Dynamit und Straßensperren

Proteste in Bolivien offenbaren die tiefe Kluft zwischen den armen und wohlhabenden Landesteilen. von jessica zeller

Dass Bolivien 1884 im so genannten Salpeterkrieg seinen Zugang zum Meer an Chile abtreten musste, ist ein altes Streitthema. Dass Bolivien jedoch auch auf dem Landweg nicht mehr zu erreichen ist, ist relativ neu. Seit Donnerstag der vergangenen Woche ist das Land von vier seiner fünf Nachbarländer durch Straßensperren abgeschnitten. Lediglich die Verkehrswege nach Brasilien sind noch befahrbar.

Die Demonstranten, meist arme Bauern, Lehrer und Gewerkschafter, kündigten an, die Blockaden vorerst aufrechtzuerhalten. Außerdem demonstrieren bereits seit rund zwei Wochen tausende Menschen in der Hauptstadt La Paz gegen die Regierung von Präsident Carlos Mesa. Vor einer Woche versuchten Bergarbeiter, sich mit Dynamit Zugang zum zentralen Platz, der Plaza Murillo, zu verschaffen, wobei mindestens fünf Menschen verletzt und 32 verhaftet wurden. Allgemein gerieten bei den Protesten in der Hauptstadt Polizei und Demonstranten immer wieder aneinander. Zudem verstärkte sich in der vergangenen Woche das Gerücht, dass Offiziere einen Staatsstreich gegen die Regierung Mesa planten.

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen steht die Energiepolitik. Nach Venezuela verfügt Bolivien über die zweitgrößten Gasreserven Südamerikas und ist zugleich nach Haiti das ärmste Land des Kontinents. Seit Jahren schwelt deshalb ein Streit zwischen dem überwiegend armen Westen des Landes und dem wohlhabenderen Osten. Die Bevölkerung der Hochebene fordert, dass die Erträge aus der Erdgasförderung endlich großen Teilen der Bevölkerung zugute kommen sollen. Wohlhabende östliche Provinzen wie Santa Cruz, in denen das Erdgas gefördert wird, wollen dagegen wirtschaftliche und politische Autonomie.

Ein Mitte Mai verabschiedetes Gesetz, wonach private Öl- und Gasunternehmen aus dem In- und Ausland eine Abgabe von 18 Prozent und eine Steuer von 32 Prozent zahlen müssen, geht der Opposition nicht weit genug; den ausländischen Ölkonzernen dagegen geht es zu weit. Präsident Carlos Mesa zog es deshalb vor, seinen Stellvertreter, den Parlamentspräsidenten, das umstrittene Gesetz unterzeichnen zu lassen. Bei den sozialen Bewegungen hat er deshalb enorm an Prestige eingebüßt.

Ein weiteres strittiges Thema ist die verfassungsgebende Versammlung, die seit dem Regierungssturz vor knapp zwei Jahren auf der Tagesordnung steht. Am Mittwoch vergangener Woche vertagte das Parlament wieder einmal das Thema. Am Tag zuvor war es nicht beschlussfähig, weil sich viele der Abgeordneten nicht in das Gebäude gewagt hatten, das von wütenden Demonstranten umringt war.

Mesa produzierte angesichts der politisch angespannten Lage zumindest heiße Luft. Nachdem er sich tagelang überhaupt nicht zu Wort gemeldet hatte, kündigte er in der vergangenen Woche eine Volksabstimmung für Mitte Oktober an, in der über eine verfassungsgebende Versammlung und die regionalen Autonomiebestrebungen entschieden werden solle. Angesichts der Situation im Land habe er nicht mehr bis zu einer Entscheidung des Parlaments warten können, sagte er am Donnerstag in einer überraschend anberaumten Fernsehansprache.

Zahlreiche Parlamentarier aus Santa Cruz haben jedoch bereits ihre Ablehnung angedeutet. Auch Evo Morales von der »Bewegung zum Sozialismus«, der stärksten Oppositionspartei, bezeichnete Mesas Pläne zwar als interessant, jedoch »nicht zeitgemäß«. Zwar könnte Mesa sein Vorhaben theoretisch auch per Dekret am Parlament vorbei durchsetzen. Dafür müsste er aber zumindest bis Oktober im Amt bleiben. Und das ist, sollten die Proteste in ihrer bisherigen Form anhalten, alles andere als sicher.