Aus Liebe zum Aktionär

Der Skandal bei Volkswagen wird dazu benutzt, den Konzern umzukrempeln und die betriebliche Mitbestimmung in Frage zu stellen. von georg fülberth

Alle paar Jahre erlebt ein anderer Autokonzern eine Absatz- und Ertragsflaute: BMW, Daimler-Chrysler, im vergangenen Jahr war es Opel. Nach einiger Zeit geht es wieder aufwärts, im Zuge eines zyklischen Aufschwungs, wegen der Kostensenkungen vor allem beim Personal und mit neuen Modellen.

In diesem Jahr ist die Volkswagen AG dran. Die Krise dort dürfte auf die gleiche Art überwunden werden wie anderswo: mit einer Senkung des Personalstands, nach Möglichkeit unter Vermeidung von betriebsbedingten Kündigungen durch das Auslaufen von Zeitarbeitsverhältnissen und freiwilligen oder altersbedingten Abgängen. Die Löhne werden gekürzt. Entweder wird für das gleiche Entgelt länger gearbeitet oder kürzer für weniger Geld. So kennen wir es nicht nur von den süd- und westdeutschen Autoherstellern, auch bei Volkswagen im Norden wurde in den vergangenen Jahren die eine oder die andere Variante gewählt. Diesmal aber erscheint der Normalfall als eine große Affäre. Warum?

Von den allenthalben kolportierten Korruptionsmeldungen wollen wir uns nicht weiter beeindrucken lassen. So an ihnen etwas dran ist, weichen sie wohl ebenfalls nicht weit von der Norm ab. Co-Management bedeutet, dass der Betriebsrat und die Unternehmensleitung gemeinsame Sache machen und dabei wahrscheinlich beide redlich für ihre jeweiligen Auftraggeber sorgen. Die Aktionäre machen ihre Gewinne, und die Belegschaften erhalten eine Art Beschäftigungsgarantie zu Lasten derer, die nicht zum Werk gehören. Bei Daimler-Chrysler wurde diese vor einiger Zeit etwas enger definiert: Pförtner und Kantinenkräfte gelten dort nicht mehr als Metaller.

So eine Zusammenarbeit setzt eine gewisse Intimität voraus. Von Willi Bleicher, dem legendären Bezirksleiter der IG Metall in Stuttgart während der sechziger Jahre, war derlei allerdings nicht zu erwarten gewesen. Für ihn war sein Tarifgegner Hanns-Martin Schleyer, der in den sechziger Jahren im Vorstand der Daimler-Benz AG saß und später Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) wurde, immer der »Herr Doktor«, also einer aus der gegnerischen Klasse. Schleyer schenkte ihm zum Geburtstag ein Schwein, Fotografen hielten es im Bild fest, und jeder, der es sah, dachte sich seinen Teil über die Meinung des ehemaligen SS-Manns über den früheren Buchenwaldhäftling. Damals wurde auch noch gestreikt.

Wo dagegen heute die Köpfe zusammengesteckt werden, ist die Augenhöhe dadurch zu wahren, dass den Vertretern der Unteren von den Oberen ein bisschen was hinübergereicht wird. Geschieht das ohne weitere Formalisierung – über unkontrollierte Verfügungskonten des Betriebsrats oder von der Firma finanzierte Ausflüge –, belegt dies, dass man sich gegenseitig als Gentlemen anerkennt, und auch das ist ja gut für die jeweilige Klientel oben und unten.

Gerüchte über Bordellbesuche sollten besser unkommentiert bleiben, die angeblichen Tatbestände gehören ohnehin zur Intimsphäre. Es ist bekannt, dass auf der Ebene des Managements vieler großer Firmen Erleichterungen im Außendienst per Erschwerniszulage bezahlt werden, und sollte dies auch fürs Co-Management gelten, wäre es nur gerecht.

