Und ab und zu ein Freigang

Der Film »Antares – Studien der Liebe« schildert das triste Leben in einer österreichischen Wohnsiedlung, ohne seine Figuren zu denunzieren. von andreas hartmann

Seit Foucault wissen wir, dass der Sex auch nicht die Befreiung ist, die man sich einmal von ihm erträumt hatte. Doch der Film »Antares – Studien der Liebe« des österreichischen Regisseurs Götz Spielmann versucht, gegen derartigen Defätismus anzugehen. In ihm bietet der rohe Sex allein – und Spielmann zeigt ihn ziemlich roh und fleischlich – den Ausbruch aus dem total verwalteten Leben. Zumindest für Eva, die in einem trostlosen Wohnsilo in der Vorstadt Wiens wohnt und zuhause einen Mann hocken hat, der total nett, aber auch total langweilig ist. Er hört gerne klassische Musik, noch lieber ordnet er jedoch seine Platten mit klassischer Musik in die Schrankwand ein, in der sie in Reih und Glied stehen. Er träumt von einem besseren Leben außerhalb des Wohnghettos, doch Eva nimmt ihr Leben lieber in die eigene Hand. Sie flüchtet vor dieser grauenvoll beengenden Ordnung in das nackte Hotelzimmer von Tomasz, einem flüchtigen Bekannten, mit dem sie den angestauten Frust eines ganzen Lebens geradezu herausficken möchte und bei dem sie die Leidenschaft findet, die ihr abhanden gekommen zu sein schien.

»Antares« erzählt die Geschichte Evas und ihres Mannes und zwei weitere Studien der Liebe. Die drei Episoden sind alle in demselben Hochhausghetto angesiedelt und werden ineinander verschachtelt. Die Menschen sind einander eigentlich alle ganz nah, laufen sich regelmäßig über den Weg oder treffen sich vor dem Aufzug, und doch bleiben sie einander fremd, selbst als ihre Schicksale sich immer enger miteinander verknüpfen. Jeder bewohnt sein eigenes Leben, ergibt sich dieser schrecklichen Einsamkeit, um dann jedoch, jeder für sich, um so heftiger gegen den ganzen Frust zu opponieren.

Der Vergleich von »Antares« mit den Filmen von Spielmanns Landsmann Ulrich Seidl liegt natürlich auf der Hand. Beide Regisseure zeigen »Österreich – brutal«, ein Land des Stumpfsinns, bevölkert von bizarren Figuren, die man bestaunen muss wie Tiere im Zoo. Doch während Seidl seine Charaktere gerne ins Groteske überzeichnet, sie mit großer Liebe zum Detail der Lächerlichkeit preisgibt und als Freaks mit gewaltigem Dachschaden denunziert, wirken in »Antares« selbst die widerlichsten Gestalten irgendwo noch ein wenig symphatisch. Selbst dem völlig kaputten und mehr als nur halbseidenen Immobilienmakler Alex nimmt man ab, dass er eigentlich gerne anders möchte. Dass er gerne ein guter Papa und Ehemann wäre, was er beides defintiv nicht ist. Doch er wurde eben zugerichtet, zum Arschloch gemacht, von diesem Wohnsilo, Österreich, der Gesellschaft, dem Kapitalismus, von dem großen Ganzen eben.

Immerhin lehnt auch er sich auf. Reichen Snobs andauernd Wohnungen in einem »ausländerfreien Haus« anbieten zu müssen, macht ihn bald so fertig, dass er diesem Geschmeiß irgendwann gehörig die Meinung sagen muss und sich die Maske des Devoten einfach vom Gesicht reißt und diese reichen Nichtsnutze, seine natürlichen Feinde, die ihn behandeln wie einen Diener, beschimpft. An dieser Stelle wird auch klar, dass die menschlichen Produkte der Wohnsiedlung wenigstens noch leben, sie sind voller Defizite, aber sie leben. Während die wirklichen Zombies in den besseren Gegenden Wiens – einer Stadt, die ähnlich segregiert zu sein scheint wie Metropolis in Fritz Langs gleichnamigem Film – anzutreffen sind.

Trotz der ganzen Tristesse einer Gesellschaft, in der Menschen noch ihren Hunden das letzte bisschen Trieb und freien Willen austreiben möchten, ist »Antares« auch ein hoffnungsvoll stimmender Film, wenngleich er an eine wirkliche Verbesserung der Verhältnisse nicht glaubt. Man könnte bösartigerweise auch sagen: Er ist ein gleichermaßen konservativer wie sozialdemokratischer Film. Denn seine Figuren zerbrechen nicht an den Verhältnissen und dem ganzen Schlamassel um sie herum, um sich dann an etwas völlig anderem zu versuchen, sondern sie wachsen mit ihren Problemen, erkennen die Fehler, wollen Dinge ändern; allein dem wirklich hoffnungslosen Fall Alex wird keine Chance eingeräumt. Man kann also etwas tun, erfährt man, kann Dinge und sich selbst ändern, auch wenn danach alles, wenngleich besser, weiter läuft wie bisher.

Selbst Eva will mit ihrem Fremdgehen ja nicht wirklich raus aus dem Gefängnis, als das sie ihre Ehe empfindet. Sie will nur einen Freigang und danach bessere Haftbedingungen. Auch der Selbstmordversuch der notorisch eifersüchtigen Kassiererin Nicole sprengt ihre verkorkste Beziehung mit Marco, der gelegentlich die Frau von Alex vögelt, um mal raus aus der eigenen Bude zu kommen, nicht endgültig. Nein, am Ende des ganzen Chaos, das in den drei Episoden entfaltet wird, steht wahrscheinlich bei allen Beteiligten mehr Ordnung als zuvor.

Dennoch ist »Antares« ein wunderbarer Film. Seine Milieuschilderungen sind perfekt. Spielmann entblößt seine Figuren, durchleuchtet sie mit durchaus zynischem Blick, beschützt sie aber auch. Sonja wirkt wie einem Blondinenwitz entsprungen, und Marco übt verbissen, wenigstens ein bisschen wie der Macho und Womanizer zu wirken, der er gerne wäre. All das zu sehen, wirkt skurril und rührend gleichzeitig. Spielmann zeigt die Fehler der beiden, ihre Macken, Ängste, Verletzlichkeiten und auch ihren unglaublich schlechten Geschmack, was die Einrichtung ihrer Wohnung betrifft, die sichtbar von Nicoles Stofftierchen mitbewohnt wird. Doch nach dem Vorbild des englischen sozialkritischen Films gehört diesen Fehlern und diesem schlechten Geschmack der Unterschichten auch die Sympathie des Regisseurs. Er blickt auf Österreichs white trash nicht herab, sondern zeigt ihn einfach. Sich über ihn lustig zu machen, überlässt er ganz allein der Entscheidung des Zuschauers.

»Antares – Studien der Liebe« (Österreich 2004) Regie: Götz Spielmann. Start: 14. Juli