Tierisches Kunterbunt

Emir Kusturicas neuer Film »Das Leben ist ein Wunder« ist reines Chaos. von andreas thomas

Was tut die Leitung eines großen Filmfestivals, um einem ehemaligen Starregisseur eine kreative Pause nahe zu legen? Sie ernennt ihn zum Präsidenten der Jury. So erging es in diesem Jahr in Cannes dem ehemals glorreichen Gewinner zweier »Goldener Palmen« (1985 für »Papa ist auf Dienstreise« und 1995 für »Underground«), dem notorisch ungeduscht wirkenden Emir Kusturica.

Im Vorjahr konnte der Exil-Serbe, obwohl sein nunmehr in die deutschen Kinos kommender Film »Das Leben ist ein Wunder« auch für die Goldene Palme nominiert war, nur mit dem »Kinopreis des französisch-nationalen Erziehungssystems« nach Hause gehen. Dass der ehemalige »Fellini des Balkan«, der »Punk der internationalen Filmszene«, wie man ihn schon genannt hat, nun plötzlich schultaugliche Filme produzieren soll, stimmt nachdenklich. Das Schlimme daran ist: Die französische Pädagogik hat Recht. Kusturicas bosnische Romeo-und-Julia-Variation ist trotz ihrer für den Regisseur typischen Wildheit am Ende tatsächlich nur ein allzu simples Lehrstück geworden.

Gleich eine ganze Arche voller Tiere schüttet Kusturica zwischen die Bewohner eines ländlichen Jugoslawien kurz vor dem Bürgerkrieg. Wohl um zu zeigen, wie menschlich das Tier ist – und wie tierisch der Mensch. Da gibt es eine Katze, die eine Taube hypnotisiert, sodass sie starr zu Boden fällt und gefrühstückt werden kann, einen Esel, der sich auf die Bahngleise stellt, weil er aus Liebeskummer sterben will, einen Braunbären, der einen Mann in dessen Haus verputzt, um selbst Hausbesitzer zu werden, und es gibt eine Kleinfamilie von Menschen, die durcheinander schnattern wie Enten, sich traurig lieben wie Hunde, sich zanken wie Hühner.

Wohl auch eine Art animalischer Trieb lenkt Jadranka, eine ziemlich derangierte Opernsängerin, in Richtung Genitalien eines ungarischen Musikers, fort von Heim, Herd und Serbien. Ihr Sohn Milos muss auf eine Fussballerkarriere bei Partizan Belgrad verzichten und stattdessen zur Armee. Dann bricht der Bürgerkrieg aus.

Der schlichte Familienvater, Eisenbahningenieur Luka (Slavko Stimac, der wie eine Mischung aus dem jungen Steve Martin und Billy Bob Thornton rüberkommt), bleibt allein zuhause zurück, während sich nun rings umher in großem Stil entwickelt, was die multi-nationale, multi-animalische Anthropologie von »Das Leben ist ein Wunder« für den Balkan voraussetzt: So besinnungslos wie man sich dort liebt, so streitet man dort auch. Was vorher gescheppert hat, das rummst nun, und wer zuvor mit einer Ohrfeige davongekommen ist, der ist nun mausetot. Ex-Jugoslawien als eine einzige Menagerie großer und kleiner Tiere, die sich durchwursteln, durchvögeln, durchballern. Langeweile und niederer Instinkt, Überdruss und Aggression, Korruption und Machtgier münden in einen Krieg der Idioten, einen Krieg ohne Kriegshandwerker. Denn die Panzerfäuste gehen regelmäßig nach hinten los, nicht Kollateral-, sondern Totalschäden zieren die schöne bosnische Landschaft.

Ein Krieg als derbe Burleske, als dröhnende Blechblaspolka, als entfesselte Folklore, als enervierender Dauer-Slapstick, als besoffenes Militaristen-Musical – aber auch als CNN-Report in Lukas TV. In einer der wenigen gelungenen Szenen erträgt Luka die sensationslüsternen Fernsehbilder nicht mehr, er wirft das Gerät aus dem Fenster, draußen im Schmutz will es jedoch nicht aufhören zu senden. Luka nimmt das Gewehr und erschießt den Krieg im Fernsehapparat, der ihn stärker ängstigt als die Einschläge der Artilleriegeschosse rings um sein Haus.

