Public Enemy No. 1

Großbritannien hat einen neuen Feind: Die »Yobs«, herumhängende, unangepasste und mitunter gewalttätige junge Männer aus der Unterschicht. von alex veit
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Für Punks gibt es wohl kaum eine größere Ehre, als von der Regierung zu Feind Nummer eins erklärt zu werden. Für die britische Punkband The Yobs kommt diese Ehre allerdings reichlich spät. Bereits Ende der siebziger Jahre hatte die Gruppe The Boys die mehr oder weniger originelle Idee, traditionelle Weihnachtslieder wie »Stille Nacht« und »White Christmas« zu covern, einige Hitler-Samples einzustreuen und unter der umgekehrten Schreibweise ihres Bandnamens zu veröffentlichen.

Danach passierte lange nichts. Bis vor einigen Wochen Premierminister Tony Blair im britischen Parlament versprach, dass der Kampf gegen die »Yob-Gangs« ein zentrales Anliegen seiner dritten Amtszeit sein werde. Der konservative Oppositionsführer, Michael Howard, forderte an gleicher Stelle dazu auf, die »Yob-Kultur« zu bekämpfen. »Scharfes Vorgehen gegen Yobs« titelten daraufhin große Zeitungen, und das sozialdemokratische Boulevardblatt Sunday Mirror kommentierte: »Jeder Politiker, der dazu bereit ist, sich mit Yobs auseinanderzusetzen, wird seine Popularität in neue Höhen steigen sehen. Denn diese Menschen beeinträchtigen unser Leben in allen Bereichen. Sie sind eine versteckte, grollende Allgegenwärtigkeit, die Hass, Ignoranz und siedende Gewalt ausspuckt, von der wir so tun, als ob sie nicht da wäre.«

Natürlich sind auch in Großbritannien Punks zu einer Randerscheinung des öffentlichen Lebens geworden, die nichts mit dieser offenbar überwältigenden Gefahr zu tun haben. Als »Yobs« werden inzwischen alle Jugendlichen bezeichnet, die sich nicht in die Konsensgesellschaft einreihen, wie sie von Politiker und Medien des Landes entworfen worden ist. Dazu gehören undisziplinierte Schüler ebenso wie Drogenabhängige, die ihren Stoff in öffentlichen Transportmitteln konsumieren. Oder Teenager, die an Bushaltestellen herumhängen, ohne je einen Bus zu benutzen. Schließlich die so genannten Happy Slapper, die beliebig ausgesuchte Menschen gewalttätig attackieren, ihre Angriffe mit Mobiltelefonkameras aufzeichnen und die Aufnahmen im Internet veröffentlichen.

Das bislang prominenteste Beinahe-Opfer der »Happy Slapper« ist der stellvertretende Premierminister John Prescott, der selbst dafür bekannt ist, gelegentlich die Fäuste fliegen zu lassen. Er berichtete von zehn »Typen mit Kapuzen«, die versucht hätten, ihn an einer Autobahnraststätte zu verprügeln und die Szene zu filmen. Seit Wochen präsentiert die Boulevardpresse auf den Titelseiten Geschichten von »Yob«-Opfern, denen Ähnliches wiederfahren ist.

Eine Initiative des riesigen Einkaufszentrums »Bluewater« in der Grafschaft Kent, das Tragen von Kapuzenpullovern zu verbieten, erregte deshalb große Aufmerksamkeit. Allerdings werden genau solche Pullover dort weiterhin verkauft, schließlich sind sie seit langem zu einem universellen Kleidungsstück aller Altersklassen geworden. Inzwischen sorgt der Wachschutz von »Bluewater« nur noch dafür, dass die Kapuzen nicht über den Kopf gezogen werden und so die Überwachungskameras uneingeschränkt die jugendliche Kundschaft filmen können. Kapuzen zu tragen ist auch in vielen Schulen und kleineren Geschäften verboten, während die Computerspiel-Kette »Gamestation« damit wirbt, Kapuzenträger weiterhin willkommen zu heißen.

