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Das Wahlbündnis im Bundestag von stefan wirner

Dicke, schwarze Wolken hängen über der Hauptstadt, es wird kalt und ungemütlich in Deutschland. Nur im Reichstag leuchtet ein Licht der Hoffnung. Das linke Wahlbündnis ist ins Parlament eingezogen.

In Blaumänner gekleidet, mit Bauarbeiterhelmen auf dem Kopf und schweren schwarzen Stiefeln der Marke Caterpillar an den Füßen, setzen sich die zwanzig Abgeordneten des Wahlbündnisses auf ihre Plätze im Plenarsaal, links von den Sozialdemokraten. Auf ihre Tische stellen sie rote Nelken. Oskar Lafontaine, der ehemalige Ministerpräsident des Saarlandes, vorübergehende Bundesfinanzminister und designierte Fraktionsvorsitzende, reckt die linke Faust in die Höhe. Gregor Gysi, der ehemalige Wirtschaftssenator von Berlin, tut es ihm gleich. Als die Bundeskanzlerin Angela Merkel das Podium betritt, greifen viele der neuen Abgeordneten zu ihren Kugelschreibern und schlagen demonstrativ ihre Kreuzworträtselheftchen auf. Der Widerstand lebt.

Endlich spricht Oskar, die ganze Republik verfolgt die Live-Übertragung im Fernsehen. Auch in der Pinte um die Ecke, wo ausgiebig das Arbeitslosengeld in die Volkswirtschaft investiert wird. »Reden kann der!« weiß man hier, ballt die Faust in der Tasche und bestellt sich beim Wirt eine einzelne Zigarette, weil die Packungen unerschwinglich geworden sind. »Wir haben wieder Arbeit, nur die Menschen da draußen noch nicht«, ruft der frühere Vorsitzende der SPD den Pintenbewohnern zu, und ihr Applaus ist ihm gewiss.

Was haben die frisch gewählten Rebellen im Bundestag vor? Werden sie versuchen, mit unzähligen Anträgen zur Geschäftsordnung die Gesetzesvorhaben der »neoliberalen Einheitspartei« zu vereiteln? Werden sie sich in »Fundis« und »Realos« spalten und das Rotationsprinzip einführen? Vielleicht schleusen sie ja zu einer der Debatten Mitglieder einer Erwerbsloseninitiative auf die Zuschauertribüne des Bundestages, und vielleicht werfen diese dann mit Schweineblut gefüllte Kondome auf den Bundesadler. Oder fordern die Bundesregierung zum Dialog auf. Die ruhigen Zeiten für die Herrschenden, egal welcher Couleur, sind jedenfalls vorbei.

Bisweilen stehen die wahren Sozialdemokraten aber auch nur unschlüssig in der Lobby herum und palavern über das Elend unter der neuen Kanzlerin. Bald schimpfen sie über die jüngsten Gesetze gegen die Gewerkschaften, bald über die Steuersenkungen für Reiche. Gelegentlich lauschen sie, was denn ihre Oppositionskollegen von der SPD so besprechen, und dem einen oder anderen wird heimlich zugezwinkert, schließlich kennt man sich noch aus alten Zeiten. Gemeinsam stimmt man gegen alles, was die Regierung vorschlägt; nur manchmal nicht, wenn man aus Gewissensgründen dafür stimmt.

Und schon steht die erste große Demonstration gegen den schwarz-gelben Sozialabbau am Brandenburger Tor bevor. Alle rufen dazu auf: das Wahlbündnis, Verdi und Linksruck, die IG Metall und die Anti-Hartz-Bündnisse, der Paritätische Wohlfahrtsverband und die DKP. Auch die SPD, und das ist heftig umstritten. Darf Müntefering auf der Abschlusskundgebung sprechen? Ja, meinen Gysi und Lafontaine: »Wir brauchen jede Stimme gegen den Neoliberalismus.« Nein, meinen andere. »Die SPD hat uns das doch alles eingebrockt«, schimpft ein Hinterbänkler des Wahlbündnisses. »Fundi!« schallt es ihm entgegen.