Gegen Fischsterben, Krieg und andere Übel

Der Karikaturist Paul Weber gilt als Antifaschist und Antimilitarist. Grund genug, ihm eine Ausstellung in Wiesbaden zu widmen. Seine völkischen Arbeiten werden übersehen. von oliver piecha

Wer kennt sie nicht, diese prägnanten Zeichnungen, in denen eine wimmelnde Masse mit Hitlergruß, Standarten und Hakenkreuzfahnen einen Hügel hinaufstürmt, um auf der anderen Seite in einen riesigen, mit Hakenkreuz geschmückten Sarg hinabzustürzen? Oder den überdimensionierten Knochenmann, der sein Cello stimmt, um dem unter ihm formierten Naziaufmarsch die Todesmelodie aufzuspielen?

Man kennt die Zeichnungen aus Schullesebüchern, aus Friedenskalendern und aus unzähligen linken Büchern und Broschüren; durch Jahrzehnte illustrierten A. Paul Webers Zeichnungen bundesrepublikanischen Antifaschismus. Da war endlich einer, der der Nazikatastrophe bereits Anfang der dreißiger Jahre einen prophetisch-bildhaften Ausdruck gegeben und seine »spitze Feder« in den Dienst eines antifaschistischen »Widerstandskreises« gestellt hatte, der später bei allen Ostermärschen dabei war, Ende der fünziger Jahre einen ersten toten Fisch vor einem Abwasserkanal aufs Papier bannte und angesichts der Mondlandung schon die militärische Aufrüstung des Weltraums karikaturistisch geißelte. Ein echter Mahner also, ein kritisches Gewissen und überdies ein Künstler, der mit dem großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde.

Da kann ja gar nichts mehr schief gehen – vielleicht war das der Gedankengang bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, als man sich entschloss, in Wiesbaden eine Ausstellung zu präsentieren, die eine Auswahl von Werken A. Paul Webers zum Thema »Gegen Krieg« zeigt. Ein Faltblatt informiert zur Ausstellung, über Webers Leben erzählt es etwas von Antifaschismus, Widerstand und Verfolgung; offensichtlich ist die Sachlage ganz eindeutig, die da dem politische Bildung suchenden Bürger vorgesetzt wird.

Oder auch nicht.

Denn eigentlich war A. Paul Weber vor 1945 doch ein nationalrevolutionärer Graphiker, dessen Bilderwelt ideologisch einem reinen völkischen Quell entsprang, naturgemäß nicht ohne antisemitische Spurenelemente. Man hat bloß seine Bilder immer wieder etwas missinterpretiert, nach dem Weltkriegsende wohl auch nicht zu Webers Missvergnügen. So verhält es sich auch mit dem Sarg-Bild, dem wohl bekanntesten Bild Webers, das auch in Wiesbaden nicht fehlt.

Was scheinbar so eindeutig daherkommt, zumal als Illustration einer 1932 erschienenen Broschüre des Nationalrevolutionärs Ernst Niekisch mit dem Titel »Hitler – ein deutsches Verhängnis«, wird etwas vieldeutiger, wenn man bedenkt, dass Niekisch der eigenwilligen Überzeugung anhing, dass die Nazis zu westlich orientiert, zu parlamentarisch fixiert, zu lasch und zu katholisch waren. Kurz: Sie erschienen ihm tatsächlich zu »faschistisch«, nämlich als Imitation Mussolinis, schlicht zu »welsch«. Und daher zu wenig deutsch und revolutionär. Niekisch verfocht auch die These, dass einem »versaklavten Volke« – Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkriegs! – selbst das »verruchsteste Mittel« als Waffe im »nationalen Befreiungskampfe« geweiht sei, und verwies prophetisch auf »Flugzeugwesen, Chemie und Bakteriologie« als adäquate Mittel eines »privatisierten«, nicht staatlichen Kampfs gegen den Westen. Sein »Widerstandskreis« wollte dabei nichts anderes, als den Nationalsozialismus rechts zu überholen. Webers Sarg, in den die von den Nazis verführten Massen stürzen, symbolisiert den Sarg der gescheiterten, weil von den »romanischen« Faschisten verratenen deutsch-völkischen Revolution.

