischen Hotel Parco dei Principi eine von einem halb offiziellen militärgeschichtlichen Institut veranstaltete Tagung statt. Dort debattierten bekannte Faschisten, darunter Pino Rauti, der Gründer von Ordine Nuovo, Angehörige des Verteidigungsministeriums, Geheimdienstler und rechte Publizisten über einen »gegenrevolutionären Krieg« und eine Strategie, die für den Verbleib Italiens im westlichen Lager und gegen den befürchteten Vormarsch des Kommunismus hilfreich sein sollte. Unter Kommunismus verstanden diese Herren natürlich alles, was nicht mit ihrem hierarchischen Weltbild vereinbar war.

Die Tagung gilt als die Geburtsstunde der so genannten Strategie der Spannung. Im Krieg gegen die vermeintliche kommunistische Subversion, in dem sich die autoritären Verschwörer wähnten, sollte von Anfang an mit harten Bandagen gekämpft werden. Tote wurden bewusst in Kauf genommen, um jeden unerwünschten Wandel der italienischen Gesellschaft zu blockieren. Es sollte ein Klima der Angst geschaffen werden, um ein autoritäres Regime, notfalls mit einem von den Staatsorganen geförderten Staatsstreich, herbeizuführen. Dieser Hintergrund stand aber zuletzt vor Gericht nicht mehr zur Debatte.

Die eigentliche Schmach dieses von vielen Beobachtern erwarteten Freispruchs ist es nicht unbedingt, dass die unmittelbar Verantwortlichen für das blutige Attentat nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden können. Besonders fatal ist es, dass das Gericht den Angehörigen der Opfer, die in den verschiedenen Verfahren stets als Kläger auftraten, einen Teil der Prozesskosten aufbürdete.

»Die Henker bleiben unbescholten, und die Opfer bleiben die Opfer, ohne dass das ihnen zugefügte Unrecht anerkannt wird«, erklärte der Mailänder Anarchist Mauro Decortes nach dem Urteil. Erst kürzlich hatte Giulio Andreotti, der in den siebziger Jahren Ministerpräsident war, erneut betont, dass es auf der Piazza Fontana kein Staatsmassaker gegeben habe und die Rolle Valpredas unklar bleibe. Decortes sagte dazu: »Wir können nur bekräftigen, dass der Staat am Massaker an der Piazza Fontana schuld gewesen ist, Valpredas Unschuld erwiesen ist und Pinelli umgebracht wurde.«