Ungescheit gescheitert

Die Ablehnung der EU-Verfassung fördert die alten Nationalstaatsinteressen. von anton landgraf

Er soll an allem schuld sein: Der namenlose polnische Klempner, der mit einem uralten Lieferwagen durch Frankreich tuckert, um den Franzosen jederzeit für einen Hungerlohn die Jobs wegzunehmen. Der dämonische Klempner geisterte vor der Abstimmung über die EU-Verfassung durch alle Debatten. Er symbolisierte die Ängste der Verfassungsgegner und zeigte gleichzeitig, in welcher geistigen Verfassung sie sich befinden.

Das Gefühl, schutzlos der freien Konkurrenz aus allen Richtungen ausgeliefert zu sein, bestimmte auch die Abstimmung in den Niederlanden. Die Ablehnung der Verfassung wurde dort vor allem von der Bewegung Pim Fortuyns inspiriert, die vor wenigen Jahren auf spektakuläre Weise das niederländische Parteiensystem durcheinanderwirbelte, indem sie den angeblichen Identitätsverlust des Landes anprangerte und eine neue Hinwendung zur nationalen Geschichte propagierte.

Das Nein entwickelte eine überwältigende Energie, die alle ideologischen Grenzen missachtete. Während die Linke vor der drohenden Liberalisierung des europäischen Dienstleistungsmarktes warnte, empörte sich die Rechte über die wachsende Konkurrenz durch die neuen Beitrittskandidaten. Dieses Nein richtet sich gegen die Einwanderung aus dem Osten, es richtet sich gegen polnische Billigarbeiter, gegen die baltischen Tiger und potenzielle Einwanderer vom Bosporus. Am Ende wähnten sich alle als Sieger, und niemand störte sich daran, dass dieser großartige Erfolg nur mit Hilfe der Anhänger Le Pens und Fortuyns gelingen konnte.

Auch wenn die Motive der Verfassungsgegner unterschiedlich waren, fanden sie ihre Gemeinsamkeit in der Sehnsucht danach, angesichts großer Veränderungen und Umwälzungen festzuhalten, was man hat: den Nationalstaat. Europa erscheint ihnen als Vorhölle der Globalisierung, in der die vermeintlichen Versprechen des Nationalstaats auf soziale Sicherheit von rücksichtslosen Technokraten in Brüssel missachtet werden, wo Heuschreckenplagen kosmopolitischen Ausmaßes drohen und polnische Klempner unbehelligt ihr Unwesen treiben können. Die Europäische Union wird als anonymes, amorphes Gebilde wahrgenommen, während der Nationalstaat konkret, erfahrbar und vertrauenerweckend autoritär erscheint.

Kein Wunder also, dass auch die Gegner Europas außerhalb der EU nach der Abstimmung jubelten. Die türkischen Nationalisten zeigten sich ebenso hoch erfreut wie die Anhänger des fundamentalistischen Kirchensenders »Radio Maria« in Polen. Sie hatten schon immer erklärt, dass Europa die eigene nationale Identität zerstören werde. Nun scheint sich diese Erkenntnis ebenfalls im »alten Europa« durchzusetzen. Auch in Deutschland wird der Ruf nach einem »Volksentscheid« immer lauter. Und man müsste kein Prophet sein, um den Ausgang vorherzusagen.

Die Ablehnung ist daher ein Produkt enttäuschter Hoffnungen. Jahrzehntelang hatte man Europa als eine Art verlängerten Arm des Nationalstaats propagiert, gerade gut genug für die Profilierung der Grande Nation, für das Portemonnaie der französischen Bauern, für die deutsche Exportwirtschaft. Die EU sollte die wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen besser vertreten und nebenbei auch die lästige Konkurrenz, allen voran die USA, in die Schranken weisen.

Nun stellt sich heraus, dass die EU keine Enklave im globalisierten Kapitalismus bilden kann. Um im weltweiten Standortwettbewerb mitzuhalten, muss sie selbst in einen verschärften Wettbewerb treten und ihren Binnenmarkt liberalisieren. Langsam dämmert es den Wählern in Paris, Amsterdam und wohl auch bald in Kopenhagen, dass nicht beides zu haben ist: ein starkes Europa, das gleichzeitig dafür sorgt, dass »Heuschrecken« und polnische Klempner draußen bleiben.

Zugleich wird deutlich, dass es mit den neuen östlichen Beitrittsländern ein einheitliches europäisches Auftreten gegen die USA nicht geben wird. Wozu also der ganze Aufwand? Liegt es da nicht näher, wieder zum Original zurückzukehren, zum Nationalstaat alter Prägung? Der wilde Kapitalismus scheint eine Alternative zu haben, den autoritären Etatismus. Die Alternative, die sich abzeichnet, ist nicht die eines wie auch immer gestalteten »anderen Europa«. Es ist de Gaulles Vorstellung eines »Europa der Vaterländer«.