Spielwiese für Experimente

Sicherheit vor! Die deutschen Innenminister arbeiten am Sicherheitskonzept für die Fußballweltmeisterschaft 2006. von carsten schnober

Wenn sich im Sommer nächsten Jahres einer der etwa 3,2 Millionen Fußballfans auf den Weg ins Stadion zu einem Weltmeisterschaftsspiel macht, wird man ihn dort bereits erwarten. Seinen Namen nebst Ausweisnummer hat er dem internationalen Fußballverband Fifa vor langer Zeit mitgeteilt, um überhaupt an der Verlosung der Tickets teilnehmen zu können. Ein ins Ticket eingebauter RFID-Transponder (»Radio Frequency Identification«) mit den entsprechenden Daten ist bereit, die Funksignale entsprechender Lesegeräte zu beantworten. Die stehen beispielsweise an den Eingängen der Fußballstadien, um die Zuschauer zu identifizieren und ihnen das Drehkreuz zu öffnen.

Reicht ein Fan die Karte durch den Zaun an einen mit weniger Losglück gesegneten Fußballanhänger weiter, bleibt diesem der Eingang verwehrt. Stattdessen löst das Überwachungssystem einen Alarm aus, da der rechtmäßige Besitzer das Stadion bereits betreten hat.

Behält der Zuschauer die Eintrittskarte wie vorgesehen bei sich, können im Stadion aufgestellte Empfangsgeräte seinen genauen Aufenthaltsort bestimmen. Ob er sich in der Nähe der Stelle befindet, von der aus ein Feuerwerkskörper aufs Spielfeld fliegt, lässt sich leicht herausfinden. Ist er außerdem nach Spielende ungefähr dort, wo ein Polizist von einer ins Stadion geschmuggelten Glasflasche getroffen wird, kann er damit rechnen, dass sich Ermittlungsbeamte ihn vorknöpfen.

Es entspräche aber kaum der deutschen Gründlichkeit, sich auf die noch nie in einer solchen Dimension getestete RFID-Technik zu verlassen. Denn ob viele unkooperative Kartenbesitzer den Chip gezielt manipulieren oder zerstören könnten, lässt sich vor dem ersten großen Feldversuch kaum abschätzen. Außerdem sind zumindest stichprobenartige Ausweiskontrollen notwendig, um sicherzustellen, dass mit der Karte auch der angemeldete Besitzer ins Stadion eintritt und nicht etwa eine Person mit Stadionverbot.

Nach Informationen der Berliner Zeitung sollen weitere neue Technologien die Sicherheitskräfte unterstützen. Sie beruft sich auf den nicht öffentlichen Teil des vorige Woche von einer Sonderkonferenz der Innenminister von Bund und Ländern beschlossenen Sicherheitskonzepts für die Weltmeisterschaft. Danach sollen Spezialkameras mittels biometrischer Daten Personen automatisch identifizieren. Die Eintrittskarte mitsamt dem Sender nach dem Betreten des Stadions loszuwerden, würde dem Zuschauer dann nichts mehr nützen, solange er in Sichtweite einer Videokamera bliebe. Darüber hinaus wären nicht nur Fans im Stadion, sondern auch Passanten zu orten, denn die »Partymeilen« und öffentlichen Plätze in den Innenstädten der Austragungsorte sollen ebenfalls mit Kameras ausgestattet werden, nicht zuletzt jene, wo die Spiele live auf Videoleinwänden übertragen werden.

Eine offizielle Bestätigung dieser Pläne blieb bislang jedoch aus, der Vorsitzende der Konferenz, Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU), stritt den Einsatz automatischer Identifikationssysteme sogar ab. Undenkbar sind die Pläne aber keineswegs.

Im Fußballstadion von Eindhoven (Niederlande) kommt eine Software zur Gesichtserkennung mit dem Namen »FaceVACS-Alert« der Dresdner Firma Cognitec bereits seit vorigem Jahr in einem Pilotprojekt zum Einsatz. Sie gleicht die Aufnahmen der Überwachungskameras in Echtzeit mit den Fotos aus einer Datenbank ab, in der mit Stadionverbot belegte Personen gespeichert sind. Identifiziert das Gerät einen ungebetenen Gast, alarmiert es sofort die Sicherheitskräfte. Seine »Erfolgsquote« erreicht nach Angaben des Herstellers 90 Prozent.

