»Es muss viel diskutiert werden«

Ein Gespräch mit gregor gysi über das Wahlbündnis von PDS und Wasg

Wie sicher ist es denn, dass das Bündnis der PDS mit der Wasg zustande kommt?

Ich war von Anfang an optimistisch, und ich bleibe es auch. Die letzten Fragen sind immer besonders schwierig, sonst hätte man sie ja schon früher gelöst. Beide Seiten wissen, alleine können sie nur verlieren. Eine an ihnen interessierte Öffentlichkeit erwartet jetzt das Zusammengehen.

Man muss sich fragen: Organisiert man sich in einer Partei, um sich selbst wohl zu fühlen? Das darf ein Nebenwunsch sein, aber nie der Hauptwunsch. Der Hauptwunsch lautet: Ich will die Interessen von Millionen Menschen wirksam artikulieren bzw. durchsetzen, und das geht in diesem Fall viel besser zusammen als getrennt.

Man gewinnt den Eindruck, dass vor allem die Führungen der PDS und der Wasg das Bündnis wollen, aber Angst vor ihrer Basis haben, die PDS vor ihrem Parteitag und die Wasg vor der Urabstimmung ihrer Mitglieder.

Bei der Wasg kann ich mir das sehr gut vorstellen, denn die Leute haben sich ja nun absichtlich nicht in der PDS organisiert. Aber ich denke, sie werden es dennoch schaffen.

Lothar Bisky habe ich so verstanden, dass er, was den Parteitag betrifft, optimistisch ist. Die PDS ist immer ernst genommen worden mit ihrer Ostkritik. Davon darf sie auch nicht abrücken. Aber sobald wir eine Alternative zur Rentenpolitik oder zur Gesundheitspolitik vorgelegt haben, ist das viel weniger beachtet worden. Das liegt daran, dass wir nur ein Prozent der Stimmen im Westen hatten. Wenn wir jetzt eine Chance haben, neben unserer Ostkompetenz auch eine andere Wirksamkeit für gesamtgesellschaftliche Alternativen zu bekommen, sind wir wohl verpflichtet, sie zu nutzen.

Haben Sie keine Sorge, dass in diesem Bündnis manche Vorstellungen der PDS verloren gehen? Sie spricht immerhin noch vom Sozialismus, sie behandelt Themen wie den Antirassismus, die Gleichberechtigung der Frau.

Die Wasg ist von Gewerkschaftern in einer bestimmten Situation gegründet worden; das heißt, sie haben bestimmte Schwerpunkte. Für die Vereinigung, wenn sie denn zustande kommt, wird ein Prozess von zwei Jahren angepeilt. In dieser Zeit muss sehr viel diskutiert werden. Und da gibt es natürlich bestimmte linke Positionen, die man nicht aufgeben darf: den Antirassismus, die Gleichberechtigung und andere mehr. Wenn es da Meinungsverschiedenheiten geben sollte, muss man sie ausdiskutieren. Aber natürlich ist für eine linke Partei die Frage der sozialen Gerechtigkeit, und zwar weltweit genauso wie im eigenen Land, eine zentrale Frage, und ich glaube, da gibt es genug Übereinstimmung. In den anderen Fragen haben wir uns entwickelt und da werden sich auch andere entwickeln.

Es gibt Kommentatoren, die sagen, Gysi und Lafontaine haben sich schon einmal aus dem Staub gemacht, Lafontaine als Finanzminister und Sie als Berliner Wirtschaftssenator.

Unsere Biographien sind im Unterschied zu anderen Biographien nicht völlig geradlinig. Alle anderen haben völlig fehlerfrei gelebt, bei mir war das nicht so. Als ich aber 1989 Vorsitzender meiner Partei wurde, gab es keinen anderen, der diesen Job freiwillig übernommen hätte. Er war der unbeliebteste, der zu vergeben war. Man kann mir vieles vorwerfen, aber Faulheit und Bequemlichkeit nicht. Ich bin auch gerne Wirtschaftssenator geworden. Aber ich habe einen Fehler gemacht, zu dem wollte ich stehen. Ich wollte meinen Wählerinnen und Wählern zeigen, dass ich dann auch bereit bin, Konsequenzen zu ziehen.

Und Oskar Lafontaine hat ja nun wirklich eine spannende Biographie. Er war jahrelang Oberbürgermeister, er war jahrelang Ministerpräsident. Er hat die SPD zum Wahlsieg gegen Kohl geführt, zusammen mit Gerhard Schröder. Er hat dann aber politische Differenzen zwischen sich und dem Kanzler festgestellt, sodass er vor einer Frage stand, die ja leider nie zuende diskutiert wird: Entweder er hätte den Kampf gegen Schröder eröffnen müssen, mit dem Ziel, ihn aus dem Kanzleramt zu entfernen und selber reinzukommen, oder er musste sich zurückziehen. Und da hat der Mann, der angeblich so eitel ist, so ein Selbstdarsteller, sich für die Variante des Rückzugs entschieden. Wenn die keine besseren Argumente gegen uns beide finden, dann können wir schon ganz zufrieden sein.

Sie haben sich festgelegt auf die Rolle der Opposition im Bundestag, wenn das Bündnis hineingewählt wird. Wie sicher ist es denn, dass es keine Koalition mit der SPD geben wird?

Die SPD tritt an, so hat es Müntefering gesagt, mit ihrem Spitzenkandidaten Gerhard Schröder, zur Fortsetzung ihrer jetzigen Politik. Neoliberale Politik dieser Art darf das Linksbündnis nicht tolerieren. Wenn die SPD in die Opposition kommen sollte, sich erholt und sich wieder zu ihren früheren Werten und Traditionen bekennt, wenn sie ihren Charakter verändert und wieder sozialdemokratischer wird, dann kannn die Welt in ein paar Jahren ganz anders aussehen. Aber jetzt steht es nicht zur Debatte.

Es ist immer die Rede von der »neoliberalen Einheitspartei«. Gibt es nicht auch eine »Einheitspartei der Arbeit«? Die Wasg führt den Begriff im Namen, die PDS forderte einst »Arbeit her«, die SPD »Arbeit, Arbeit, Arbeit«? Wird da nicht die Arbeit verklärt in dem Moment, wo sie ausgeht?

Sie wird verklärt, aber andererseits müssen Sie das mal aus der Perspektive derjenigen sehen, die keine haben. Es ist ein zentrales Bedürfnis, durch eigene Arbeit, durch Mitwirkung am Austausch zwischen Mensch und Natur, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Man sagt zu fünf Millionen Menschen: Für euch haben wir nichts. Und den anderen sagt man, ihr müsst länger arbeiten, und zwar für weniger Geld. Das ist für viele eine unerträgliche Situation.

Die CDU sagt nun: »Agenda Arbeit«. Aber zu jedem Lohn. Da sagen wir: Das ist völlig daneben. Sie will den Kündigungsschutz für 50jährige und Ältere aufheben, damit sie eingestellt werden. Abgesehen davon, dass ich sowieso dagegen bin, hieße das doch, dass kein 47jähriger mehr eingestellt wird. Dem sagt man doch, warte mal drei Jahre, bis du keinen Kündigungsschutz mehr hast.

Wir müssen die Rahmenbedingungen ändern, und zwar in Europa und in Deutschland. Es ist wichtig, Mindeststandards in Europa festzulegen. Dass bestimmte Herren in der Wirtschaft glauben, alles entscheiden zu können, in der Politik, in der Gewerkschaft, das müssen wir ändern.

interview: stefan wirner