Tick oder Tack

Die »elektronische Fußfessel« etabliert sich im Strafvollzug. Deutsche Politiker wollen sie auch gegen Islamisten und Langzeitarbeitslose anwenden. von sven bergmann

Inspiriert von einem Spiderman-Comic und der Situation in den drastisch überfüllten Gefängnissen, beauftragte der US-amerikanische Bezirksrichter Jack Love aus Albuquerque 1983 einen befreundeten Techniker mit der Entwicklung eines Sender-Empfänger-Systems: Wegen kleinerer Delikte verurteilte Bürger konnten fortan auch zuhause überwacht werden. Seitdem wird das Produkt mit dem Namen »Electronic Monitoring« von der Sicherheitsindustrie erfolgreich verkauft. Auf dem deutschen Markt brauchte die Justiz aber noch einen deutschen Namen dafür. So kam es zur Wortschöpfung »elektronische Fußfessel«.

Bevor der hessische Justizminister Christean Wagner (CDU) sie im März als probates Mittel zur Disziplinierung von Langzeitarbeitslosen empfahl, wurde sie schon vom brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) für Schulschwänzer oder vom bayrischen Innenminister Günther Beckstein (CSU) als Waffe gegen »Hassprediger« gefordert, nachdem es zu erheblichen Mängeln bei der Observation des Islamisten Metin Kaplan gekommen war.

Meist wird vorausgesetzt, das Überwachungssystem operiere mit einer Tracking-Technologie à la GPS (Global Positioning System). Von Geräten mit dieser Funktionsweise sind allerdings auf der Welt nur sehr wenige in Gebrauch, in Deutschland kein einziges. In Hessen, wo die so genannte Fußfessel bereits verwendet wird, werden ausschließlich Geräte benutzt, die Signale an einen in der Wohnung des Verurteilten installierten Empfänger abgeben.

Über den Modellversuch, der im Mai 2000 im Landgerichtsbezirk Frankfurt am Main begann und dort von einer Projektstelle der Bewährungshilfe unternommen wird, wurde kaum berichtet. Entwickelt wurde die neue Überwachungsmaßnahme, beeinflusst durch die internationalen Erfahrungen, die man mit dem Produkt gemacht hatte, jedoch schon Mitte der neunziger Jahre unter der Justizministerin Christine Hohmann-Dennhardt (SPD) und ihrem Amtsnachfolger Rupert von Plottnitz (Grüne). Für Christean Wagner war es daher anfangs sogar problematisch, die Maßnahme in den »härtesten und konsequentesten Strafvollzug in Deutschland« zu integrieren, denn konservativen Hardlinern galt die neue Sanktionsform bis dahin als zu lasch. Sie fürchteten, dass Verurteilte künftig ihre Strafe beim Bier vor dem Fernseher absäßen. Doch Technokraten im Sicherheitsgeschäft lassen sich immer mit den Zauberwörtern »Effektivität« und »Effizienz« beruhigen.

In der Darstellung des Projekts wird die elektronische Fußfessel in Konkurrenz zur regulären Bewährungshilfe als »zeitnahe Konsequenz« verhandelt, denn sie wird sofort nach der Urteilsverkündung angelegt. So folgt die Strafe wirklich »auf dem Fuße«.

Wird beim Begriff »elektronische Fußfessel« der Blick sofort auf den am Unterschenkel des Überwachten befestigten Sender gerichtet, so verweist der englische Begriff »Electronic Monitoring« vielmehr auf die Tätigkeit der Überwachenden. Das Herzstück der Maßnahme ist jedoch nicht die relativ simple Sender-Empfänger-Technik, sondern die von den Firmen entwickelte Software zur Verwaltung der für die Überwachten erstellten Wochenpläne. »Die Fußfessel macht im Prinzip nichts weiter, außer zu sagen: Tick oder Tack. Tick sagt, ich bin drin im Haus, und Tack sagt, ich bin draußen aus dem Haus. Der Computer dazu sagt: Stimmt das überein mit dem Plan, den die Menschen miteinander ausgemacht haben? Und wenn es nicht übereinstimmt, dann gibt es eine Meldung, und dann muss man reagieren«, erklärt ein Mitarbeiter der Projektgruppe.