Spezialgeräte sind für den Gebrauch der Software nicht erforderlich. Sie wertet die Videos gewöhnlicher Aufnahmegeräte aus. Innerhalb des von einer Kamera gefilmten Bereichs könnte die automatische Gesichtserkennung jederzeit den Aufenthaltsort einer Person feststellen, wenn ein Foto von ihr vorliegt.

Allein die Datei »Gewalttäter Sport« der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze enthält derzeit Informationen über etwa 6 200 Personen der Kategorien B und C, also »bei Gelegenheit gewaltgeneigte« beziehungsweise »gewalttätige« so genannte Problemfans. Nach Angaben von Vertretern des Bündnisses aktiver Fußballfans reichen manchmal Lappalien aus, um in die Datenbank aufgenommen zu werden, beispielsweise ein Schneeballwurf, das Mitführen einer Glasflasche auf dem Weg zum Stadion oder öffentliches Urinieren. Die Einstufung liegt zu einem großen Teil im Ermessen einzelner Beamter.

So berichtet das Bündnis von einem Polizeieinsatz gegen Mainzer Fans bei einem Bundesligaspiel in Freiburg im vergangenen Jahr, die wegen Parolen und Gesten aufgefallene Neonazis aus ihrem Block vertrieben hatten. Ordnungsdienst und Polizei hatten sich geweigert, gegen sie vorzugehen. Stadionverbote und Einträge in die Hooligan-Datei bekamen jedoch die Fans, die angeblich am Rauswurf der Nazis beteiligt waren.

Auch Fingerabdrücke könnten die Sicherheitsbehörden bei der Weltmeisterschaft zur schnellen Identifikation von Personen nutzen. Ein tragbares Gerät soll einen direkten Zugriff auf das »Automatisierte Fingerabdruckidentifizierungs-System« des Bundeskriminalamts bieten, das sämtliche Abdrücke erfasster Straftäter enthält. Bei einer Kontrolle müsste eine dort registrierte Person nur ihren Finger auf das Gerät legen und der Beamte wüsste innerhalb weniger Sekunden ihren Namen sowie die registrierten Straftaten.

Die von den Innenministern angekündigte enge Zusammenarbeit mit den Behörden anderer Staaten dürfte einschließen, dass die biometrischen Identifikationssysteme um die umfangreichen Datenbanken aus den Niederlanden, aus England und anderen Ländern erweitert würden.

Neben den neuen Technologien sollen die herkömmlichen polizeilichen Maßnahmen Ausschreitungen verhindern, von Platzverweisen, Meldeauflagen über persönliche Besuche bei potenziellen Störern bis zur präventiven Ingewahrsamnahmen. Um die Anreise ungeliebter Fußballanhänger aus dem europäischen Ausland zu verhindern, behalten sich die Innenminister außerdem vor, das Schengener Abkommen zeitweise außer Kraft zu setzen.

Bis auf wenige Fanvereinigungen, die eine pauschale Verdächtigung der Zuschauer befürchten, kritisiert bislang kaum jemand die bestätigten und vermuteten Pläne zur Überwachung der über drei Millionen erwarteten Zuschauer; denn sie gehen ja schließlich freiwillig ins Stadion. Neben der Gefahr terroristischer Anschläge dienen die Hooligans als Legitimation der Vorbereitung für den Ausnahmezustand und die Einschränkung bürgerlicher Rechte. Heute etwa bei Großdemonstrationen gebräuchliche Mittel wie das Verhängen von Ausreiseverboten und Meldepflicht galten vor einigen Jahren noch als »Anti-Hooligan-Maßnahmen«. Die Fußballweltmeisterschaft 2006 bietet ein ideales Experimentierfeld für die neuen biometrischen Technologien zur unauffälligen und zugleich umfassenden Überwachung. Was sich bewährt, könnte künftig zum Standardwerkzeug für die »sanfte« Überwachung werden. Die beteiligten Unternehmen werden ihr Bestes dafür tun.

Die oberste Devise ist jedoch Diskretion. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) versprach: »Wir werden das so gestalten, dass kein Besucher den Eindruck hat, er lebe in einem Polizeistaat.«