Energie für die Hizbollah

Kurz nach der Bildung einer neuen libanesischen Regierung wurde der Kriegsverbrecher Geagea freigelassen. Die Oligarchie hat sich auf eine neue Verteilung der Macht geeinigt. von alfred hackensberger, beirut

Nach elf Jahren Haft war es für Samir Geagea am Montag der vergangenen Woche endlich so weit. Der Führer der rechtsextremen »Lebanese Forces« (LF) wurde aus seiner unterirdischen Zelle im Verteidigungsministerium in Beirut entlassen. Am Flughafen hielt der abgemagerte 53jährige noch eine Rede vor rund 300 ausgewählten Politikern und Religionsführern, bevor er mit seiner Frau zum Erholungsurlaub nach Paris flog.

Einen Akt »nationaler Versöhnung« wurde das Amnestiegesetz genannt, das speziell für Geagea gebastelt worden war. Er ist der einzige Kriegsverbrecher des libanesischen Bürgerkriegs, der zur Verantwortung gezogen wurde. 1994 war er wegen der Ermordung des Präsidenten Raschid Karamis zum Tode verurteilt worden, die Strafe wurde später in lebenslange Haft umgewandelt. Amnesty International zufolge war der Prozess manipuliert und das Urteil auf Druck Syriens gefällt worden. Die Geständnisse ehemaliger Kampfgenossen der LF seien unter Folter zu Stande gekommen.

Es traf jedoch keinen Unschuldigen. Samir Geagea, von Beruf eigentlich Arzt, war bekannt für seine Grausamkeit gegenüber Zivilisten. Im Auftrag von Bashir Gemayel, dem Chef der rechtsextremen Phalange-Miliz, führte er mehrere Morde durch. 1978 wurde unter Geageas Kommando Tony Frangie, der Sohn des früheren Staatspräsidenten, mit 35 Familienangehörigen und Mitarbeitern bestialisch ermordet.

Nach einem längeren Urlaub will Samir Geagea in die Politik zurück. Bei den letzten Parlamentswahlen haben die LF sechs Mandate errungen. Mit Geagea auf freiem Fuß dürften es in vier Jahren noch mehr werden. Die Frage bleibt nur, wie lange er überlebt. Er ließ auch Mitglieder einflussreicher Familien ermorden, und die Palästinenser haben nicht vergessen, dass die LF 1982 für die Massaker in den Flüchtlingslagern Shatila und Sabra verantwortlich waren.

Derzeit aber sitzen die ehemaligen Warlords der Bürgerkriegszeit wieder in einem Boot. Diesmal will man im Parlament debattieren, anstatt sich zu beschießen. Zu den politisch einflussreichen Kriegsverbrechern zählen Walid Jumblatt, Parlamentsmitglied und Vorsitzender der Progressiven Sozialistischen Partei, und Nabih Berri, Staatspräsident und Führer der schiitischen Amal-Partei.

Am Tag nach der Freilassung Samir Geageas präsentierte die neue Regierung von Premierminister Fouad Siniora ihre programmatische Grundsatzerklärung. Gerade beim heiklen Thema der UN-Resolution 1 559, die unter anderem die Entwaffnung der Hizbollah fordert, verhielt man sich diplomatisch. Man will die UN-Resolutionen respektieren, ohne sich allerdings festzulegen, welche gemeint sind. Die Hizbollah, die mit 14 Abgeordneten im neuen Parlament vertreten ist, zeigte sich enttäuscht. Nach dem Wahlbündnis mit den antisyrischen Pareien hatte man etwas völlig anderes erwartet. Schließlich verdankte die »Zukunftsliste« von Saad Hariri ihren Wahlsieg der Unterstützung der Hizbollah im alles entscheidenden Wahlkreis im Nordlibanon.

