Ein General gegen die Familien

Von der libanesischen Massenbewegung ist nur noch die christliche Rechte übrig geblieben. Führende Politiker treffen bereits Absprachen über die Aufteilung der Macht. von hannah wettig, beirut

Nur sieben Zelte stehen noch am Märtyrerplatz im Zentrum von Beirut. Hier warten die Anhänger des früheren Milizenchefs Samir Geagea auf eine Entscheidung des Parlaments, ob der Führer der Forces Libanaises nach 15 Jahren im Gefängnis frei kommt.

Sie sind das Überbleibsel einer Massenbewegung, die nach dem Attentat auf den ehemaligen Premierminister Rafik Hariri am 14. Februar den Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon forderte, die Absetzung der prosyrischen Regierung und der höchsten Entscheidungsträger in Polizei und Geheimdienst und eine internationale Untersuchung des Attentats. Die Opposition, die erstmals in der Geschichte des Libanon große Teile der christlichen und muslimischen Bevölkerung hinter gemeinsamen Forderungen vereinen konnte, hat all dies erreicht. Eine Übergangsregierung organisiert nun Parlamentswahlen, die am 29. Mai stattfinden sollen.

Die Muslime und Drusen unter den Protestcampern am Märtyrerplatz haben ihre Zelte mit dem Abzug der Syrer Ende April abgebaut. Übrig blieben die Christen, neben den Anhängern der Forces Libanaises bis vor kurzem einige Aounisten, die auf die Heimkehr ihres Führers General Michel Aoun aus dem Exil warteten.

Auch wenn die Zukunftspartei der sunnitischen Hariri-Familie und die Sozialistische Partei des Drusenführers Walid Jumblatt während der wochenlangen Proteste den Ton angaben, war es die christliche Jugend, die am meisten Menschen auf die Straßen brachte. Vor diesen nationalistischen, teilweise faschistischen Gruppen fängt es den anderen, seien sie Linke oder Neoliberale, nun an zu grauen.

Zwischen den »großen Familien« der Oligarchie werden derzeit Absprachen für die Wahlen getroffen, in denen die Parlamentssitze nach einem komplexen konfessionellen Proporzsystem zugeteilt werden. Die Hariris und die Jumblatts wollen in bestimmten Bezirken niemanden aufstellen und Sitze, die ihnen sicher sind, an die schiitischen Parteien Hizbollah und Amal gehen lassen. Sie geben an, damit weitere Konflikte zwischen der Opposition und den so genannten Loyalisten, den prosyrischen schiitischen Parteien, vermeiden zu wollen.

Doch Dima Younnes von der Demokratischen Linken glaubt nicht, dass es nur um eine freundliche Geste gegenüber den Schiiten geht. »Sie haben Angst, zu viele Sitze den Forces Libanaises zu überlassen«, sagt die 23jährige Jugendsprecherin der vor gut einem Jahr gegründeten Gruppierung. Die Demokratische Linke will den Rückzug der Hariris und der Jumblatts nutzen, um in diesen Bezirken selbst Kandidaten aufzustellen.

Die Forces Libanaises waren im Bürgerkrieg eine Allianz rechter christlicher Milizen, die relativ gemäßigte Kräfte wie die wirtschaftsliberal-konservative Tiger-Miliz des früheren Präsidenten Kamil Chamoun und offen faschistische wie die Wächter der Zedern vereinte, deren Slogan hieß: »Jeder Libanese hat die Pflicht, einen Palästinenser zu töten.« In der Endphase des Bürgerkriegs eliminierten die Truppen der nationalistischen Phalange unter Samir Geagea die konkurrierenden Milizen. Unter anderem für den Mord an Dani Chamoun, dem Führer der Tiger-Miliz, sitzt Geagea im Gefängnis.

Dass allein er für Kriegsverbrechen bestraft wurde, halten nicht nur seine Anhänger für ungerecht. Denn er hat alle Morde vor 1990 begangen, als eine allgemeine Amnestie für alle Verbrechen des Bürgerkriegs erlassen wurde. »Entweder bestraft man alle oder man lässt alle frei«, sagt Younnes. Doch alle bestrafen könne man nicht, denn dann »müssten auch Jumblatt, Nabih Berri (Parlamentssprecher und Vertreter der schiitischen Amal) und Rafik Hariri, wenn er noch lebte, vor Gericht. Wer das fordert, begeht Selbstmord.«

Die Demokratische Linke nimmt wie alle Oppositionsparteien an Demonstrationen für die Freilassung von Geagea teil. Eine Koalition für die Wahlen würde sie jedoch nicht mit den Forces Libanaises eingehen. Younnes betont, dass die Linke in der Oppositionsbewegung nicht alles hingenommen hat. »Wir haben mit den Forces Libanaises darüber diskutiert, dass sie auf Demonstrationen keinen Nazigruß zeigen sollen.« Auch die Hetze gegen syrische Arbeiter hätten sie angeprangert. »Wir haben von Anfang an auf den Kundgebungen gesagt: Wir sind nicht gegen das syrische Volk, sondern sympathisieren mit den Menschen, die unter diesem Regime leben müssen.«

Geändert hat das wenig. Überall im Libanon wurden in den ersten Wochen nach Hariris Tod Unterkünfte von syrischen Arbeitern niedergebrannt, aufgebrachte Mobs prügelten Syrer krankenhausreif. Zwischen 20 und 30 Syrer sind dabei nach Angaben der Hizbollah umgekommen. Viele der über eine halbe Million syrischen Gastarbeiter haben nun das Land verlassen. Auf den Baustellen, wo 80 Prozent der Angestellten Syrer waren, ruhte im Februar und März die Arbeit völlig.

Besonders die christlichen Aounisten behaupten, dass die Syrer den Libanesen die Arbeit wegnähmen. Aus Protest arbeiteten sie an Aktionstagen in den vergangenen Jahren selbst an Tankstellen und als fahrende Gemüseverkäufer, um zu zeigen, dass auch Libanesen diese Arbeiten verrichten können.

Die Aounisten, deren Führer Michel Aoun in der vergangenen Woche aus dem Exil in Paris zurückgekehrt ist, sind für Younnes trotz ihrer rassistischen Parolen ein vorstellbarer Koalitionspartner. Schließlich sei General Aoun gegen Vetternwirtschaft und Klientelismus. Er kommt aus keiner der »großen Familien«, seine Anhänger wählen ihn, obwohl er ihnen keine Jobs verschaffen kann und keinen eigenen Wohlfahrtsverein mit Krankenhäusern und Armenpflege betreibt.

Im Kampf gegen den Klientelismus müsste erst einmal das Wahlsystem geändert werden, meint Younnes. »Wir wollen ein proportionales Wahlsystem ohne eine konfessionelle Aufteilung der Sitze. Dann wären die Kandidaten gezwungen, ein politisches Programm aufzustellen, statt Wählerstimmen mit Vorzügen für ihre Klientel zu kaufen.«

Für die kommenden Wahlen ist die Chance vertan. Das Wahlsystem bleibt vorerst, wie es ist. Aber auch für die Zukunft ist es mehr als fraglich, ob sich ein proportionales Wahlsystem durchsetzen lässt. Denn die meisten Abgeordneten profitieren davon. Die USA, Frankreich und andere westliche Berater empfehlen nur, die Wahlbezirke fairer aufzuteilen, das konfessionelle Wahlrecht nennt kaum jemand als Hindernis für die Demokratisierung. Wie im Irak, wo sich die USA für die stärkere Einbindung sunnitischer Politiker in die Regierung einsetzen, wird offenbar auch im Libanon ein »gerechter« konfessioneller Proporz angestrebt.