Die Institution kontrolliert und steuert die Überwachten auf diese Weise aus der Distanz. Solange vom Verurteilten die Selbstdisziplin eingehalten wird, tritt der zuständige Bewährungshelfer nur einmal pro Woche auf. Wird die Disziplin nicht eingehalten oder verweigert, wird der Fehler im System sofort registriert. Das Ergebnis des Programms, also entweder das erfolgreiche Absolvieren der Zeit, die er mit der Fußfessel verbringen muss, oder ein Misserfolg, der den Widerruf der Bewährung und die Inhaftierung nach sich zieht, liegt insofern allein am Verhalten des Verurteilten, der »Unternehmer« seiner eigenen Bestrafung ist. Ein ehemaliger Überwachter schildert, wie sich die Kontrolle anfühlt: »Du hast zwar keine Mauern um dich, aber irgendwie bist du doch eingesperrt.«

Das Ziel dieses »Trainings« ist die Erzeugung einer angepassten Lebensführung, wie sie ein Projektmitarbeiter skizziert: »Morgens aufstehen, arbeiten gehen, abends zu einer bestimmten Zeit ins Bett gehen, damit sie morgens wieder arbeiten gehen können. Das sollen sie einfach mal erfahren, dass sie in der Lage sind, etwas durchzuhalten. Und unsere Hoffnung ist, dass sie das irgendwie auch internalisieren.«

Jedoch scheint diese »Internalisierung« eher die Inszenierung eines bürgerlichen Normalzustandes auf Zeit zu sein, eine mögliche gelebte Welt. Überwachte, die keinen festen Job haben, und das sind die meisten, sollen so genannte gemeinnützige Arbeit leisten.

Das Ziel der Fußfessel ist die Produktion von Gewohnheiten und einer Arbeitsmoral sowie die Änderung einer als fehlerhaft erachteten Lebensweise, also das, was Michel Foucault als Etablierung einer Mikrojustiz bezeichnet, die das bestraft, was den großen Strafapparaten entgangen ist. Doch nicht alle ehemaligen Überwachten erliegen dem Reiz einer derartigen Lebensführung. Eine Überwachte antwortet auf Nachfrage, ob sie danach so weiterleben will: »Wie jetzt? Morgens aufstehen, arbeiten gehen, wieder nach Hause kommen, essen, schlafen, fernsehen? Nein, ich mag kein geregeltes Leben. Das muss nicht sein. Wenn das hier vorbei ist, dann lebe ich wieder so, wie ich das will.«

Das »Electronic Monitoring« hat in keinem der Länder, in denen es angewendet wird, die zahl der Haftplätze reduziert – was seine liberalen Befürworter einst versprachen. Ein weiteres Beispiel aus der Produktpalette sind »Boot Camps«, eine Art paramilitärischer Umerziehungslager für straffällig gewordene Jugendliche. Der ehemalige Boxprofi Lothar Kannenberg leitet das erste deutsche Experiment dieser Art unter dem Namen »Boxcamp« in der Nähe von Kassel. Kassel? Das liegt doch auch in Hessen.

Noch ist dieses Angebot von extremer Disziplinierung und Gehirnwäsche allerdings als freiwillige Alternative zum Knast zu haben.

Die neuen Sanktionsformen operieren mit einer Mischung aus herkömmlicher Disziplinierung und neuen Technologien. Das Electronic Monitoring gibt vor, sowohl für Effizienz im Bestrafungsbusiness zu sorgen als auch dem Ideal der Resozialisierung zu dienen. Beides wird von den Produktionsfirmen bedacht, mit dem Ziel, auch außerhalb der Institutionen der Justiz Märkte zu erschließen. Die britische Firma Securicor bezeichnet den Vertrieb ihrer Produkte auf ihrer Homepage als »Community Involvement«. Sie wandte sich bereits an die britische Regierung, um das Electronic Monitoring für die Kontrolle der Residenzpflicht von Asylbewerbern zu empfehlen.