Arme Nazikinder

Verfassungsänderung in Österreich von heribert schiedel, wien

Es war ja nicht anders zu erwarten. Im großen österreichischen »Gedankenjahr« machen Abgeordnete einer Regierungspartei aus ihren Gedanken zum Nationalsozialismus und dessen Verbrechen keinen Hehl. Der eine, Siegfried Kampl, spricht vom »Kameradenmord«, den Wehrmachtsdeserteure begangen hätten, und beklagt die »Naziverfolgung« nach 1945. Der andere, John Gudenus, verlangt zunächst naturwissenschaftliche Beweise für die Existenz von Gaskammern und behauptet dann, dass es diese nur in Polen und nicht im »Dritten Reich« gegeben hätte.

Kampl musste daraufhin Jörg Haiders FPÖ-Abspaltung Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) und Gudenus die FPÖ verlassen. Die alten Recken weigern sich aber beharrlich, ihr Abgeordnetenmandat abzugeben. Das hätte im Fall Kampl beinahe zu einer veritablen Staatskrise geführt. Der Kärntner Abgeordnete sollte nämlich am 1. Juli turnusgemäß den Vorsitz im Bundesrat übernehmen. Dies erschien den anderen Abgeordneten für das Ansehen Österreichs nicht gerade förderlich. Daher war es wieder einmal Zeit für einen nationalen Schulterschluss. Im Nationalrat stimmten in der vorigen Woche alle Mandatsträger bis auf die FPÖ-Abgeordnete Barbara Rosenkranz für eine Verfassungsänderung, die es den Landtagen künftig ermöglicht, durch Umbesetzungen Bundesratsvorsitzende wie Kampl zu verhindern.

Gegen diese »Anlassgesetzgebung« wetterte nur der Vorsitzende der FPÖ, Heinz Christian Strache. Aber auch sein ehemaliges Idol Jörg Haider weiß, wie groß der Rückhalt von Leuten wie Kampl in der Bevölkerung ist. Daher behaupten er und sein BZÖ, dass sie der Verfassungsänderung nur zugestimmt hätten, weil dadurch verhindert werde, dass die »Lizenz-Parteien« sich weiterhin an Kampl abarbeiteten. Haider erklärte, er wolle diesen »anständigen Menschen«, der den Fehler begangen habe, seine »Traumatisierung« auf der politischen Bühne auszuleben, vor anhaltender Verfolgung durch die antifaschistische »Jagdgesellschaft« schützen. Kampls Vater war 1948 verurteilt worden, weil er während des Nationalsozialismus eine Nachbarin denunziert hatte. Der Kärntner Landeshauptmann weiß als »Nazikind«, wovon er spricht. Auch ihn habe es traumatisiert, dass etwa seine Mutter »den Boden vor ehemaligen KZ-Häftlingen wischen musste«, sagte Haider dem ORF.

Dass die Kinder von Nazis wie solche sprechen, ist jedoch nicht der Skandal. Ein Skandal sollte es vielmehr sein, dass jene Partei, in der solche Leute Ämter und Würden erlangen, gleich zwei Mal zum Koalitionspartner in der Regierung geadelt wurde.

Es begann mit der österreichischen Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945. Dort werden die Nazis, »die nur aus Willensschwäche, infolge ihrer wirtschaftlichen Lage, aus zwingenden öffentlichen Rücksichten, wider innere Überzeugung und ohne an den Verbrechen der Faschisten teilzuhaben, mitgegangen sind« – und das waren nach eigenem Dafürhalten wohl alle –, zur Rückkehr »in die Gemeinschaft des Volkes« eingeladen. Genau daran müsste (sich) in diesem Jahr das »andere Österreich« erinnern. Aber man empört sich lieber über jene, die als »unfreiwillige Aufklärungsmaschinen« (so der Schriftsteller Robert Schindel) eigentlich einen Beitrag zur Bewusstmachung des österreichischen Skandals leisten.

Haider hat die Gefahr, die aus der unbedachten Offenheit seiner (ehemaligen) Gesinnungskameraden rührt, erkannt und deswegen verlangt, dass Politiker zur Zeitgeschichte künftig besser schweigen sollten. Er weiß, dass der Konsens seine Wirkung am besten entfalten kann, wenn er unausgesprochen bleibt.