Die gegenwärtige Aufregung kommt denn auch nicht von irgendwelchen Wirtschaftsethikern, sondern von der Börse. Deren Vertreter sind schon lange ungehalten darüber, dass ein beträchtlicher Minderheitsanteil der VW-Aktien vom Land Niedersachsen gehalten und nicht veräußert wird. Liberale Dogmatiker mag das deshalb stören, weil der Konzern deswegen ja auch ein bisschen ein volkseigener Betrieb ist, aber auf sie wird weniger gehört, als man manchmal meint. Schlimmer ist, dass darunter der Aktienkurs leidet, und das sogar im Gegensatz zu der Lehre von Angebot und Nachfrage. Wenn ein Gut knapp ist – in diesem Fall also wegen des Staatsanteils die VW-Aktien –, müsste es teuer sein. Da Niedersachsen aber auf seinem Anteil beharrt, findet wenig Handel statt, die Kursausschläge sind mäßig, man kann also nur wenig spekulieren. Das ärgert potenzielle Käufer, die auf eine europäische Gerichtsentscheidung hoffen, mit der bei Volkswagen die Freiheit des Kapitalmarkts hergestellt werden soll.

Seit längerer Zeit lesen wir in der Unternehmerpresse viel Schlechtes über die Unternehmensmitbestimmung. Die gibt es allerdings nicht nur bei Volkswagen. Wenn nun behauptet und vielleicht sogar bewiesen werden kann, dass der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates, der zugleich stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates ist, krumme Geschäfte gemacht hat, bekommt die Agitation neue Kraft.

Zugleich wird gestoßen, was ohnehin schon wankt. Die Belegschaften wissen oft sowieso nicht, zu welchem Zweck ihre Leute im Aufsichtsrat sitzen. Bei VW mag das noch ein bisschen anders gewesen sein, generell aber ist die Gleichgültigkeit gegenüber den dort anwesenden Kollegen groß und kann aus gegebenem Anlass sogar in Feindseligkeit umschlagen. Und wieder droht eine Intervention mit Hilfe des europäischen Rechts. Es sehe die deutsche Unternehmensmitbestimmung ohnehin nicht vor, wird behauptet. Kommt Angela Merkel an die Macht, dürfte diese Einrichtung recht schnell liquidiert werden, bleibt Schröder, geschieht das ebenfalls, wenngleich ein wenig später.

VW gilt als ein Beispiel für den hoch gelobten Stakeholder-Kapitalismus. Was ist das eigentlich? Das Gegenteil des bösen Shareholder-Kapitalismus. Dieser dient nur dem Wohl der Aktionäre, das sind nämlich die Shareholder. Stakeholder dagegen sind alle, deren Wohl und Wehe vom Unternehmen abhängt: nicht nur die Couponabschneider, sondern auch die Belegschaften, die Kommunen, der Staat, Antragsteller und Stipendiaten der Volkswagen-Stiftung (auch der Schreiber vorliegender Zeilen wurde in seiner Jugend ein Jahr lang von dieser segensreichen Institution ernährt), überdies Professoren gesellschaftswissenschaftlicher Fakultäten in Hannover und Göttingen, die nach Ausbruch der Schmuddelkrise in wortmächtigen Artikeln rieten, man möge doch bitte das Kind nicht mit dem Bad ausschütten.

Nun hätte Christian Wulff (CDU) als niedersächsischer Ministerpräsident die Chance, sich all dieser Strukturen zu bedienen. Aber er will nicht. Die Umkrempelung würde Jahre dauern, in den Betriebsrat bekäme er wohl ohnehin keinen Fuß. Insofern ist ihm die gegenwärtige Diskreditierung gewiss lieber: als erster Schritt zum Übergang von Stakeholder- zum Shareholder-Kapitalismus auch bei Volkswagen.

Dass Peter Hartz, im Jahr 2002 Schröders Wundermann, seit längerem wegen seiner angeblichen Arbeitsmarktreformen diesem eher peinlich, jetzt auch als Arbeitsdirektor von Volkswagen in die Bredouille gerät, passt in den Vorwahlkampf. Und in der Führung der IG Metall verschieben sich die Gewichte: Jürgen Peters (VW) verliert an Boden gegen Berthold Huber (Daimler-Chrysler). Das wird bleiben, wenn das Bild-Liebesmädchen längst vergessen ist.