Und so geht’s weiter, drunter und drüber. Ein General begibt sich in den Eingang eines Bahntunnels, um mit seinem Handy ein »wichtiges« Telefonat zu führen. Als er seine Kreditkartennummer angegeben hat, stöhnt eine (reichlich unprofessionell wirkende) Frauenstimme auf deutsch: »Ja, mach mich heiß!« Der General befindet sich auf der Hotline eines deutschen Telefonsexanbieters und holt sich einen runter. Fast nur aus solchen Szenen, aus einem inflationär unverbundenen Nebeneinander von Figuren, die wir, kaum haben wir sie kennen gelernt, auch schon wieder aus den Augen verlieren, besteht der halbe Film. Inflationär werden auch Tunnels gezeigt, die die Schluchten des Balkan verbinden und die Einzelepisoden voneinander scheiden. Rein in den Tunnel, raus aus dem Tunnel, so lange, bis wir vor lauter Geburts- und Sterbemetaphorik am Tunnelblick leiden.

Dann tritt mitten in diese von wilden Symbolismen und Fantasien wuchernde Jugoslawien-Farce eine junge Frau. Eine blonde Muslimin, die Geisel Sabaha, vom General vorgesehen zum Austausch mit Lukas Sohn Milos, der schon kurz nach Kriegsbeginn in kroatische Gefangenschaft geraten ist. Ausgerechnet Luka soll sie beherbergen und bewachen, ausgerechnet in sie verliebt er sich. Die bosnische Ausgabe eines Marx-Brothers-Films zappt um in eine bosnische Romeo-und-Julia-Geschichte. In seiner zweiten Hälfte versucht der Film nun, eine realistische Liebesbeziehung zu zeigen, mit plausibleren Figuren, noch pittoresk zwar, aber mit Tiefgang. Doch da, wo er realitätsnäher werden will, wo er den sicheren Pfad der grotesken Überzeichnung zu verlassen versucht, kommt Kusturica kaum über altmodische Standards hinaus. Die Frau ist reizvoll und devot, der Mann ist verstockt, verwirrt und verliebt. Dass dann diese Liebe die ganz große, überwältigende sein soll, vermag Kusturica wiederum nur mit Mitteln des cineastischen Überfalls zu erzählen: Liebe ist, wenn das ineinander verschlungene halbnackte Paar im prasselndem Herbstlaub über die Veranda kullert (das Mädchen kreischt), wenn derart verzückt ganze Weizenfelder niedergewalzt werden (das Mädchen kreischt lauter), und der Liebe Erfüllung ist, bei herbstlicher Witterung unter einem Wasserfall zu stehen und eine Wassermelone zu essen (das Mädchen kreischt noch lauter).

Der Mensch ist Natur, die Liebe ist ein Wunder, der Krieg Blitz und Donner und das Leben Theater? Übrig bleibt Überwältigungskino und völlige Verwirrung. Wenn Luka am Ende aus Liebeskummer auf den Bahngleisen steht und Selbstmord begehen will, dann zeigt uns Kusturica, dass Luka ein Esel ist – als hätten wir das nicht schon vorher gewusst. Natürlich ist der moralische Konflikt, einen geliebten Menschen gegen einen anderen eintauschen zu müssen, ein unauflösbarer, natürlich treibt der Krieg Gräben zwischen die Menschen, natürlich, hämmert uns »Das Leben ist ein Wunder« ein, könnten wir unsere Feinde auch lieben (besonders wenn sie gut gebaut sind).

Vorhandene Ansätze von historischem – oder politischem – Erkenntnisgewinn bleiben auf halber Strecke in halbgarem Sentiment stecken, und anders als der konsequent brachiale Kusturica-Film »Underground« bekommt »Das Leben ist ein Wunder« seine Erzählweisen Groteske und Melodram nicht unter einen Hut. Dem Film mit der epischen Länge von 154 Minuten entgleitet im Trubel seiner vielen Ideen und wegen seiner künstlerischen Richtungslosigkeit schlichtweg der rote Faden.