Das Nein gehört allen

Ablehnung der EU-Verfassung von bernhard schmid

Die Botschaft ist deutlich. Mit 55 Prozent der abgegebenen Stimmen wurde das EU-Vertragswerk bei dem Referendum in Frankreich abgelehnt. Sicherlich gab es unterschiedliche Gründe, sich gegen das Vertragswerk auszusprechen. Auch die rechtsextreme Opposition plädierte aus Sorge um die »nationale Souveränität« dafür, es abzulehnen. Aber für die Abstimmung waren ihre Argumente nicht ausschlaggebend.

In den öffentlichen Debatten der vergangenen Wochen ging es nur selten darum, ob die Entwicklungen der vergangenen Jahre, die Einführung des Euro oder die Ost-Erweiterung, rückgängig gemacht werden sollten. Die Frage, was man mit dem in den vergangenen Jahren entstandenen politischen Raum nunmehr anfangen wolle, wurde dagegen sehr häufig diskutiert. Was in dem Verfassungswerk zu dieser Frage präsentiert wird, konnte die meisten Franzosen nicht überzeugen. Eine Union, in der die Gesellschafts- und Sozialpolitik weiterhin von den einzelnen Nationalstaaten bestimmt wird, während allein die Wirtschaftspolitik als Bindeglied vorgesehen ist, ist für viele nicht akzeptabel.

Auch wenn sich die politische Führung der Union standhaft gibt und für eine Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses eintritt, wurde das Signal aus Frankreich in Europa verstanden. Bei der niederländischen Abstimmung am Mittwoch ist eine Ablehnung ebenfalls wahrscheinlich. »Wir sind uns der Schwierigkeiten bewusst, aber wir sind zuversichtlich, dass wir wieder einmal eine Möglichkeit finden, Europa voranzubringen«, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und EU-Parlamentspräsident Josep Borrell. Der britische Premierminister Tony Blair stellte am Montag bereits das geplante Verfassungsreferendum in seinem Land in Frage.

Die Ausgangsbedingungen für sozialen Widerstand in Europa haben sich verbessert, aber sie müssen jetzt genutzt werden, und zwar über die nationalen Grenzen hinweg. So wird die britische Regierung, die im Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, versuchen, ihre eigenen Schlüsse aus der Zurückweisung des EU-Vertragswerks zu ziehen und den Ausbau des gemeinsamen Marktes voranzutreiben. Wenn es sein muss, dann eben auch ohne eine EU-Verfassung.

Das Ergebnis in Frankreich ist auch das Resultat einer unerwünschten Einmischung. Die Beteiligung an dem Referendum lag bei etwa 70 Prozent. Vor allem in Bezirken, in denen Arbeiter und Angehörige der so genannten Unterschicht leben, gingen mehr Menschen zur Abstimmung als bei vielen Wahlen der vergangenen Jahre. Das Kalkül der Regierung, das Interesse der Menschen am Referendum klein zu halten und einen für Nichtjuristen schwer verständlichen Verfassungstext zu präsentieren, um dann mit so genannten Experten die Diskussion zu bestimmen, ging nicht auf.

»Merci, la France!« rief der Österreicher Leo Grabriel, der dem Austrian Social Forum angehört, in der Wahlnacht den versammelten radikalen Linken auf der Place de la Bastille zu. Er berichtete davon, dass am Sonntag Menschen in Wien, Berlin und in belgischen Städten auf die Straßen gegangen seien, um die Ablehnung des Vertragswerks zu feiern. Linke, Gewerkschafter und Attac-Mitglieder aus vielen EU-Staaten waren in den vergangenen Wochen nach Frankreich gekommen, um deutlich zu machen: »Euer Nein ist auch unser Nein.«