Berühmt sein ist gut

Im April wurde Serdar Sahin Sieger der Fernsehshow »Deutschland sucht den Boxxstar«. Am Sonntag hat er seinen ersten Profikampf gewonnen. von knud kohr
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Während des Kampfes spüre ich keine Schmerzen. Ich weiß nur: Der andere wird auf jeden Fall verlieren!« Serdar Sahin sagt Dinge, die man von einem jungen Profiboxer erwartet.

Im ersten Moment glaubt man ihm. Der 23 Jahre alte Deutsch-Türke ist 188 Zentimeter groß und 93 Kilo schwer, das Haar trägt er kurz rasiert. Doch dann fallen einem seine braunen Augen auf, die den Gesprächspartner freundlich, fast brav betrachten. Vor allem passt die Umgebung nicht zu seinen martialischen Sprüchen. Serdar Sahin sitzt im Pausenraum des väterlichen Lebensmittelgeschäfts in Hakenfelde, einer bürgerlichen Siedlung am nordwestlichen Stadtrand von Berlin. Seine drei Schwestern und die milde lächelnde deutsche Mutter stehen an der Spüle herum. Der Vater ist gerade unterwegs und kommt später dazu. Auf Sahins Platz saß eben noch seine Großmutter. »Ich bin die Oma. Aber wenn man was von mir will, kann man auch Omilein sagen«, hat sie sich vorgestellt. Jetzt bringt sie einen Teller mit paniertem Schnitzel und Nudelsalat. Dass ihr Enkel während des Interviews nicht essen will, ignoriert sie. Schließlich muss der Junge doch bei Kräften bleiben! Immerhin ist er Sieger des Wettbewerbs »Deutschland sucht den Boxxstar«, der im April unter großem Getöse im Deutschen Sportfernsehen ausgetragen wurde.

Am Samstag in Aschersleben hat Serdar Sahin seinen ersten Sieg im Profiring erstritten. DSF übertrug live, als er Andreas Günther aus Halle an der Saale – auch er ein Debütant – in der ersten Runde auf die Bretter schickte. Dann aber versäumte es Sahin, entschlossen nachzusetzen. Nach vier Runden sprachen ihm die Punktrichter einen knappen Sieg zu. Zwei waren für ihn, einer für seinen Gegner. Ein Teil der Zuschauer pfiff Sahin aus. Sie hätten lieber Günther als Sieger gesehen.

Serdar Sahin schiebt den Teller beiseite. »Meine Vorbilder sind Leute wie Mike Tyson und Joe Frazier.« Die großen KO-Könige also? Sahin lacht. »Ja. So einer will ich auch werden. Heute fightet doch keiner mehr richtig.«

Der »Boxxstar« ist in Berlin-Wedding groß geworden, einem so genannten Problembezirk mit hohem Ausländeranteil. Sein Vater Muammer, ein kleiner, wortgewandter Mann, wanderte 1969 aus der Türkei ein. Als Amateurboxer suchte er sich gleich einen Verein. Als Serdar zehn Jahre alt war, meldete Muammer ihn im selben Verein an. »Er war wie ich. Ein impulsiver Junge. Besser, dass er Boxen gelernt hat«, sagt sein Vater später, als sein Sohn gerade nicht zuhört.

Mit 12 Jahren war Serdar Berliner Meister, zwei Jahre später nahm er an der Deutschen Meisterschaft teil. Danach verschoben sich für einige Jahre seine Prioritäten. Er machte eine Ausbildung zum Holz- und Bautenschützer. Als ihm die Arbeit nicht gefiel, besorgte sein Vater ihm eine Lehrstelle als IT-Systemkaufmann. Doch auch im Computerladen blieb ein Traum: »Wir wollten immer Profi werden.«

Serdar Sahin sagt oft »wir«, wenn andere Menschen »ich« sagen würden. Ein anderes Stück dieses »wir« ist sein Vater. Seit wenigen Monaten ist noch ein dritter Teil dazu gekommen: der Berliner Boxtrainer Werner Papke.