Im neuen Kabinett ist die Hizbollah zum ersten Mal mit einem Mitglied als Minister vertreten. Mohammed Fneish leitet das Energieressort. Hinzu kommt Tarrad Hamadeh als Arbeitsminister, ein Sympathisant der Partei. Außenminister ist der Schiit Fawzi Salloukh, dessen Nominierung von der Hizbollah und der Amal unterstützt wurde. Das Verteidigungsministerium ist wie zuvor in der Hand von Elias Murr, der vor wenigen Wochen mit viel Glück einen Bombenanschlag überlebte. Er ist der Schwiegersohn des prosyrischen Staatspräsidenten Emil Lahoud. Die antisyrischen Parteien haben sich jedoch zwei Drittel der Ministerämter gesichert und können so jede Entscheidung durchsetzen.

Die US-Regierung war mit der Regierungserklärung nicht zufrieden. Bei einem überraschendem Besuch zwei Tage vor deren Veröffentlichung hatte Condoleezza Rice gemahnt, die UN-Resolution 1 559 zu befolgen. Wenige Stunden nach der Abreise der US-Außenministerin explodierte in Beirut erneut eine Bombe. Diesmal im Amüsierviertel der Stadt. Ein Mensch wurde getötet, mehrere wurden verletzt.

Über die Beziehungen zu Syrien äußerte sich die Regierung ebenfalls in sehr diplomatischen Formulierungen. »Die Minister stimmten darin überein, weiter gute und solide Beziehungen unterhalten zu wollen.« Für viele war das entschieden zu wenig, da die syrischen Behörden seit Wochen den Grenzverkehr für LKW lahm legen. »Eine Blockade des Libanon«, nannte es Walid Jumblatt. Die meisten Libanesen betrachten die syrischen Maßnahmen als Schikane und Rache für den erzwungen Abzug ihrer Truppen im April dieses Jahres.

In Damaskus rechfertigt man die verschärften und langwierigen Grenzkontrollen mit »Sicherheitsgründen«. In einem LKW habe man Sprengstoff gefunden. Hintergrund ist der Tod zweier syrischer Grenzsoldaten. Sie kamen bei einem Schusswechsel mit radikalen Islamisten ums Leben, als diese versuchten, vom Libanon aus die Grenze nach Syrien illegal zu überschreiten.

Für die USA sind die Probleme an der syrischen Grenze ein weiterer Anlass, den Druck auf Präsident Bashar al-Assad zu erhöhen. »Syrien stranguliert den libanesischen Handel«, sagte Condoleezza Rice. Das US-Außenministerium informierte offiziell den Kongress darüber, dass der Iran im Libanon Hizbollah-Kämpfer ausbildet. Die Abgeordneten zeigten sich erschreckt von der »iranischen Präsenz«. Die Verbindungen zwischen der Hizbollah und dem Iran sind jedoch seit mehr als zehn Jahren bekannt. Ausgebildet werden die Hizbollah-Kämpfer allerdings nicht im Libanon, sondern direkt im Iran.

Auch der erneut erhobene Vorwurf der USA, es gebe syrische »Undercover-Operationen« im Libanon, ist keine wirklich neue Erkenntnis. Allerdings ist Assad nicht der Einzige, der seine Agenten im Libanon operieren lässt. Das Land ist ein Tummelplatz für internationale Geheimdienste, unter anderem aus Israel, Frankreich, Jordanien und nicht zuletzt aus den USA, deren wie eine Festung ausgebaute Botschaft in Beirut seit Jahrzehnten ein Spionagestützpunkt ist.

Nach den antisyrischen Massendemonstrationen und den Gegenmobilisierungen im Frühjahr ist der Libanon zur politischen Normalität zurückgekehrt. Die Oligarchen haben eine den neuen Verhältnissen entsprechende Verteilung der Macht ausgehandelt, doch das konfessionelle Proporzsystem blieb erhalten. Weiterhin steht das kleine Land unter dem Druck regionaler und globaler Mächte, und dieser Druck dürfte sich in den nächsten Monaten noch verstärken. So kann man in Beirut weiter sicher sein, dass die nächsten Bomben nicht lange auf sich warten lassen.