Weber, der von seinen linken Apologeten gerne als »Künstler« und »Instinktmensch« entschuldigt wurde, zeichnete ab 1931 als Mitherausgeber der Zeitschrift Widerstand, in der Niekisch seine unschönen Thesen niederlegte. Dabei entfalteten Webers Bilder in der Zeitschrift eine Wirkung, die die der Texte Niekischs wohl noch übertrafen. Doch die Mitarbeit an dieser Zeitschrift war keineswegs eine Verirrung. Weber hatte bereits in den zwanziger Jahren völkische Gassenhauer illustriert, aber wie man sein damaliges Schaffen seit Jahrzehnten politisch korrekt umschreibt, demonstriert das Faltblatt zur Wiesbadener Austellung: »Nicht alles ist Kunstwerk – Auftragsarbeiten –, manches ist geschmacklos.« Ungefähr so geschmacklos wie sein Werbeplakat zu dem antisemitischen Bestseller Artur Dinters, erschienen 1918, »Die Sünde wider das Blut«? Zu dem er womöglich gezwungen wurde? Aus Geldmangel? Ehrgeiz? Unwissen? Latentem Antisemitismus? Noch einmal das Wiesbadener Faltblatt – an seiner einzigen »kritischen« Stelle – über Webers Serie »Britische Bilder«, in denen er mitten im Zweiten Weltkrieg schonungslos und offenherzig antisemitisch den britischen Imperialismus geißelte, was ihm die Nazis mit einer Massenauflage seines Buches heimzahlten: »Für sich alleine gestellt sind diese ›Britschen Bilder‹ weiter gültig und haben einen hohen künsterlischen Stellenwert, sind aber moralisch nicht vertretbar.«

Solche geradezu scholastischen Verdrehungen, die den Antifaschismus Webers retten sollen, finden sich in der Rezeption seit Ende der siebziger Jahre. Damals wurde in einem Katalog des Verlags Elefanten Press Webers »Kunst im Widerstand« für die Linke engültig kanonisiert. Seit damals werden aber auch der historische Kontext und die ikonografische Beschränktheit von Webers Bilderwelt – etwa fiese Ratten, verführte dumme Massen, die hässliche, wahlweise bebrillte oder feiste Fratze der »Macht« – diskutiert, und in diesem Fall waren sich FAZ und konkret ausnahmsweise einig.

Im Jahr 2000 hat der Historiker Thomas Dörr in einer Publikation der Erich-Mühsam-Gesellschaft Webers völkische Bilderwelten einer kritischen Analyse unterzogen und damit zumindest erreicht, dass das Weber-Museum in Ratzeburg seine hagiografische Legendenbildung etwas differenzieren musste.

Aber irgendwie hilft das alles nichts. Die hessische Landeszentrale für politische Bildung präsentiert unter Ausblendung des historischen Entstehungskontextes einen antimilitaristischen Antifaschisten Weber, der unbedingt »gegen Krieg« war. So weit, so gut, man wird ja auch nicht abstreiten dürfen, dass sich Menschen im Laufe ihres Lebens ändern können, wenn auch Äußerungen Webers in der Sekundärliteratur eher anzeigen, dass er bis zuletzt sich selbst treu geblieben ist.

Doch dass der Wiesbadener Ausstellungsmacher seinen Vorstellungen zum Krieg ganz im Sinne Webers freien Lauf lässt, ist wohl etwas zu viel des Gutmenschlichen. Mehrfach verweist der kommentierende Begleittext der Ausstellung direkt vom Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg auf die USA, George W. Bush und den Irak-Krieg. Wir ahnen es längst: Würde Weber noch leben, hätte er uns mit eindrucksvollen und viel beachteten Bildern zum irakischen »Widerstand« beglückt. Bilder, die man sich unschwer ausmalen kann, so kompliziert war sein »kritisches« Weltbild nun auch wieder nicht. Da hätte ein Anfang zu seinem Ende gefunden.

So bleibt nur der Appell einer Ausstellung der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung im Jahr 2005, der Webers Werken »auch noch heute die gleiche Aussagekraft« wie damals attestiert und feststellt, sie seien »uneingeschränkt weiter gültig«. Mehr noch: Ausgerechnet das Werk dieses Zeichners, der Juden im »Dritten Reich« und vorher nur mit krummen Nasen darzustellen wusste, soll »zu mehr Zivilcourage ermutigen, einer Charaktereigenschaft, die für eine funktionierende Demokratie unbedingte Voraussetzung ist, aber viel zu selten und von viel zu wenigen an den Tag gelegt wird«.