Die gerade aus dem Wahlkampf zurückgekehrten Abgeordneten des Unterhauses berichten, dass sie regelmäßig auf die Gefahren angesprochen worden seien, die von »Yobs« ausgingen. Die Regierung hat bereits eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen eingeleitet. Schon zwölf bis 16 Jahre alte Straftäter mit Bewährungsstrafen sollen künftig elektronische Fußfesseln tragen müssen; in Schulen wird die Einrichtung von »Abkühlräumen« erwogen, in denen undisziplinierte Schüler weggesperrt werden können; und die Polizei erhält neue Vollmachten etwa für das Vorgehen gegen »durch Alkohol bedingte Gewalt«.

Diese neuen Bestimmungen ergänzen ältere Programme der Labour-Regierung, allen voran die »Erlasse gegen antisoziales Verhalten« (»Asbo«). Dieses wird vage als Verhalten definiert, »das Bedrohung, Angst oder Verzweiflung bei mindestens einer Person auslöst oder geeignet ist, diese zu verursachen«. In der Vergangenheit wurden bereits Bettler und Fußball spielende Kinder mit »Asbo«-Verboten belegt. Die Strafe für »anti-soziales Verhalten« ist normalerweise ein Arbeitsdienst in der »Community«, kann aber auch bis zu fünf Jahren Gefängnis betragen. Während nach Einführung des Erlasses vor fünf Jahren nur 200 Strafen wegen »antisozialem Verhalten« ausgesprochen wurden, waren es im vergangenen Jahr bereits mehr als 2 600.

Jüngst kam die zuständige Staatsministerin im Innenministerium, Hazel Blears, auf die Idee, jugendliche Straftäter bei ihren sozialen Diensten in der Öffentlichkeit eine spezielle Kleidung überzustreifen: »Ich möchte, dass sie identifiziert werden können.« In der »Schlacht gegen Respektlosigkeit« würden Straftäter zwar nicht in Ketten Steine klopfen müssen. Aber sie sollten doch gesehen werden können, während sie etwas »Sinnvolles« tun. Nach einem Aufschrei in den Medien verwarf die Regierung den Vorschlag mit der Sträflingskleidung allerdings wieder.

Das Absurdeste an der ohnehin sonderbaren Debatte ist, dass die Kriminalitätsraten in den vergangenen Jahren enorm gesunken sind, nicht nur unter Jugendlichen, sondern auch insgesamt. »Da Einbrüche und Autodiebstähle stark zurückgehen, wenden sich die Menschen einfach kleineren Delikten zu – Kapuzen, Graffiti, Fluchen und Trinken«, kommentiert der linksliberale Guardian das Phänomen.

Dabei ist allen Sozialhistorikern klar, dass in jeder Ära über die Verkommenheit der jeweiligen Jugend geklagt wurde. Allein die britische Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg ist reich an zum Mythos gewordenen, vermeintlich bedrohlichen Jugendkulturen: Angefangen in den fünfziger Jahren mit den »Teddy Boys«‹, die die Arbeiterviertel im Osten Londons unsicher machten, über die Mods, Rocker, Punks und Skinheads in den sechziger und siebziger Jahren bis hin zu Hooligans und den drogenkonsumierenden Anhängern des Acid House in den Achtzigern. Dass für die gegenwärtige neurotische Debatte nun der übergreifende Sammelbegriff »Yobs« gewählt wurde, zeigt nicht nur, dass die Szenen sich atomisiert haben, sondern auch, dass der kleinste gemeinsame Nenner der verschiedenen Phänomene die überproportionale Auffälligkeit von jugendlichen Männern ist. »Yobs« sind »Boys«, deren Entwicklung in die falsche Richtung läuft.

Ethnologisch betrachtet fehlt es der britischen Gesellschaft an einem Initiationsritual, durch das die Aufnahme von männlichen Jugendlichen in die erwachsene Gesellschaft symbolisch ausgedrückt wird. Seit die Wehrpflicht Ende der fünfziger Jahre abgeschafft wurde, verläuft dieser Übergang strukturlos. Nicht so sehr in den Mittel- und Oberklassen, gegen die sich die »Yobs«-Debatte auch nicht richtet. Für diese wurde das »Gap-Year« geschaffen, bei dem sich die jungen Herren auf Kosten ihrer Eltern an exotischen Orten in aller Welt sozial betätigen. Nur für die unteren Schichten gibt es keinen gesellschaftlichen Platz mehr jenseits der Arbeit und des Konsums. Wie es scheint, werden nun die »Asbo«-Strafprogramme zu einem solchen, allerdings stigmatisierenden Ritual ausgebaut.