Das schlagende Gewissen

In Spanien dürfen ab Sommer Homosexuelle heiraten und Kinder adoptieren. Die katholische Kirche ruft zum Widerstand auf. von thorsten mense, barcelona

In Spanien ist eine kleine reaktionäre Rebellion im Gange. Konservative und Katholiken rufen zum »zivilen Ungehorsam« auf. Das spanische Parlament beschloss Ende April gegen die Stimmen des konservativen PP und der katalanischen Nationalisten der CiU, die Ehe von Homosexuellen zu legalisieren, verbunden mit dem Recht, Kinder zu adoptieren.

Der Vatikan rief gleich nach der Entscheidung die spanischen Christen zur »Gewissensverweigerung« auf. Genau wie Ärzte angewiesen wurden, »das Verbrechen der Abtreibung« zu verweigern, sollen Bürgermeister die Eheschließung von gleichgeschlechtlichen Paaren nicht zulassen. Ein Dutzend konservativer Stadtoberhäupter ist gewillt, diesem Aufruf zu folgen, auch ein sozialistischer Bürgermeister will seine Unterschrift unter diese Eheurkunden verweigern. Der konservative Bürgermeister Lluís Fernando Caldentey aus der Ortschaft Pontons erklärte, Homosexuelle »sind erbkranke Personen, die mit einer körperlichen und psychischen Behinderung zur Welt kamen«. Wegen dieser Aussage wurde er mittlerweile aus der Partei entlassen, aber Mariano Rajoy, der Vorsitzende des PP, sieht die Reform ebenfalls »gegen die Verfassung und den gesunden Menschenverstand« gerichtet.

Da aber auch in Spanien die traditionelle katholische Homophobie nicht mehr so gut ankommt, wird sie in der Diskussion als Kampf für Menschenrechte getarnt. Die spanischen Bischöfe sprechen von einer »Gefahr für die gerechte soziale Ordnung« und einer »Diskriminierung der Ehepaare«. In einem Interview mit der vatikanischen Nachrichtenagentur Fides sprach der Präsident des päpstlichen Familienrates, Alfonso López Trujillo, zuerst über die Pflicht jedes Christen, gegen Ungerechtigkeit einzutreten, um anschließend zur »Verweigerung aus Gewissensgründen« aufzurufen. Denn sie sei legitim, »wenn es sich dabei um ein Verbrechen handelt, das die Welt zerstört«. Und kein Staat dürfe aufrechte Christen dafür belangen. »Demokratie bedeutet stets Achtung der Freiheit. Welcher Staat kann auf eine menschenwürdige Zukunft hoffen, wenn er den Menschen verneint und ihn entmenschlicht?« Der ehemalige Kardinal von Barcelona, Ricard Maria Carles, legte noch nach: »Wenn das Gesetz vor dem Gewissen kommt, dann führt das nach Auschwitz.« Dass Homosexuelle in den Konzentrationslagern ermordet wurden, ignoriert Carles ebenso wie die Tatsache, dass Gesetz und Gewissen im Fall Auschwitz bei vielen Deutschen nicht konträr zueinander standen.

Die Gesetzesreform ist fraglos eine wichtige Maßnahme gegen die Diskriminierung Homosexueller. Zwar wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Spanien die Homosexualität nicht mehr als Straftat qualifiziert. Jedoch wurden von 1939 bis 1975 unter der Franco-Diktatur etwa 5 000 vermeintliche Homosexuelle von der Polizei abgeholt und eingesperrt. 30 Jahre später wird nunmehr eine komplette Gleichstellung hetero- und homosexueller Partnerschaften eingeführt. Derartig weitgehende Regelungen existieren in Europa ansonsten nur in den Niederlanden und in Belgien.

Dennoch bleibt die Homophobie ein ernstes Problem in Spanien. »Wir sind in einer sehr schwierigen Situation«, sagt Josep Anton Rodríguez, Präsident der Organisation Lambda, die sich seit dreißig Jahren für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzt. Nach dem Erfolg in der Gesetzgebung müsse gerade jetzt für die Gleichbehandlung und Normalisierung im gesellschaftlichen Bereich gekämpft werden.

Als besonders beunruhigend wird es von den Homosexuellen wahrgenommen, dass sich durch die diskriminierenden Aussagen der Kirchenvertreter die Gruppen bestärkt fühlen, die auch gewalttätig gegen Homosexuelle vorgehen. Vor einer Woche begann in Barcelona ein Prozess gegen drei Nazi-Skinheads, die ein schwules Paar in einer Metrostation krankenhausreif geprügelt hatten. Und das ist nicht der einzige Prozess, der derzeit wegen homophober Gewaltausbrüche läuft. Rodríguez will daher auch nicht von »Toleranz« gegenüber Homosexuellen reden. »Toleranz ist ein Schwindel!« Ihm geht es um die Anerkennung der Rechte eines jeden Menschen und um gesellschaftliche Akzeptanz.

Entscheidender Wendepunkt war ihm zufolge der Regierungswechsel im vergangenen Jahr. Die konservative Regierung des PP habe stets versucht, gemeinsam mit der einflussreichen Kirche das repressive Klima gegenüber Homosexuellen aufrecht zu erhalten. Nach dem Wahlsieg des Psoe hat die Bewegung neue Hoffnung geschöpft. Bisher zu Recht, wie es scheint. »Seht den Homosexuellen ins Gesicht und sagt ihnen: Ihr seid Spanier zweiter Klasse!« forderte Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero die Hardliner des PP wegen ihrer homophoben Entgleisungen auf.

Die Wahl des ultrakonservativen Joseph Ratzinger zum Papst trage allerdings nicht zu einer Verschärfung der Situation bei. »Ich habe schwule Freunde, die sich sogar gefreut haben«, so Rodríguez. Denn einige glaubten, dass die radikalen Aussagen des Vatikan eher dazu beiragen, dass sich immer mehr Menschen von der Kirche abwenden, anstatt die Normalisierung der Homosexualität zu verhindern. Einer aktuellen Umfrage zufolge sind 66 Prozent der spanischen Bevölkerung für die vollkommene Gleichstellung homosexueller Partnerschaften.

In den Großstädten sind schwule und lesbische Paare akzeptierter Teil des Stadtbildes. Es gibt aber große regionale Unterschiede, besonders auf dem Land »herrscht eine andere Realität«. Akzeptiert sind die »marikita del pueblo«, die »Dorfschwuchtel«, oder die lustige Tunte aus der Vorabendserie, solange sie in ihren Rollen bleiben. »Wenn ich als Professor im Anzug den Leuten von meiner achtjährigen und glücklichen Partnerschaft mit einem Mann erzähle, stoße ich aber schnell an die Grenzen der Akzeptanz«, sagt Rodríguez.

Einen radikaleren gesellschaftspolitischen Ansatz als die Mitglieder von Lambda vertreten die Organisatoren der »Queeruption«, die in der vergangenen Woche in einer besetzten Fabrik in Barcelona stattfand. Die Veranstaltung richtete sich an »radikale Queers, Unregierbare, Lesben, Schwuchteln, Transen, Bi-, Tri-, Poly- und Asexuelle, Drag-Kings and Queens, Sadomasochisten, Verrückte und an alle, die diese heterosexistische Gesellschaft leid sind.« Immer wieder wurde gefordert, sich für eine »wirklich freie Gesellschaft« einzusetzen. Dafür braucht es das Konzept Ehe sicher nicht.