Er betreibt ein Profi-Gym in Moabit, dem Stadtteil südlich vom Wedding. Seine Erfolge als Trainer sind unbestritten. Schon 1977 brachte er mit Jörg Eipel einen Europameister hervor. Zwanzig Jahre später entdeckte er die Berliner Brüder Trabant. Der ältere der beiden, Michel, erkämpfte ebenfalls den Gürtel des Europameisters. Andererseits wurden die Methoden des mittlerweile 73jährigen Papke immer wieder angezweifelt. Eipel lag nach seiner ersten Titelverteidigung, vom Gegner schwerstens getroffen, für drei Wochen im Koma und erholte sich davon nie wieder ganz. Viele Experten sagten: weil der Trainer für den unerfahrenen, erst zwanzigjährigen Champion nicht das Handtuch warf. Während seiner gesamten Karriere kümmerte Papke sich vorzugsweise um sehr junge Kämpfer, bei denen er regelmäßig darum bemüht war, sie aus ihrer familiären Umgebung in seine Privatwohnung umzusiedeln.

Als Serdar Sahin zu Beginn des Jahres mit seinem Vater im Moabiter Gym erschien, erkannte der Trainer schnell sein Talent. Da der DSF gerade seine »Boxxstar«-Kampagne begonnen hatte, telefonierte Papke mit »Sport Events Steinforth« (SES), einer Firma, die Kampfabende für den Sender veranstaltet. Da Papke zuweilen als Trainer bei SES-Boxgalas arbeitet, war es kein Wunder, dass Serdar Sahin unter die vier Kandidaten der Endausscheidung kam.

In der Küche hat sich mittlerweile Sahins kleinste Schwester, ein etwa achtjähriges Mädchen, neben ihn gesetzt. Ob sie ihren Bruder schon einmal kämpfen gesehen hat? »Nur auf Video«, sagt sie und zieht die Nase kraus. Sahin legt ihr den Arm um die Schulter. »Familie am Ring würde mich auch nur nervös machen!« Bald wird er eine eigene haben. Seine Frau Derya, die er 2004 heiratete, ist im achten Monat schwanger.

Auch am 2. April, als in Velten die vier Kandidaten zum »Boxxstar«-Endausscheid aufeinander trafen, waren Papke und Muammer in Serdar Sahins Ecke. Er zeigte einen guten Fight. Mutig, mit schnellen Reflexen und einer harten Rechten beherrschte er seinen Gegner drei Runden lang. Damit war klar, dass er der Sieger des Abends sein würde. Denn der andere Kampf, zwischen einem Tankwart und einem ortsansässigen Felgenveredler, war eine Art Wirthausschlägerei. Rund um den Ring wurde gerätselt, welche Substanzen sich der Felgenveredler wohl vor dem Kampf zugeführt hatte. Und wie viel davon. Als Preis bekam Sahin eine schmucklose Urkunde und die Möglichkeit, bei SES in Magdeburg eine Woche lang zu trainieren und einen Profivertrag zu erhalten, falls er sich dort bewährte.

Er bewährte sich. Und zwar so gut, dass SES ihn bei der nächsten Boxgala wieder ins Programm genommen hat. Für den Kampf in Aschersleben. Weil er den gewonnen hat, ist er in den kommenden Wochen für zwei weitere Kämpfe über vier Runden gebucht. Der ganz normale Alltag eines Berufsboxers.

Serdar Sahin zieht nun doch den Teller zu sich. Ist er zufrieden mit dem bisherigen Verlauf seiner Karriere? »Auf jeden Fall«, nickt er. »Ich will meinem Vater etwas zurückgeben. Und dem Trainer. Er möchte noch einmal einen Champion rausbringen.« Dabei schaut er wieder so treuherzig, dass man die wichtigste Frage fast vergisst. Was ist für ihn das Schönste daran, »Boxxstar« geworden zu sein?

Er überlegt. »Geld ist nicht so wichtig. Aber viele Freunde kommen zu mir und sagen, dass sie das toll finden. Ja, berühmt sein ist gut.«

Nach kurzem, eindrücklichem Nicken sagt Serdar Sahin noch eine Sache, die man von einem jungen Profiboxer erwartet. »Der Deutsche Meister 2006 heißt in meiner Gewichtsklasse Serdar Sahin! Zwei Jahre später habe ich einen internationalen Gürtel.« Und wenn das nicht klappt, wird seine Oma ihm bestimmt trotzdem noch Schnitzel mit Nudelsalat servieren.